Start-up-Fabrik aus Berlin: Rocket Internet geht an die Börse
Noch in diesem Jahr wollen die Brüder Marc und Alexander Samwer Rocket-Aktien für 750 Millionen Euro am Markt platzieren. Aktionärsschützer sehen hohe Risiken.
Es ist so weit: Rocket Internet nimmt Kurs auf die Börse. Das ist nicht nur ein entscheidender Schritt für die Berliner Start-up-Fabrik, das ist auch ein wichtiger Test für die gesamte Gründerszene in der Stadt. Denn wenn die Börsengänge von Rocket und auch dem Online-Modehändler Zalando ein Erfolg werden, könnten sich mehr Investoren für die hiesigen Unternehmen interessieren – und es könnte mehr dringend benötigtes Kapital in die Stadt fließen.
Wie funktioniert Rocket Internet?
Rocket hat das Gründen von Internetfirmen professionalisiert. Hier entstehen Start-ups am laufenden Band. Rocket liefert die Geschäftsmodelle, gibt das nötige Startkapital und findet dann ein junges ehrgeiziges Team, das die Modelle umsetzt. Daneben sucht Rocket auch andere Investoren, die sich mit Kapital beteiligen. Wenn das neue Unternehmen wächst, kommen weitere Investoren hinzu und Rocket steigt schrittweise aus. So wie beim Online-Modehändler Zalando, an dem Rocket keine Anteile mehr hält. Insgesamt sammelte Rocket im vergangenen Jahr zwei Milliarden Euro bei Investoren für seine Start-ups ein.
Was sind das für Start-ups?
Inhaltlich fokussiert sich Rocket auf den elektronischen Handel (Mode, Möbel), Marktplätze (Putzhilfen, Zimmervermittlung) und zuletzt auch auf Finanzdienstleistungen (Online-Kredite, bargeldloses Bezahlen). Geografisch konzentriert sich Rocket auf Europa und schnell wachsende Volkswirtschaften wie Lateinamerika, Südostasien, Indien und Afrika. So ist die Firma Zalora eine Art Zalando für Asien und Dafiti setzt das Konzept in Südamerika um. Vielfach wird den Rocket-Gründern Oliver, Marc und Alexander Samwer, vorgeworfen, erfolgreiche Ideen zu klauen und Geschäftsmodelle einfach zu kopieren. Das Unternehmen selbst formuliert das so: „Rocket nutzt ihre einzigartige operative Plattform, um Online-Verbrauchertrends zu analysieren, bewährte Internetgeschäftsmodelle zu identifizieren und sie auf unterversorgte oder unerschlossene Märkte zu übertragen.“ Nach eigenen Angaben arbeiten mehr als 20.000 Menschen in 100 Ländern für Rocket, in Berlin sind es rund 300.
Wie ist der Börsengang geplant?
Offiziell will das Unternehmen bei der Platzierung 750 Millionen Euro erlösen. Das wären 15 Prozent des Grundkapitals – unterstellt man eine angestrebte Bewertung von fünf Milliarden Euro für das gesamte Unternehmen. Kein anderes Berliner Unternehmen ist derzeit an der Börse annähernd so hoch bewertet. Zum Vergleich: Die Lufthansa hat eine Marktkapitalisierung von 6,2 Milliarden Euro. Die 750 Millionen Euro aus dem Emissionserlös sollen aus einer Kapitalerhöhung kommen, die bisherigen Aktionäre werden bei der Emission keine Anteile verkaufen. Aktuell ist Global Founders, die Investmentgesellschaft der Samwer-Brüder, der größte Anteilseigner.
Was hat Rocket noch vor?
Das Unternehmen will das Geld in weiteres Wachstum stecken. „Wir sind überzeugt, dass das Internet das Leben der Menschen grundlegend verändern wird, vor allem in den Schwellenländern“, sagt Oliver Samwer. „Der Börsengang ist der nächste logische Schritt auf dem Weg zu unserem erklärten Ziel, die weltweit führende Internet-Plattform außerhalb der USA und Chinas zu werden.“ Für ein Unternehmen wie Rocket, das die Welt nicht neu erfindet, macht es keinen Sinn, in den USA oder China aktiv zu werden, wo bereits starke Konkurrenten erfolgreich mit den gleichen Geschäftsmodellen unterwegs sind. Aber wie kein anderes Unternehmen ist Rocket in der Lage, diese Geschäftsmodelle in immer neuen Märkten zu etablieren. Die Frage ist, wie oft sich das noch wiederholen lässt. Rockets Modell funktioniert nämlich nur mit „Grundbedarfsgütern und Basisdienstleistungen“ für eine große Zahl an Kunden. Aber auch in großen Märkten gibt es nur Platz für eine beschränkte Anzahl von Amazons oder Zalandos.
Der Start-up-Verband wirbt für einen neuen Neuen Markt
Rocket-Aktie kaufen oder nicht?
Rocket Internet wird im Entry Standard notiert sein, einem Börsensegment, das laut Börse Frankfurt „besonders kleinen und mittelgroßen Unternehmen einen kostengünstigen Zugang zum Kapitalmarkt eröffnen“ soll. Unternehmen im Entry Standard sind nicht zum Handel in einem EU-regulierten Markt zugelassen, die strengeren Anlegerschutz-Regeln gelten also nicht. So ist Rocket zum Beispiel nicht verpflichtet, die Anleger umgehend über alle Nachrichten zu informieren, die den Kurs beeinflussen könnten („ad-hoc- Publizität“) oder über Veränderungen der Stimmrechte. Außerdem muss nicht jedes Quartal ein Bericht vorgelegt werden. Da die Informations- und Transparenzpflichten deutlich geringer sind, eignet sich der Entry Standard nach Einschätzung der Deutschen Börse nur für „qualifizierte Anleger“, die in der Lage seien, „erhöhte Risiken einzuschätzen und zu übernehmen“. Die im Entry Standard notierten Firmen werden zudem kaum von Analysten näher beobachtet und bewertet. Die Börsen-Umsätze sind meist gering, so dass größere Kurssprünge nicht selten sind. Die Kursentwicklung des Entry All Share war insgesamt sehr bescheiden: Seit 2006 hat sich der Performance-Index halbiert. Notiert sind im Entry Standard zum Beispiel die Halloren Schokoladenfabrik oder die Berliner Effektengesellschaft. „Es ist enttäuschend, dass ein so großes Unternehmen wie Rocket den Entry Standard gewählt hat“, meint Michael Kunert von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger. „Das wirft ein negatives Licht auf die Gesellschaft.“
Ist es wieder Zeit für einen Neuen Markt?
Alle 20 Stunden wird in Berlin ein neues Unternehmen gegründet. Oft fehlt es den Gründern nach einiger Zeit an Investoren und Risikokapital. So lebte die Idee wieder auf, eine Art „Neuen Markt 2.0“ zu etablieren, ein Hochrisikosegment an der Börse, das jungen Firmen auf die Sprünge helfen könnte. Der Start-up-Verband wirbt dafür, die Deutsche Börse bremst. Zu lebendig sind noch die Erfahrungen mit dem Neuen Markt, der 1997 in den Anfängen der Internet-Euphorie gegründet wurde, viele Investoren nach zunächst sagenhaften Kursgewinnen am Ende in den Ruin gerissen hatte und 2003 dichtgemacht wurde. Dennoch hat die Bundesregierung im Koalitionsvertrag versprochen, neue Finanzierungsmöglichkeiten für junge Tech-Start-ups zu prüfen.
Welche Börsengänge stehen noch an?
Eine Reihe anderer Firmen hat den Gang aufs Parkett angekündigt. Möglich seien noch bis zu zehn „Initial Public Offerings“ (IPO), sagen Investmentbanker. Im internationalen Vergleich bleibt die Zahl der Börsengänge in Deutschland damit niedrig. Auf der Agenda stehen unter anderem der Online-Modehändler Zalando, an dem Rocket zwar nicht mehr aber die Samwer-Brüder sehr wohl noch beteiligt sind. Das Unternehmen wird mit fünf bis sechs Milliarden Euro bewertet und will Aktien im Volumen von etwa 500 Millionen Euro an die Börse bringen. Die Eigner des Online-Marktplatzes Scout24 wollen gegen Jahresende etwa 400 Millionen Euro Kapital an der Börse aufnehmen. Bei TLG Immobilien und Tele Columbus planen zwei Hedgefonds, im Herbst oder Winter 2014/2015 ihre Investitionen zum Teil zu vergolden und 300 bis 500 Millionen Euro am Markt zu platzieren.