Messeplatz Deutschland in der Pandemie: Schaufenster der Welt
Deutschland ist Messeplatz Nummer eins. Im September will die Branche mit der IFA und der IAA langsam zur Normalität zurück.
Von einer „riesigen Nachfrage“ berichten in diesen Tagen die Münchener Wiesnwirte. Die Leute reservieren Plätze in den Oktoberfest-Zelten, weil das Bedürfnis nach Party groß ist. Doch ein Volksfest mit sechs Millionen Besuchern, die viel Bier trinken und zur Blasmusik singen, tanzen und schunkeln, ist schwer vorstellbar. Im Mai werde man entscheiden, heißt es im Münchener Rathaus; je länger man warte, desto größer die Chance auf die Wiesn. Vor einem Jahr begründete der bayerische Ministerpräsident Markus Söder sein Image als entschlossener Pandemiebekämpfer, als er bereits am 21. April das Oktoberfest absagte. Heuer soll am 18. September angezapft werden. Noch früher steht ein anderes Großereignis an: Die neue Internationale Autoshow IAA Mobility wird von der Bundeskanzlerin am 7. September auf dem Münchener Messegelände eröffnet. So ist jedenfalls der Plan.
Ausländische Teilnehmer kaum möglich
Für viele Veranstaltungen im Spätsommer werden jetzt die Weichen gestellt. Die Geschäftsführung der landeseigenen Messe Berlin hat sich entschieden: Die Funkausstellung IFA findet vom 3. bis 9. September unterm Funkturm statt. Das wäre das erste große Event nach anderthalb Jahren Coronapause. Im vergangenen Herbst gab es eine digitale IFA - ein trauriger und teurer Versuch. Alles in allem musste das Land Berlin 2020 einen Jahresverlust der Messegesellschaft von 55 Millionen Euro ausgleichen. Damit es in diesem Jahr nicht noch mehr werden, muss die IFA stattfinden. Die Funkausstellung ist eine der fünf internationalen Leitmessen, mit denen die Messe Berlin in normalen Zeiten gutes Geld verdient.
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Die Internationalität ist ein Problem: Wenn Ausstellungen und Kongresse wieder stattfinden dürfen, fehlt erstmal ein großer Teil der ausländischen Teilnehmer. Das trifft internationale Leitmessen wie ITB, Innotrans und IFA in Berlin, aber auch die IAA in München. 60 Prozent aller Weltleitmessen finden nach Angaben des Branchenverbandes Auma hierzulande statt, Deutschland ist das Schaufenster der Industrie aus aller Welt. 60 Prozent der in deutschen Messehallen vertretenen Firmen kommen aus dem Ausland. Frühestens im nächsten Jahr ist wieder mit denen zur rechnen.
Zwei Drittel der Messen ausgefallen
2020 war verheerend für die Branche, aber zumindest im ersten Quartal beziehungsweise bis Mitte März gab es noch Veranstaltungen. Der Jahresbeginn ist mit diversen Konsumgütermessen, unter anderem die Grüne Woche, die wichtigste Saison der Branche. Von 355 geplanten Messen konnten 2020 immerhin 114 durchgeführt werden, der Großteil davon im Januar und Februar. Nach Angaben des Auma tragen die Messen in normalen Jahren 28 Milliarden Euro zur gesamtwirtschaftlichen Leistung bei, 2020 blieben davon nur sechs Milliarden Euro übrig. Betroffen sind vom Lockdown neben den Messeveranstaltern und Messebauern auch Hotels und Gastronomie, Spediteure, Taxifahrer und Einzelhandel. „Wenn sich diese Entwicklung 2021 auch nur annähernd fortsetzt, dürften in den betroffenen Branchen mehr als 100 000 Arbeitsplätze gefährdet sein“, befürchtete der Auma im Januar. Das wäre fast die Hälfte der 230 000 Arbeitsplätze. Bislang setzt sich die Entwicklung fort.
Verschoben auf 2022
In Nürnberg versuchten die Veranstalter, die Spielwarenmesse durch eine Verschiebung vom Februar in den Sommer zu retten. Vergeblich. „Aufgrund der großen Unsicherheit, die nach wie vor von der Corona- Pandemie auf nationaler und internationaler Ebene ausgeht, wird der Termin gecancelt und der Fokus nun auf die Spielwarenmesse 2022 gelegt.“ Der Termin im Sommer war ambitioniert, doch im November sollte das Schlimmste überstanden sein. Eigentlich. Aber die Agritechnica in Hannover wurde auf das Frühjahr 2022 verschoben, weil „zum jetzigen Zeitpunkt keine ausreichende Planungssicherheit für die Weltleitmesse im November“ gegeben sei. Vor allem internationale Landtechnikhersteller wollten auf Nummer sicher gehen und den Novembertermin verschieben. Wie realistisch ist dann eine Beteiligung von Sony und Samsung in September an der Berliner IFA oder von Hyundai und Toyota an der IAA in München?
"Messehallen sind sicher"
Die Messewirtschaft mit ihrer „hohen gesamtwirtschaftlichen Bedeutung für die Exportnation Deutschland“ brauche Planungssicherheit, argumentiert der Auma und fordert „einen Plan der Politik für den Messe-Neustart“, der Effekte der Impf- und Teststrategie ebenso berücksichtigt wie die langen Vorlaufzeiten. Allein im 3. Quartal 2021 seien mehr als 80 Messen geplant, die nach Einschätzung der Branche mit den vorliegenden Sicherheitskonzepten durchgeführt werden könnten. Ausstellungsgelände und -hallen haben ausreichend Flächen zur Steuerung der Besucherströme, moderne Belüftungssysteme und die Registrierung aller Teilnehmer. Schließlich kooperierten die Messeveranstalter „zum Corona-konformen Aufenthalt der Teilnehmer in der Messestadt eng mit den regionalen Verkehrsverbünden und der Hotellerie“.
240 000 Besucher wird es nicht geben bei der IFA
Die IFA findet vom 3. bis zum 7. September statt – da ist sich der neue Berliner Messechef Martin Ecknig sicher. Die „weltweit bedeutendste Show für Consumer Electronics und Home Appliances“ versteht sich als Treffpunkt für Industrie, Handel und Medien aus aller Welt. Gerade auch wegen der Absage der CES Anfang des Jahres in Las Vegas kommt der IFA 2021 eine besondere Bedeutung zu. „Wir werden die Tech-Branche im September zusammenbringen“, heißt es bei der Messe Berlin. Allerdings nicht wie 2019, als fast 240 000 IFA-Besucher gezählt wurden, darunter knapp 100 000 aus dem Ausland. „Wir erhalten sehr positives Feedback von Marktteilnehmern zu einer IFA 2021 in Berlin, auch angesichts der ermutigenden Entwicklungen in einigen Teilen der Welt“, gibt sich die Messe Berlin optimistisch.
Söder will die IAA in München
Fast zeitgleich zur IFA ist in München die neue IAA geplant, die sich als „Leitmesse für saubere Mobilität“ versteht. Kurz vor Ostern hat der Vorstand des Verbandes der Autoindustrie (VDA) bekräftigt, die Schau unbedingt durchführen zu wollen. „Der Anmeldestand der Aussteller ist gut, das neue Konzept findet großen Zuspruch“, sagt VDA-Präsidentin Hildegard Müller. Die Chancen stehen vor allem auch wegen Markus Söder gut: Der Ministerpräsident hatte vor einem Jahr erheblichen Anteil an der Auswahl Münchens als neuen IAA-Standort. Nun soll die Premiere auch stattfinden.