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Der Hauptsitz der Gasag befindet sich noch am Hackeschen Markt, und noch gehört der Berliner Versorger drei Energiekonzernen aus drei Ländern. Im Frühling zieht die Gasag in ein neues Gebäude auf dem Euref-Campus in Schöneberg. Bis zur Wahl im September möchte der Senat das Unternehmen zurückkaufen.
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Berliner Senat will verstaatlichen: Rolle rückwärts

Ein Ausweg aus dem verfahrenen Konzessionsstreit: Der rot-rot-grüne Senat könnte das Stromnetz und die Gasag für rund 3,5 Milliarden Euro kaufen.

So funktioniert Politik in Berlin. Im Dezember 2011 startete der Senat „das Verfahren zur Neuvergabe des Wegenutzungsrechts für das Gasversorgungsnetz im Land Berlin“. Gut neun Jahre später trudelt das Verfahren einem neuen Höhepunkt entgegen: Am 9. März befasst sich der Bundesgerichtshof mit der Gasnetzkonzession. Und die juristische Hakelei wird anschließend weitergehen. Es sei denn, das Land Berlin kauft die Gasag, die 1998 privatisiert worden war. Die Politik hat den Streit um die Konzessionen für den Betrieb von Gas- und Stromnetz in eine juristische Endlosschleife befördert, aus der sich der Senat nun mit ein paar Milliarden rauszukaufen versucht.

Die lukrativsten Netze Deutschlands

Die Berliner Energienetze sind die größten und wertvollsten in Deutschland. Mit dem Verkauf der Bewag 1997 für knapp drei Milliarden D-Mark gingen auch die Leitungen für Strom und Wärme in den Besitz des schwedischen Staatskonzerns Vattenfall. Das Gasnetz ist Eigentum der Gasag, die wiederum Eon, Vattenfall und der französischen Engie gehört. Wenn Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) genügend bietet, rund 1,5 Milliarden Euro sind im Gespräch, dann könnte der Berliner Gasversorger wieder zu einem Landesbetrieb werden.

Rekommunalisierung heißt das Ziel

Unter dem Stichwort Rekommunalisierung bemüht sich die Berliner Politik um die Korrektur der Privatisierungen aus den 1990er Jahren. Den ersten großen Versuch unternahm Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos), indem die für die Konzessionsvergabe zuständige Stelle in der Finanzverwaltung 2014 der landeseigenen Berlin Energie – die damals auch in der Finanzverwaltung angedockt war – den Zuschlag für den Betrieb des Gasnetzes erteilte und der Altkonzessionär Gasag unterlag. Seitdem wird vor Gericht gestritten, und die Anwälte habe sehr viel Geld verdient. Das Land Berlin gibt Millionen für den unendlichen Rechtsstreit aus. Und zwar nicht nur in der Auseinandersetzung mit der Gasag, sondern auch im Streit mit Vattenfall um die Stromnetzkonzession.

Vattenfall hat die Lust verloren

Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) und Kollatz präsentierten sich im Oktober als Gewinner und Rekommunalisierer mit Weitblick, als sie eine energiewirtschaftliche Überraschung präsentierten: Vattenfall hat keine Lust mehr auf die Berliner Hängepartie und bietet dem Land das Stromnetz zum Kauf an. Müller sprach von einer „sehr guten Nachricht für unsere Stadt“ und einen „weiteren Schritt nach vorne in der Rekommunalisierungsstrategie". Der Regierende lobte den Finanzsenator und der lobte Müller für Zähigkeit und Verhandlungsgeschick. Bereits 2012, Müller war Stadtentwicklungssenator, habe man Berlin Energie als „Plattform“ für die Verstaatlichung gegründet. Nun endlich könne die Plattform bespielt werden mit dem Stromnetz.

Matthias Kollatz (li.), Finanzsenator von Berlin, und Michael Müller, Regierender Bürgermeister, läuft die Zeit davon. In gut neun Monaten wird gewählt.
Matthias Kollatz (li.), Finanzsenator von Berlin, und Michael Müller, Regierender Bürgermeister, läuft die Zeit davon. In gut neun Monaten wird gewählt.
© dpa

Der Berlin Energie, über Jahre nicht viel mehr als eine Briefkastenfirma, war vor Gericht im Konzessionsstreit mit der Gasag die Bieterfähigkeit abgesprochen worden. Das sei nun Geschichte, meinte Kollatz. „Anders als früher kann Berlin solche Unternehmen wirtschaftlich führen“, sagte der Finanzsenator mit Blick auf die Vattenfall-Tochter Stromnetz Berlin GmbH mit ihren 1300 Mitarbeitern, die der Senat zusammen mit dem Netz übernehmen möchte. Ob das funktioniert? Als über das Stromnetz 2019 vor dem Landgericht Berlin verhandelt wurde, meinte der Vorsitzende Richter, das Land Berlin sei ein so miserabler Arbeitgeber, dass nicht von einem freiwilligen Übergang der Netzleute ausgegangen werden könne.

Berliner "Hühnerhaufen"

Die Vattenfall-Spitze in Stockholm hatte sich zum Verkauf des Netzes entschlossen, um die „verfahrenen Situation“ zu beenden, die sich seit der Vergabe der Konzession im März 2019 zugespitzt hatte. „Take the money and run" – nach dieser Devise geht Vattenfall vor. Über den Preis möchten sich die Parteien mit Hilfe eines Gutachters verständigen. Kollatz hat im Oktober die Abwicklung des Geschäfts für Anfang 2021 angekündigt. Indes ist in Berlin die Lücke zwischen Worten und Taten so groß wie in keiner anderen deutschen Großstadt.

Erst das Stromnetz, dann die Gasag

Von einem „Hühnerhaufen“ ist die Rede in der Energiewirtschaft, einer „chaotischen und überforderten Verwaltung“, die kaum in der Lage sei, den Milliardendeal mit Vattenfall abzuwickeln. Auf rund zwei Milliarden Euro wird der Wert des Stromnetzes geschätzt, die Kollatz mit einem vom Land verbürgten Darlehen auf dem Kapitalmarkt auftreiben will. Nach dem Modell strebt er auch den Kauf der Gasag an, also das komplette Unternehmen und nicht nur das Berliner Gasnetz, wie noch vor ein paar Jahren. Der Gasag-Aktionär Vattenfall verhandelt aber erst über den Verkauf seiner Anteile, wenn das Stromnetz verkauft ist. Und dann kommt es auf den Preis an. Bislang ist nicht bekannt, dass der Finanzsenator, der seit mehr als fünf Jahren bei der Gasag einsteigen will, ein Bewertungsgutachten in Auftrag gegeben hat.

Es geht auch um Netze in Brandenburg

Die Gasag ist ein kleiner Konzern, der Energie erzeugt und verkauft und Netze in Berlin und Brandenburg betreibt. Das „Asset“ sind die Netze. Die Netzgesellschaft Berlin-Brandenburg, eine Gasag- Tochter, betreut Rohrleitungen über 14 000 Kilometer, die zu 346 000 Häusern führen, in denen 775 000 Gaszähler installiert sind. Der Wert des Berliner Gasnetzes wird auf rund 1,2 Milliarden Euro geschätzt. Hinzu kommt die Infrastruktur der EMB im Westen (gut 200 Millionen Euro wert) und die Spreegas im Osten Brandenburgs, die etwa bei 100 Millionen Euro liegt. Wenn der Berliner Senat die Gasag komplett übernehmen will, und eine andere Option steht derzeit nicht im Raum, werden also rund 1,5 Milliarden Euro fällig.

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Eon und Vattenfall sind verkaufswillig, die französischen Engie zaudert. Die Gasag ist die größte Beteiligung der Franzosen in der Bundesrepublik – die gibt man ungern auf. Es sei denn, der Preis stimmt.

Anfang März vor den Bundesgerichtshof

Bevor sich der Bundesgerichtshof am 9. März mit dem Berliner Gasnetz befasst, wird vermutlich nichts passieren. 2019 hatte das Kammergericht sowohl die Berufung des Landes als auch der Gasag gegen das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Berlin vom Dezember 2014 zurückgewiesen und eine Revision beim Bundesgerichtshof nicht zugelassen. Dagegen legte die Gasag erfolgreich Beschwerde ein, sodass sich das oberste Gericht nun mit dem Berliner Konzessionsmurks befasst. Das würde der BGH nicht tun, so das Kalkül der Gasag, wenn er am Verfahren nichts auszusetzen hätte. Kurzum: Die Gasag-Eigentümer setzen auf Sieg, was wiederum den Preis für ihre Gasag-Anteile in die Höhe treiben wird.

Und das im Wahljahr. Es gibt in Berlin die Energieagentur, das Stadtwerk und die Berliner Energie als landeseigene Betriebe. Was es nicht gibt, ist eine überzeugende Energiepolitik. Aber vielleicht kommt die ja, wenn das Stromnetz und die Gasag auch noch zum Portfolio gehören. Unter welchem Senat auch immer.

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