Proteste der Unternehmerverbände: Nun stellt sich auch Italiens Wirtschaft gegen die Regierung
Italiens Unternehmer kritisieren die Haushaltspolitik ihres Landes. Es scheint, als würde die Regierung darauf hören. Der Etat könnte überarbeitet werden.
Angesichts einer drohenden Rezession und eines Defizitverfahrens der EU attackieren Italiens Unternehmer die Regierung: Falls Ministerpräsident Giuseppe Conte nicht in der Lage sei, seine beiden populistischen Vizepremiers Di Maio und Salvini zur Raison zu bringen, solle er zurücktreten, fordern die Wirtschaftsbosse. „Unsere Geduld neigt sich dem Ende zu“, erklärte jetzt Vincenzo Boccia, Präsident des Industriellenverbands Confindustria.
Seine Kritik richtete sich gegen die Haushaltpolitik der Regierung, die 18 Milliarden Euro für Konsumausgaben verschwende und ein Defizitverfahren der EU heraufbeschwöre. Der parteilose Ministerpräsident Conte solle dafür sorgen, dass Luigi Di Maio von der Protestbewegung Cinque Stelle (Fünf Sterne) und Matteo Salvini von der rechtsradikalen Lega in die von Brüssel geforderten Einsparungen einwilligten. „Wenn ihm das nicht gelingt, soll Conte zurücktreten und die benennen, die sich querstellen“, forderte Boccia.
Am Dienstagabend hatte Italien einen Aufmarsch von Unternehmensführern und Wirtschaftskapitänen erlebt, wie ihn das Land seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen hatte: Rund 3000 CEOs und Patrons fanden sich in einer ehemaligen Reparaturwerkstätte der italienischen Staatsbahn in Turin zusammen, um gegen die Wirtschafts- und Haushaltpolitik der Regierung zu protestieren. Vertreten waren alle zwölf großen Wirtschafts- und Gewerbeverbände des Landes.
Die von den anwesenden Managern geleiteten Unternehmen und Betriebe produzieren 65 Prozent des italienischen Bruttosozialprodukts und sind für 80 Prozent der Exporte verantwortlich. Sie beschäftigen 13 Millionen Menschen.
Verhinderung von Großprojekte sei "eine Verrücktheit"
Der Protest richtete sich auch gegen die Verhinderungspolitik der Regierung gegenüber Infrastrukturprojekten, etwa dem Bau der Zugstrecken durch das Val di Susa (Teil des europäischen Korridors Lissabon-Lyon-Turin-Kiew) oder dem „Terzo Valico“, die neue Verbindung zwischen Mailand und Genua. Der Chef des Bauunternehmerverbands Gabriele Buia, rechnete vor, dass derzeit 25 Milliarden Euro für bereits bewilligte Projekte blockiert seien – „eine Verrücktheit“.
Die größte Regierungspartei, die Protestbewegung Cinque Stelle, ist Anhängerin des von ihrem Gründer Beppe Grillo propagierten „fröhlichen Minuswachstums“ und opponiert deshalb gegen alle Großprojekte, die zur Modernisierung der Infrastruktur führen könnten – auch gegen neue Müllverbrennungsanlagen, die in Italien an allen Ecken und Ende fehlen. Innenminister und Vizepremier Salvini antwortete in gewohnter Manier auf die Kritik der Wirtschaft: „Sie sollen uns arbeiten lassen – und sie werden sehen, dass Italien besser dastehen wird als vorher.“ Doch die Selbstsicherheit des Innenministers steht im Widerspruch zu aktuellen Zahlen: Laut dem nationalen Statistikamt Istat ist die italienische Wirtschaft ein halbes Jahr nach der Vereidigung der Populisten-Regierung im dritten Quartal geschrumpft – zum ersten Mal nach vier Jahren.
Staatssekretär kündigt Überarbeitung des Etats an
Die selbsternannte „Regierung des Wandels“, die bei der Verabschiedung des Haushalts noch die Abschaffung der Armut versprochen hatte, droht nun plötzlich als „Regierung der Rezession“ in die Geschichte einzugehen. Die jüngsten Daten entlarven die Wachstumsprognosen der Regierung als reines Wunschdenken. Im Haushalt, der eine Neuverschuldung von 2,4 Prozent des BIP vorsieht, rechnet die Regierung mit einer Zunahme der Wirtschaftsleistung von 1,5 Prozent; liegt diese tiefer, erhöht sich das Defizit. Hinzu kommen steigende Zinsen für die Staatsschuld von 2,3 Billionen Euro: Diese verursachen ebenfalls Mehrkosten in Milliardenhöhe, die im Haushalt nicht berücksichtigt sind.
Ohne Korrekturen, so warnen Experten, werde die Neuverschuldung im kommenden Jahr nicht 2,4 Prozent, sondern mindestens drei Prozent betragen. Angesichts des immer größer werdenden Drucks aus Brüssel und seitens der Wirtschaft scheinen Salvini und Di Maio inzwischen realisiert zu haben, dass ein Festhalten an der bisherigen Konfrontationspolitik gegenüber der EU in einem Desaster enden könnte.
Nachdem Salvini noch vor kurzem über die „Brieflein aus Brüssel“ gespottet hatte, erklärt er nun, dass „die Stellen hinter dem Komma nicht wichtig“ seien, solange der Haushalt dem Land und seinen Bürgern nütze. Staatssekretär Giancarlo Giorgetti sagte am Mittwoch in einem Radiointerview, man der Etat-Überarbeitung in der kommenden Woche bis zu vier Milliarden Euro einsparen. Inoffiziell verlautete dieser Tage in Rom, dass die Regierung bereit sei, das geplante Defizit auf 2,0 Prozent zu senken.
Dominik Straub