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Bildung schafft Wachstum. Eine gute Berufsbildung ist der entscheidende Faktor für eine höhere Produktivität der Wirtschaft insgesamt.
© Ford-Werke

Ausbildungsplatz für jeden: Österreich macht es vor

Mehr Fachkräfte, höhere Einkommen und größeres Wachstum – eine Ausbildungsgarantie wäre ein Gewinn, heißt es in einer Studie der Bertelsmann-Stiftung

Das deutsche System der dualen Berufsausbildung wird weltweit gerühmt für seine Wirksamkeit, doch in der Pandemie zeigt es Schwächen: Weniger Betriebe bilden aus und weniger Jugendliche interessieren sich überhaupt für eine betriebliche Ausbildung. Deshalb kommt erneut ein Instrument in die Debatte, das die Österreicher seit 2008 anwenden: eine staatliche Ausbildungsgarantie. Jugendliche, die keine Lehrstelle finden, bekommen eine überbetriebliche Ausbildung angeboten. Entweder wechseln sie nach einem Jahr in eine reguläre Ausbildung in der Wirtschaft oder sie erhalten am Ende der überbetrieblichen Ausbildung einen vollwertigen Abschluss.

"Die Garantie ist das Gebot der Stunde"

Das sollten wir auch einführen, meinen seit Längerem schon die Gewerkschaften – und nun auch die Bertelsmann-Stiftung. „Die Ausbildungsgarantie ist das Gebot der Stunde, denn die Zahl der Ausbildungsplätze geht drastisch zurück und der Fachkräftebedarf ist drängender denn je“, kommentierte Jörg Dräger, Vorstandsmitglied der Stiftung, die Ergebnisse einer neuen Studie. Demnach könnte eine Ausbildungsgarantie hierzulande bis zu 20 000 zusätzliche Fachkräfte pro Jahr bringen.

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Das Institut für Höhere Studien (IHS) in Wien hatte im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung das österreichische System auf die Bundesrepublik übertragen und war zu dem Schluss gekommen, „dass sich eine Ausbildungsgarantie in Deutschland für Jugendliche, für die Wirtschaft und für die Gesellschaft auszahlt“. Der DGB ist entschieden dafür, die Arbeitgeber sind trotz der ernüchternden Entwicklung skeptisch.

So wenig neue Azubis wie noch nie

Das Statistische Bundesamt veröffentlichte am Mittwoch, wie berichtet, historisch schlechte Zahlen. 2020 wurden 465 700 Verträge für eine duale Berufsausbildung geschlossen, das waren 9,3 Prozent weniger als im Vorjahr. „Noch nie seit Beginn der Statistik vor über 40 Jahren hat es in einem Jahr weniger als 500 000 neue Azubis gegeben", hieß es beim Statistischen Bundesamt. In Industrie und Handel sank die Zahl der Neuabschlüsse um fast zwölf Prozent. Die größten Rückgänge gab es bei den Tourismuskaufleuten mit fast zwei Dritteln, gefolgt von Hotelfachmännern und -frauen (minus 31 Prozent) und den Köchen mit minus 20 Prozent.

Ausbildung bringt 580 000 Euro

Die Bedeutung einer guten Ausbildung für den Einzelnen wie für die Gemeinschaft ist unstrittig und lässt sich auch quantifizieren. Nach Berechnungen des Wiener IHS beträgt die Differenz zwischen dem Brutto-Lebensarbeitseinkommen von Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung und Personen mit niedrigerem Bildungsniveau in Deutschland durchschnittlich 580 000 Euro. Vom höheren Einkommen profitieren auch Volkswirtschaft und Staat, wie das IHS am Beispiel der Ausbildungsgarantie erläutert.

Höheres Wachstum gleicht Kosten aus

Mehr (Aus-) Bildung führt zu einer höheren Produktivität und einem höheren Bruttoinlandsprodukt. Wenn hierzulande mithilfe der Ausbildungsplatzgarantie jedes Jahr 20 000 zusätzliche Absolventen auf den Arbeitsmarkt kommen, dann „steigt das Bruttoinlandsprodukt nach zehn Jahren bereits um 2,6 Milliarden Euro pro Jahr, nach 20 Jahren ergeben sich mehr als acht Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich“, teilte die Bertelsmann-Stiftung mit.

Dem steht ein erheblicher Aufwand gegenüber: Für die öffentlichen Haushalte verursacht die Ausbildungsgarantie Kosten in Höhe von rund 1,44 Milliarden Euro pro Jahr oder 72 000 Euro pro Absolventin. Da jedoch die Einnahmen aus Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen steigen, würde sich diese Investition in die Ausbildung „aus staatlicher Sicht bereits ab dem neunten Jahr auszahlen“. Zudem haben die Wiener Wissenschaftler eine langfristig um 0,26 Prozentpunkte niedrigere Arbeitslosenquote ermittelt sowie einen Anstieg der Beschäftigung um 0,69 Prozent. „Eine Ausbildungsgarantie ist nicht nur eine Frage der Chancengerechtigkeit, sondern bringt auch Vorteile für Staat und Wirtschaft. Klug gemacht ist sie für alle ein Gewinn“, meinte Bertelsmann-Stiftungsvorstand Dräger.

Elke Hannack kümmert sich im DGB-Vorstand um Ausbildungsfragen.
Elke Hannack kümmert sich im DGB-Vorstand um Ausbildungsfragen.
© promo

In der "Abwärts-Spirale"

Bereits Ende vergangenen Jahres hatte die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack (CDU) angesichts schlechter Zahlen für eine Ausbildungsgarantie plädiert. „Die berufliche Bildung befindet sich in einer Abwärts-Spirale“, meinte Hannack mit Blick auf die Angebots- und die Nachfrageseite. Die Firmen bieten weniger betriebliche Plätze an und zugleich „wenden sich weniger Jugendliche als Ausbildungsplatzsuchende an die Bundesagentur für Arbeit“. Dem drohenden Bedeutungsverlust der Berufsausbildung könne man mit der Ausbildungsgarantie begegnen, meint Hannack.

Arbeitgeber sind dagegen

Das Thema beschäftigt seit Jahren immer mal wieder die Sozialpartner, und bislang waren die Arbeitgeber eher skeptisch. Eine staatliche Garantie verleite die Jugendlichen zu Passivität und leiste einer Anspruchshaltung Vorschub, ist ein Argument der Arbeitgeberverbände. Zudem werde damit nicht das Problem der oft fehlenden Ausbildungsreife von Schulabgängern gelöst. Schließlich gebe es genügend Ausbildungsplätze, doch die Jugendlichen seien nicht flexibel genug bei der Auswahl der Berufe und des Ortes der Ausbildung.

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