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Zur ersten großen Messe in diesem Herbst, dem Caravan Salon in Düsseldorf, kamen Anfang September mehr als 100 000 Besucher.
© picture alliance/dpa

Ausstellungswirtschaft in der Coronakrise: Die Messe ist noch nicht gelesen

Corona macht Ausstellungen fast unmöglich. Veranstalter experimentieren mit neuen Konzepten, um den Schaden zu begrenzen.

Das klingt gut: „IGW Professional 2021“ hat die Messe Berlin eine ihrer wichtigsten Veranstaltungen umbenannt. „The meeting place of the International Green Week“. Das Wortgeklingel kann die Wirklichkeit nicht verdecken: Die Grüne Woche fällt aus; es wird wohl einige Fachforen geben inklusive ein paar Häppchen für die „Professionals“. Das war’s. Ein normaler Messebetrieb ist bis weit ins nächste Jahr hinein nicht möglich. Weder in Berlin noch irgendwo sonst auf der Welt.

Coronahalle wird für die Innotrans gebraucht

Wie bitter 2021 für die landeseigene Messe Berlin wird – und wie teuer für das Land Berlin und damit für die Steuerzahler –, hängt ab von der Innotrans. Die internationale Schienenfahrzeugschau war im September ausgefallen und auf April 2021 verschoben worden. Das könnte klappen – wenn die Halle 26 zur Verfügung steht. Hier hat der Senat ein Notfallzentrum für Corona-Patienten einrichten lassen. Das wurde zwar bislang nicht gebraucht, aber niemand weiß, was kommt. Der Aufsichtsrat der Messe Berlin mit Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) an der Spitze hat an den Senat appelliert, die Halle freizuräumen und bald einen entsprechenden Beschluss zu fassen. Mit der Innotrans verlöre die Messe einen hohen zweistelligen Millionenbetrag. Der Senat müsste für 2021 rund 100 Millionen Euro bereitstellen, um die Verluste der Messe zu decken. In diesem Jahr sind es schätzungsweise 65 Millionen Euro.

Mehr als zwei Drittel wurde abgesagt

Mehr als zwei Drittel der in diesem Jahr in Deutschland geplanten 368 Messen wurden abgesagt. Nach knapp sechs Monaten Stillstand sind seit September wieder Veranstaltungen möglich, und vor allem der Caravan Salon in Düsseldorf machte der Branche Hoffnung. 107 000 Besucher kamen an zehn Ausstellungstagen, um sich Wohnwagen und Campingzubehör anzuschauen. Das ist eine Menge – im Vorjahr indes waren es 270 000. In Berlin gab es die erste digitale Ifa, ein bescheiden ausgefallenes Experiment, das vor allem Geld gekostet hat. Bislang, so sagt Martin Fritze vom Kölner Institut für Messewirtschaft, hätten die Messegesellschaften vor allem über Digitalisierung geredet. „Es hat sich niemand getraut, eine digitale Messe zu machen“, sagte Fritze im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Nun lässt Corona keine andere Wahl.

Das Berliner Messegelände wird künftig von einem Immobilienmanager vermarktet.
Das Berliner Messegelände wird künftig von einem Immobilienmanager vermarktet.
© dpa

Überall experimentieren die Messegesellschaften, die sich jede größere Kommune auch als Instrument der regionalen Wirtschaftsförderung leistet. Nirgendwo sonst auf der Welt gibt es so viele Messeveranstalter, die Aussteller aus aller Welt in ihre zumeist hochmodernen und sehr teuren Hallen locken. In Corona-Zeiten ist das ziemlich totes Kapital. Und digitale Veranstaltungen finden die Eigentümer der Messeunternehmen nicht toll, weil die Umweltrentabilität gleich null ist: Aussteller und Besucher geben viel Geld aus, wenn sie in der Stadt sind, aber nicht im Netz. Auch deshalb hat dem Messemanagement bislang der Mut zu größeren Digitalisierungsschritten gefehlt. Und das Geld sowieso.

Partner für Projekte gesucht

Christian Göke, noch bis Ende des Jahres Chef der Messe Berlin, plädiert auch deshalb für neue Konzepte und Konstellationen: Messegesellschaften könnten zusammenarbeiten oder sich für Geldgeber öffnen – strategische Investoren oder Finanzinvestoren. Göke verweist auf das Beispiel der Basler Messe, an der sich im Frühjahr die Investmentfirma von Rupert Murdochs News Corporation beteiligt hat. Bis Weihnachten, so Gökes Zielsetzung, möchte er dem Senat einen oder mehrere Partner präsentieren und damit der Messe Berlin einen letzten Dienst erweisen. So sieht das Göke.

Christian Göke, seit 2013 Chef der Messe Berlin, steigt Ende des Jahres aus.
Christian Göke, seit 2013 Chef der Messe Berlin, steigt Ende des Jahres aus.
© Thilo Rückeis TSP

Der rot-rot-grüne Senat ist allerdings auf Rekommunalisierungskurs und wird wohl kaum einem Investor die Messegesellschaft und schon gar nicht das riesige Gelände in bester Lage überlassen. Aber Partnerschaften für bestimmte Projekte sind denkbar, unbedingt für die CDU. „Wir brauchen Know-how und Geld für Investitionen in das ICC“, meint der Abgeordnete Christian Gräff. Bei den riesigen Verlusten, die alle Messegesellschaften in der Corona-Zeit einfahren, sind größere Investitionen in neue, digitale Messeformate schwer vorstellbar. Der wirtschaftliche Druck ist so groß geworden, dass inzwischen selbst der Chef der Kölner Messe sich eine Kooperation mit den Kollegen in Düsseldorf vorstellen kann.

Staatliche Firmen gehen nicht pleite

Der Trend geht zumindest kurzfristig zu Fachmessen mit regionalem Bezug. Die großen internationalen Veranstaltungen mit ein paar Hunderttausend Besuchern – „das wird schwierig bleiben“, heißt es beim Messeverband Auma. „Rund 60 Prozent der deutschen Unternehmen wollen auch Richtung 2021 und darüber hinaus ihr Messe-Engagement konstant halten“, teilte Auma kürzlich mit. Die wichtigsten Messeziele der Aussteller sei nicht kurzfristiger Umsatz, sondern langfristig die „Gewinnung neuer Kunden, Kundenbindung, Stärkung von Bekanntheit und Image und die Präsentation neuer Produkte“. Hört sich an wie das Pfeifen im Walde. Ohne die besondere Eigentümerstruktur könnte ein Großteil der Messegesellschaften die Pandemie kaum überleben. Aber der Staat geht eben nicht pleite.

Immobilienmanager als Messechef

Der Siemens-Manager Martin Ecknig, bislang nicht als Marketingspezialist oder Digitalisierungsexperte aufgefallen, hat sich auf ein Abenteuer an der Spitze der Messe Berlin eingelassen. Das Geschäft wird vor allem von den fünf großen Leitmessen getragen: Grüne Woche und Fruit Logistica, ITB, Ifa und Innotrans. Fruit Logistica und ITB hat die Messe für das nächste Frühjahr ebenso im Programm wie die Innotrans. Da ist viel Hoffnung im Spiel. Mit großer Wahrscheinlichkeit findet dagegen bereits in sechs Wochen die Boot & Fun statt. Immerhin ein positiver Effekt der Coronakrise: Camping und Wassersport sind gefragt wie nie.

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