Nach jahrelangem Rechtsstreit: Vattenfall will Stromnetz an Berliner Senat verkaufen
Nun könnte es schnell gehen: Vattenfall ist bereit, das gesamte Netz abzugeben. Der Senat will zum 1. Januar 2021 an - und schielt auch auf die Gasag.
Der Energiekonzern Vattenfall will den jahrelangen Rechtsstreit um die Berliner Stromversorgung beenden und das Stromnetz der Hauptstadt an den Senat verkaufen. Der Konzern habe dem Land sämtliche Anteile an der eigenen Tochter Stromnetz Berlin GmbH inklusive Infrastruktur, IT-Systeme und Personal angeboten, teilte Vattenfall am Freitag mit.
„Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass wir einen Ausweg aus der verfahrenen Situation finden müssen“, sagte der scheidende Vattenfall-Chef Magnus Hall der Deutschen Presse-Agentur. „Es ist nicht gut, diese Unsicherheit weiterhin bei all unseren Geschäftsaktivitäten, anstehenden Entscheidungen und Investitionen mit uns rumzuschleppen.“
Zu den Bedingungen und dem vorgesehenen Kaufpreis machte Hall zunächst keine Angaben. Der Berliner Senat will bis zum Beginn des kommenden Jahres über das Angebot des Energiekonzerns Vattenfall zum Verkauf dessen Hauptstadt-Stromnetzes entscheiden.
Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) sprach von einer „sehr guten Nachricht für Berlin“. Mit dem Angebot von Vattenfall, das den Senat am Freitagvormittag offiziell erreichte, werde eine jahrelange juristische Auseinandersetzung beendet und es gebe jetzt die Chance, mit der Klima- und Energiewende in der Stadt entscheidend voranzukommen.
Schon mit dem Rückkauf der Wasserbetriebe und der Kommunalisierung von Wohnungsbeständen habe der Senat gezeigt, dass er „im Bereich der Daseinsvorsorge mehr Verantwortung übernehmen“ wolle.
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Außerdem werde mit dem Kauf der Stromnetz GmbH ein Auftrag des Energie-Volksentscheids von 2013 erfüllt, sagte Müller. Das überraschende Angebot Vattenfalls führt der Regierende Bürgermeister auch darauf zurück, „dass ich den Gesprächsfaden zum Unternehmen nie habe abreißen lassen“. Gleiches gelte für den Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD). Dies zahle sich jetzt aus, und zwar für beide Seiten.
Das Land Berlin werde mit der Vattenfall-Tochter eine gute Firma übernehmen, sagte Kollatz. Es soll deshalb auch eine „personelle Kontinuität“ geben, das heißt den Mitarbeitern der Stromnetz GmbH wird ein Übernahmeangebot gemacht. „Wir brauchen deren Kompetenzen“, betonte Kollatz. Und man werde natürlich den Dialog mit den Personalvertretungen suchen.
Angestrebt werde die Übernahme durch das Land mit Wirkung vom 1. Januar 2021. Zur Feststellung des Kaufpreises verständigten sich beide Verhandlungspartner auf eine Bewertung durch einen unabhängigen Gutachter. „Dies wollen wir in den nächsten Wochen hinbekommen“, kündigte der Finanzsenator an.
Zum Preis der Kommunalisierung des Stromnetzes wollte sich Kollatz zwar aus Sicht des Senats noch nicht äußern, aber er gehe davon aus, dass er „irgendwo in der Mitte“ von ein bis drei Milliarden Euro liege. Diese Summen wurden bisher immer genannt. Das Geld soll nicht aus dem Landeshaushalt kommen, sondern „im wesentlichen aus Darlehen mit Landesbürgschaften“.
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Regierungschef Müller will das Geschäft in jedem Fall noch in dieser Wahlperiode abschließen, die im Herbst 2021 endet. Senat und Abgeordnetenhaus sollten mit dem Kauf zeitnah befasst werden. „Ich bin mir sicher, dass wir im Landesparlament die Mehrheit dafür haben.“ Es handele sich um eine zentrale Infrastrukturmaßnahme, die in die nächsten Jahrzehnte hineinwirke.
Kollatz kündigte außerdem an, dass der Senat in den nächsten Wochen offiziell sein Interesse bekunden werde, auch die Mehrheit an der Gasag zu erwerben. Das Wärmenetz in Berlin bleibt aber bei Vattenfall. Dort stelle sich der Senat auf eine "langfristige Partnerschaft" mit dem Privatkonzern ein, so der Finanzsenator.
Der Rechtsstreit hinter dem Deal
Die Konzession der Stromnetz Berlin GmbH ist formell 2014 ausgelaufen. Nach einem langwierigen Ausschreibungsverfahren bekam der landeseigene Betrieb Berlin Energie im vergangenen Jahr den Zuschlag für 20 Jahre. Eine unabhängige Vergabekammer des Senats hatte zuvor das Angebot aus drei verschiedenen ausgewählt.
Dagegen hatte der bisherige Betreiber, die Vattenfall-Tochter Stromnetz Berlin, geklagt und vor dem Landgericht Recht bekommen. Kürzlich bestätigte das Kammergericht als letzte Instanz das Urteil.
Doch damit war nur eine Entscheidung im Eilverfahren gefallen. Das Hauptsacheverfahren liegt nach wie vor beim Berliner Landgericht und wartet dort darauf, eröffnet zu werden. Vattenfall befürchtet nach eigenen Angaben, dass sich der Rechtsstreit noch Jahre hinziehen könnte.
Nun möchte Vattenfall das gesamte Tochter-Unternehmen an Berlin verkaufen. Infrastruktur, IT-Systeme und das Personal würden damit ans Land übergehen. „Für Stromnetz Berlin ist es unter diesen Bedingungen aus unserer Sicht der beste Weg“, sagte Magnus Hall, betonte aber zugleich: „Das ist auf keinen Fall ein Signal, dass wir unsere Geschäfte in Deutschland überdenken. Das Land bleibt unser wichtigster Markt und wir werden dort weiter investieren und unser Engagement ausbauen.“ (mit dpa)