Berlins Messechef über die Zukunft der Branche: „Der persönliche Kontakt ist nicht zu ersetzen“
Corona trifft die Berliner Messegesellschaft hart. Was hat die Branche aus der digitalen ITB gelernt – und was erwartet sie im Herbst?
Martin Ecknig ist angekommen. Das war in seinem Fall einfach und schwer zugleich, denn der neue Chef der Messe Berlin übernahm den Job in einer Phase des Berufsverbots. Messen, Kongresse und Ausstellungen gibt es in der Pandemie nur als digitale Experimente. Umso besser, dass Ecknig auf vertrautes Gelände zurückkehrt ist: Nach Jahrzehnten mit vielen Ortswechseln, darunter Peking, Schanghai und Hongkong, hat es die Familie des gebürtigen Charlottenburgers in die Heimatstadt verschlagen. „Berlin ist unser Zuhause, daran haben wir nie gezweifelt“, sagt Ecknig im Gespräch mit dem Tagesspiegel.
Vorkrisenniveau erst 2024
Irgendwie muss er die landeseigene Messegesellschaft mit ihren 1000 Mitarbeitern durch die Pandemie steuern. Das funktioniert mit einem dreistelligen Millionenbetrag aus der Kasse des Eigentümers: Das Land Berlin gleicht die Verluste 2020 und 2021 aus. 2022 dürfte es aufwärts gehen, doch der neue Geschäftsführer stellt sich auf einen längeren Erholungsprozess ein. „Das Niveau vor Corona sollten wir 2024 erreichen.“
Ecknig, 1967 geboren, lernte in der Berliner Siemensstadt Industriekaufmann und arbeitete in vielen Funktionen, zuletzt als Immobilienmanager von München aus, für Siemens in aller Welt. Die Ehefrau stammt auch aus Berlin, ein Sohn wurde hier geboren, der andere in Peking. Aus der Ferne habe er die Entwicklung Berlins selbst in den schweren Nachwendejahren positiv wahrgenommen. „Ich war immer von der Attraktivität der Stadt überzeug.“ Ähnlich wohlmeinend äußerte sich Ecknig, der in jungen Jahren als Schiedsrichter auf Berliner Fußballplätzen unterwegs war, über den Herzensverein aus Charlottenburg; die ganze Familie ist bei Hertha Mitglied. Mit seinem Vorgänger Christian Göke, der dem Hertha-Aufsichtsrat angehört, muss er sich also nicht nur über Messen unterhalten.
Ecknig ist ein Branchenneuling
Göke hatte den Aufsichtsrat um die Auflösung seines Vertrages gebeten, nachdem Berlin vor einem Jahr überraschend den Wettbewerb um die Ausrichtung der Internationalen Autoausstellung IAA an München verloren hatte. Ebenso überraschend war die Berufung Ecknigs durch den Aufsichtsrat, der vom Immobilienunternehmer Wolf-Dieter Wolf und der Berliner Wirtschaftssenatorin Ramon Pop (Grüne) geführt wird. Branchenneuling Ecknig kümmert das nicht: Er ist rumgekommen und selbstbewusst genug, um sich den Anforderungen zu stellen. Ein Messechef muss ein glänzender Verkäufer sein, dazu tiefe Branchenkenntnis der Leitmessen haben, die Digitalisierung vorantreiben und mit Umsicht und Geschick den Eigentümer einbeziehen. In Berlin ist das eine ganz spezielle Aufgabe. „Überzeugungskraft traue ich mir zu“, sagt Ecknig.
Die digitale ITB hat funktioniert
Anfang Januar hat er das Büro im Verwaltungsgebäude am Messedamm bezogen. „Für mich ist das eine Frage des Ankommens in meinen ersten Monaten“, erklärt er die Präsenz im Büro trotz Corona. In diesen Tagen freut er sich über einen ersten Erfolg, die digitale ITB ist geglückt. „Wir sind sehr zufrieden, die von uns entwickelte Plattform hat funktioniert und mehr als 3500 Aussteller aus 120 Ländern waren dabei.“ Insgesamt nutzten 65 700 User die Online-Plattform in der vergangenen Woche, knapp zwei Drittel davon aus dem Ausland.
Die IFA hatte Geld gekostet
Mehr als 1000 Medienvertreter und Reiseblogger aus 54 Nationen berichteten live von der Veranstaltung. Zum neuen, digitalen Networking-Angebot zählten Businessmeetings in Einzel- und Gruppen-Calls, Chatnachrichten sowie die gezielte Suche von Gesprächspartnern. Und das Wichtigste: Die Messe Berlin verdiente mit der Internet-ITB auch Geld, da die Aussteller bis zu fünfstellige Gebühren akzeptierten. Das war im vergangenen September noch anders: Die erste digitale Funkausstellung IFA war für die Messe ein Verlustgeschäft.
"Frischzellenkur für Messen"
„Wenn unsere Kunden einen Mehrwert bekommen, dann sind sie bereit, auch dafür zu zahlen“, sagt Ecknig. Mit „viel Herzblut und viel Arbeit“ hätten seine Leute das ITB-Angebot entwickelt. „Wir wissen ganz genau, wie der Reisemarkt funktioniert, und können die verschiedenen Marktteilnehmer zusammenbringen“, sagt der Messechef und freut sich auf den 9. März 2022: Dann soll es nach zweijähriger Unterbrechung wieder eine analoge ITB Berlin geben – mit digitalen Ergänzungen. „Die Testphase nach zwölf Monaten Corona ist abgeschlossen“, sagt Ecknig. „Jetzt geht es darum, das Gelernte in ein besseres Angebot zu übersetzen.“ Sein Unternehmen sieht er dabei ebenso gut aufgestellt wie die Branche. „In der Krise haben sich die Messen einer Frischzellenkur unterzogen.“
100 Millionen Minus in zwei Jahren
Das Coronavirus hat die Messewirtschaft böse erwischt. Bundesweit verlor die Branche im vergangenen Jahr 70 Prozent ihres Umsatzes, in diesem Jahr wird das Minus auf etwa 50 Prozent veranschlagt. Bislang jedenfalls. Ähnliche Erwartungen hat das Management unterm Berliner Funkturm. Rund 55 Millionen Euro gab es vom Land für 2020, inklusive fünf Millionen für das Corona-Notfall-Lazarett auf dem Messegelände. Für 2021 hofft Ecknig, mit einer ähnlichen Summe auszukommen. Damit das gelingt, muss im September die IFA stattfinden.
Fruit Logistica Ende Mai
Die Funkausstellung gehört neben der ITB, der Grünen Woche, der Schienenveranstaltung Innotrans und der Fruit Logistica zu den Leitmessen und Geldbringern der Messe Berlin. „Wir sind überzeugt, im September die IFA veranstalten zu können.“ Für die internationale Obst- und Gemüse-Fachmesse, die auf Ende Mai verschoben wurde, lässt sich das nicht sagen. „Bis Ostern müssen wir wissen, ob eine Fruit Logistica mit Ausstellern und Fachbesuchern möglich ist“, sagt der Messechef. „Viele wollen unbedingt kommen.“ Am Coronaschutz sollte das nicht scheitern. „Wenn jemand Besucherströme organisieren und Hygienekonzepte umsetzen kann, dann sind das die Messeveranstalter“, sagt Ecknig. „Mit Sensoren können wir genau erfassen und steuern, wie viele Menschen an welchem Ort sind.“ Oder eben nicht.
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In der Messewelt ist häufig die Rede von digitalen Kommunikationsplattformen und deren Bedrohungspotenzial für das klassische, physische Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage in einer Halle. „Für viele Marktteilnehmer ist der Besuch einer Messe ganz entscheidend, das haben wir in den vergangenen zwölf Monaten von vielen unserer Partner gehört“, sagt der Berliner Messechef. Die Sorge, dass Messen komplett ins Netz abwandern, habe sich bislang nicht bestätigt. „Das Erlebnis des persönlichen Kontakts kann das Internet niemals ersetzen.“ Und zwar ganz besonders nach der Coronazeit. „Viele Menschen sind müde, die Welt allein auf 15 Zoll reduziert zu sehen“, hofft Ecknig. „Wir haben gelernt, dass bestimmte Dinge nur funktionieren, wenn man sich persönlich trifft.“