Die Stimmung der Jugend: Weniger Ausbildungsplätze, aber Sehnsucht nach Spaß
Die Mehrheit der Jugend fürchtet um die berufliche Zukunft. Was sie in der Krise umtreibt und wie die Regierung ihnen zu helfen versucht.
Denken sie an ihre berufliche Zukunft, sorgen sich viele junge Menschen. Wie sehr, zeigt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung. 71 Prozent der Befragten sind demnach der Ansicht, dass sich die Chancen auf einen Ausbildungsplatz durch Corona verschlechtert haben. Das sind zehn Prozent mehr als im Vorjahr. Bei Jugendlichen mit niedriger Schulbildung sind es sogar 78 Prozent.
Zukünftige Studierende sind verglichen dazu optimistisch: Etwas weniger als ein Viertel sieht die Erfolgsaussichten auf einen Studienplatz durch die Pandemie beeinträchtigt. Das ist aus Sicht der Studienautor:innen auch nicht verwunderlich, denn Plätze an den Universitäten sind im Zuge der politischen Maßnahmen nicht weggefallen. Das Studium ist nur mühsamer, da es online läuft. „Wer das Abitur hat, besitzt quasi eine Studiengarantie“, sagt Jörg Dräger, Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung. „Jugendliche mit niedrigeren Schulabschlüssen lassen wir in Krisenzeiten allein. Das ist nicht gerecht.“ Die Interviews wurden zwischen dem 11. Februar und 3. März 2021 vom Marktforschungsinstitut Iconkids & Youth im Auftrag der Stiftung geführt. Befragt wurden 1700 repräsentativ ausgewählte 14- bis 20-Jährige.
53 Prozent der Jugendlichen haben außerdem den Eindruck, die Politik tue wenig oder gar nichts für jene, die derzeit eine Lehrstelle suchen. Das sind drei Prozent mehr als bei der ersten Befragung im vergangenen August. Weitere 20 Prozent finden, dass die Politik zwar viel tue, aber noch immer nicht genug. „Wir müssen jedem jungen Menschen eine Ausbildungsperspektive geben, gerade in der Krise“, fordert Dräger. Das sei eine Frage der Chancengerechtigkeit. „Jede Krise vernichtet dauerhaft Ausbildungsplätze. Das war 2008 so und wird auch jetzt wieder so sein“, mahnt er.
Regierung zahlt Unternehmen Ausbildungsprämien
Wie er sorgt sich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel über die sinkende Zahl an Ausbildungsplätzen. „Im Vergleich zum Arbeitsmarkt macht mir der Ausbildungsmarkt mehr Sorgen“, sagte Merkel vor kurzem beim Verband der Familienunternehmen. Schon im Jahr 2019/20 seien deutlich weniger Verträge abgeschlossen worden als im Vorjahreszeitraum. „Mit Blick auf die so dringende Sicherung des Fachkräftenachwuchses ist das keine gute Nachricht“, meinte sie. Das Statistische Bundesamt hatte zuvor mitgeteilt, dass 2020 die Zahl neu abgeschlossener Ausbildungsverträge um 9,4 Prozent auf rund 465 200 einbrach.
[Breaking News, Analysen, Interviews - das alles erhalten Sie jetzt noch schneller und übersichtlicher in unserer Tagesspiegel-App. Hier für iPhones herunterladen.]
Merkel forderte die Unternehmen auf, trotz der Pandemie junge Menschen in den Betrieben auszubilden. „Als Bundesregierung wollen wir die Entscheidung erleichtern, indem wir die duale Berufsausbildung während der Pandemie in besonderer Weise fördern“, sagte die CDU-Politikerin. Im vergangenen Sommer hatte das Bundeskabinett die „Azubi-Prämien“ auf den Weg gebracht. Kleine und mittelständische Firmen, die mit großen Umsatzeinbrüchen und Kurzarbeit kämpfen, aber ihre Ausbildungsplätze erhalten oder sogar ausbauen, bekommen seitdem staatliche Prämien von bis zu 3000 Euro pro Lehrstelle. „Wir haben das Bundesprogramm Ausbildungsplätze sichern nochmals um ein Jahr verlängert, die Prämien verdoppelt und die Zuschüsse erweitert“, fügte Merkel hinzu.
Dabei bezieht sich die Kanzlerin auf einen Kabinettsbeschluss, der im März verabschiedet wurde: Demnach sollen Ausbildungsbetriebe, die ihre Lehrstellenzahl trotz Krisenbelastung konstant halten, vom 1. Juni an 4000 Euro je Ausbildungsvertrag erhalten. Für jeden zusätzlich abgeschlossenen Vertrag gibt es 6000 Euro. Eine Übernahmeprämie erhalten Betriebe, die Azubis von pandemiebedingt insolventen Unternehmen aufnehmen. Auch diese Prämie wurde auf 6000 Euro je Auszubildendem verdoppelt und bis Jahresende verlängert. Die Bundesregierung stellt für die Zuschüsse 500 Millionen Euro im laufenden Jahr bereit, weitere 200 Millionen Euro sind für 2022 vorgesehen. Zudem können mittlerweile Betriebe mit bis zu 499 Beschäftigten die Hilfen beantragen. Bis zum Kabinettsbeschluss im März lag die Grenze bei 249 Beschäftigten.
Jörg Dräger bezweifelt allerdings, dass die Ausbildungsprämien reichen. „Wir brauchen eine Ausbildungsgarantie“, meint er. So wie in Österreich. Dort haben Jugendliche, die bei der Suche nach einem regulären dualen Ausbildungsplatz erfolglos waren, Anspruch auf einen außerbetrieblichen Platz. Dabei wird schon im ersten Jahr die Vermittlung in ein betriebliches Ausbildungsverhältnis angestrebt.
Viele fühlen sich in den Schulen schlecht informiert
Das Interesse junger Menschen an einer Ausbildung ist auch im zweiten Corona-Jahr weiterhin groß: 41 Prozent der 14- bis 20 -Jährigen, die noch Schüler:innen einer allgemeinbildenden Schule sind, möchten laut der Bertelsmann-Stiftung auf jeden Fall eine Ausbildung machen. Weitere 36 Prozent sind noch unentschieden. Das bedeutet, dass fast vier Fünftel der Schüler:innen eine Lehre als Möglichkeit in Betracht ziehen.
[Die Coronavirus-Krise ist auch für die Politik eine historische Herausforderung. Jeden Morgen informieren wir Sie, liebe Leserinnen und Leser, in unserer Morgenlage über die politischen Entscheidungen, Nachrichten und Hintergründe. Zur kostenlosen Anmeldung geht es hier.]
Allerdings gibt es bei der Berufsvorbereitung Probleme: Die große Mehrheit (79 Prozent) der Jugendlichen in Deutschland hält das Informationsangebot zur Berufswahl insgesamt für ausreichend. Allerdings beklagen 54 Prozent in der Studie, dass sie Schwierigkeiten haben, sich in der Fülle von Informationen zurechtzufinden. Was speziell das schulische Angebot zur Berufsorientierung betrifft, so schneiden Hauptschulen in den Einschätzungen der Schüler:innen gut ab: 43 Prozent aller befragten Mädchen und Jungen mit niedriger Schulbildung geben an, gut bis sehr gut über Berufe informiert zu sein.
Umgekehrt zeigen sich die deutlichsten Defizite bei jungen Menschen mit hoher Schulbildung: Hier fühlen sich lediglich 23 Prozent gut bis sehr gut informiert und fast die Hälfte von ihnen (47 Prozent) hält sich für nicht so gut oder gar nicht gut informiert. Jugendliche, die ihren Ausbildungsplatz schon angetreten oder zumindest eine feste Zusage erhalten haben, sind mit ihrer Betriebswahl ziemlich zufrieden: Mehr als 80 Prozent geben auf einer fünfstufigen Skala die beiden positivsten Bewertungen ab. Auffällig ist außerdem, dass die Zufriedenheitsrate bei Jugendlichen mit niedriger Schulbildung mit 95 Prozent besonders hoch ist. „Das Potenzial der beruflichen Bildung ist nach wie vor sehr groß. Wir müssen alles daransetzen, dieses auch zu realisieren“, sagt Dräger.
Bemerkenswert ist: Trotz der extremen Krise ist es vielen jungen Menschen wichtig, einem Job nachzugehen, der ihnen wirklich Spaß macht – auch auf Kosten der Sicherheit. Dieser Aussage stimmen 67 Prozent der Befragten zu, mehr noch als im vergangenen Jahr, weitestgehend unabhängig von der jeweiligen Schulbildung. 33 Prozent von ihnen bevorzugen hingegen einen sicheren Job, selbst wenn er ihnen nicht so viel Freude bereiten wird.
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität