Andrea Nahles gibt nach: Ministerin lockert Dokumentationspflichten beim Mindestlohn
Nach langem Streit lenkt Arbeitsministerin Andrea Nahles nun doch ein. Sie lockert die Dokumentationspflichten für Arbeitgeber beim Mindestlohn.
Noch im Frühjahr hatte sich Andrea Nahles vehement gegen entsprechende Forderungen aus Wirtschaft und Union gestemmt. Nun, ein halbes Jahr nach Einführung des gesetzlichen Mindestlohns, lenkt die Arbeitsministerin ein. Am Dienstag kündigte Nahles an, die umstrittenen Dokumentationspflichten für Arbeitgeber zu lockern.
Bei festen Jobs, die mit mehr als 2000 Euro brutto vergütet werden, müssten Beginn, Ende und Dauer der Arbeitszeit künftig nicht mehr aufgezeichnet werden, stellte die SPD-Politikerin in Aussicht. Bedingung ist allerdings, dass dieses Geld in den vergangenen zwölf Monaten auch regelmäßig bezahlt wurde.
Auch Familienangehörige brauchen keinen Nachweis mehr
Auch für mitarbeitende Familienangehörige, etwa in der Landwirtschaft, soll die Dokumentationspflicht gestrichen werden. Und Kontrollen dieser Arbeitszeitnachweise erfolgen künftig nicht mehr durch den Zoll, sondern nur noch, wie früher, durch die zuständigen Behörden.
Bisher liegt die Schwelle für die Aufzeichnungspflicht generell bei 2958 Euro brutto im Monat – eine Summe, die man mit dem derzeit geltenden Mindestlohn von 8,50 Euro nur durch extrem viele Überstunden erreichen kann. Legal sei dies in solchem Ausmaß nicht möglich, sagte Nahles. Saisonarbeiter und Beschäftigte mit schwankenden Arbeitszeiten dagegen kämen durch massive Mehrarbeit zeitweise sehr wohl an solche Lohnsummen heran. Für sie soll die hohe Grenze daher weiter gelten. Hier sei die Missbrauchsgefahr besonders groß, so die Ministerin. Es gebe „deutliche Hinweise“, dass Arbeitgeber gerade in diesen Branchen versuchten, den Mindestlohn durch fehlende oder falsche Aufzeichnungen zu umgehen.
CSU: Mindestlohn wird praxistauglicher
Die CSU lobte die Nachbesserung. „Ich begrüße es, dass Ministerin Nahles endlich zu Korrekturen bereit ist“, sagte Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt der Nachrichtenagentur Reuters. Damit werde der Mindestlohn „praxistauglicher“.
Allerdings sei die Sache mit den angekündigten Lockerungen „nicht erledigt". Es gebe noch weiteren Korrekturbedarf etwa beim Ehrenamt und der Haftung von Auftraggebern für Subunternehmen.
Ehrenamt soll schärfer definiert werden
Tatsächlich hat Nahles auch hier den Ball schon aufgenommen. Sie werde den Begriff des Ehrenamtes schärfer definieren lassen, kündigte sie am Dienstag an. Das Justizministerium werde bestehende Unsicherheiten durch eine Klarstellung im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) beseitigen. Ehrenamtliche Tätigkeiten, etwa in Sportvereinen, sind vom Mindestlohn ausgenommen. Für Minijobs dagegen müssen, egal ob im Verein oder anderswo, mindestens 8,50 Euro in der Stunde gezahlt werden.
In Sachen Auftraggeberhaftung sicherte Nahles eine gemeinsame Klarstellung von Arbeits- und Finanzministerium bei der Zollverwaltung zu. In den meisten Fällen gebe es keine Mindestlohn-Haftung bei beauftragten Firmen, sagte sie. Man werde das aber im Auge behalten.
Die Erleichterungen will die Ministerin schon in den nächsten Wochen per Verordnung auf den Weg bringen. Bei den Ausführungsbestimmungen sei sie immer „pragmatisch“ gewesen, betonte sie. Allerdings habe man erst einmal valide Daten sammeln und auswerten müssen.
"Mehr Lohn, mehr Beschäftigte, mehr Gerechtigkeit"
Den Mindestlohn nannte Nahles in ihrer Halbjahresbilanz ein Erfolgsmodell. Wirtschaft und Arbeitsmarkt schulterten ihn ohne Mühe. „Es gibt mehr Lohn, mehr Beschäftigte und damit auch mehr Gerechtigkeit.“ Belastende Auswirkungen auf die Beschäftigung seien „nicht zu erkennen“. Im Gegenteil. Die neuen Arbeitsmarktzahlen zeigten, dass man „mit Augenmaß“ vorgegangen sei und für die Einführung „den richtigen Zeitpunkt gewählt“ habe.
Den am Dienstag veröffentlichten Zahlen zufolge gab es im Juni mit 2,71 Millionen Arbeitslosen so wenige Erwerbslose wie seit 1991 nicht mehr. Lediglich bei den Minijobs habe es seit Einführung des Mindestlohns ein Minus gegeben, sagte Nahles. Dies sei aber durch neue sozialversicherungspflichtige Jobs mehr als kompensiert worden sei.
Sozialversicherungspflichtige Stellen statt Minijobs
So seien im März 2015 im Handel 60 000 und im Gastgewerbe 50 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mehr gemeldet gewesen als noch im Vorjahresmonat. Und die Zahl der „Aufstocker“, die neben ihrem Gehalt noch Hartz IV benötigen, sank ebenfalls. Nach der Einführung des Mindestlohns waren es 55 000 weniger.
Rainer Woratschka