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Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD)
© dpa

Digital-Offensive statt "linke Nervensäge": Der Image-Wandel der Andrea Nahles

Den Ruf der linken Nervensäge ist Andrea Nahles nie ganz los geworden. Dabei hat sich die Sozialdemokratin seit ihrer Zeit als Juso-Chefin deutlich verändert. Mit der Digitalisierung der Arbeitswelt hat die heutige Arbeitsministerin ein Thema entdeckt, das ihr helfen könnte, ihr Image zu korrigieren.

Manchmal kann es schnell gehen. Bei Andrea Nahles war es ein altmodischer Aufzug, der sie beinahe zurückbefördert hätte in eine Zeit, in der sie für alle nur die linke Nervensäge war. Damals trug sie Lederjacke, reckte die Faust in die Luft und forderte als Juso-Chefin die Ausbildungsplatzumlage mit der Parole "Wer nicht ausbildet, wird umgelegt". Nahles würde diese Zeit gerne endgültig hinter sich lassen. Aber das ist nicht so leicht, wenn man als Arbeitsministerin für die Betriebssicherheits-Verordnung zuständig ist.

Als vor wenigen Tagen bekannt wurde, dass Fahrten mit dem Paternoster nur noch nach vorheriger Einweisung erlaubt sind, war die Empörung groß. "Die Regulierungswut von Andrea Nahles macht nicht einmal vor historischen Aufzügen halt", schimpfte FDP-Chef Christian Lindner. Dass die Regelung auf Forderungen aus den Ländern zurückgeht und der Entwurf bereits in der Zeit von Nahles’ Amtsvorgängerin Ursula von der Leyen (CDU) auf den Weg gebracht wurde, spielte keine Rolle mehr.

Das Beispiel Nahles zeigt, wie schwer ein Image-Wandel ist

Das Beispiel der SPD-Politikerin zeigt, wie schwer es sein kann, einen Image-Wandel hinzubekommen. Lange war Nahles Sprachrohr des linken SPD-Flügels. Als Gerhard Schröder Bundeskanzler wurde, gehörte die junge Sozialdemokratin mit der wilden Lockenmähne zu den schärfsten Kritikern seiner Agenda 2010-Politik. Sie eckte immer wieder an: 2005 erwarb sie sich den Ruf als "Königsmörderin", als der damalige Parteichef Franz Müntefering zurücktrat. Nahles hatte zuvor in einer Kampfabstimmung im Parteivorstand gegen seinen Wunschkandidaten als Generalsekretärin gewonnen.

In der Zeit danach verschwand die Lederjacke im Schrank. Nahles arbeitet seit Jahren daran, ihr Bild zu korrigieren. Sie outete sich als gläubige Katholikin und zeigte ihre heimatverbundene Seite. Schon lange trägt sie Hosenanzüge und Bluse, ihre Haare sind gezähmt. Politisch ist sie in die Mitte gerückt. Als die Ex-Generalsekretärin vor anderthalb Jahren Ministerin wurde, war es, als ob ein Schalter umgelegt wurde: von Opposition auf Staatsfrau. Bei ihren Vorhaben bezieht sie Gewerkschaften und Arbeitgeber ebenso ein wie den Koalitionspartner. Bevor sie mit einem Alleingang scheitert, sichert sie sich im Zweifelsfall bei der Kanzlerin oder ihren Ministerkollegen ab. Den Ruf der linken Nervensäge ist die 44-jährige trotzdem nie ganz losgeworden.

Mit "Arbeiten 4.0" wagt die Sozialdemokratin sich auf neues Terrain

Doch in den letzten Monaten hat sie ein Thema entdeckt, das ihr vielleicht bei der Image-Korrektur helfen kann. Mit der Rente mit 63 und dem Mindestlohn hat Nahles die Herzensthemen der Partei abgearbeitet. Nun wagt sie sich auf neues Terrain. Unter dem Stichwort "Arbeiten 4.0" will sie eine Debatte darüber anstoßen, wie die Digitalisierung die Arbeit in Deutschland verändern wird. Auch bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf will sie die Rolle der SPD als Arbeiterpartei neu definieren. Es ist auch der Versuch, wieder mehr Wähler aus der Mitte der Gesellschaft für die Partei zu interessieren.

Im Moment vergeht kaum eine Woche, in der Nahles nicht einen Termin zur Digitalisierung macht. An einem Montag im Mai ist sie zu Besuch beim Fraunhofer Institut in Sankt Augustin, um sich Einblicke in die Arbeitswelt der Zukunft zu verschaffen. Die Wissenschaftler stellen ihr eine Aufgabe: Die Arbeitsministerin soll mehrere Bauteile so in eine Wanne legen, dass alle nebeneinander passen. Sie scheitert, aber das gehört natürlich zum Programm. Gegen die Software, welche die Forscher entwickelt haben, hat Nahles keine Chance. In wenigen Sekunden berechnet der Computer, wie die Metallteile angeordnet sein müssen, damit man sie möglichst platzsparend verstauen kann. Audi spart so allein bei der Verpackung von Heckleuchten 57 000 Euro im Jahr. "Werden die Teile denn noch von Menschen verpackt oder schon von Robotern?", fragt Nahles. Im Moment sind es noch Menschen, die nach der Anleitung des Computers arbeiten.

Die Arbeitsministerin will keine Angstdebatte führen

Nahles ist bewusst, dass "Arbeiten 4.0" kein Selbstgänger ist. Schließlich geht es um Umwälzungen, von denen keiner absehen kann, welche Folgen sie haben werden. Welche Jobs bleiben übrig? Wie lassen sich Berufliches und Privates trennen in Zeiten, in denen Mitarbeiter permanent erreichbar sein können? Bringt die Technik neue Freiheiten oder wird sie zur Last, weil niemals "Online-Feierabend" ist? Doch die SPD-Frau hat sich vorgenommen, keine Angstdebatte zu führen. "Wir wollen versuchen, eine optimistische Grundhaltung zu ermöglichen und nicht Angststarre auszulösen", sagt sie. Mit Negativdebatten, das ist ihr klar, kann ihre Partei keine Wähler gewinnen.

Dass dies bei dem Thema nicht einfach ist, erlebt Nahles immer wieder. So wie im Bildungszentrum der Handwerkskammer Köln, wo sie junge Erwachsene trifft, die eine Ausbildung nachholen. Ein Lehrling in der Tischlerwerkstatt sagt ihr, er wisse nicht, welche Chancen er später auf dem Arbeitsmarkt haben werde. "Ich habe Angst, dass der Beruf aussterben wird." Nur einen Raum weiter steht schließlich die CNC-Maschine, die in der Lage ist, automatisch zu fräsen. "Die hören Digitalisierung und machen sich Sorgen", berichtet auch Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer. Und erzählt von Meldungen aus China, wo ein Unternehmer ein ganzes Haus von einem 3-D-Drucker hat fertigen lassen.

Nahles: Digitalisierung bedeutet nicht das "Ende der Arbeit"

Gegen diese Verunsicherung setzt Nahles positive Aussagen. "Die Arbeit geht nicht aus", zeigt sie sich überzeugt. Sie wirft stattdessen die Frage auf, welche Weiterbildung die Leute brauchen, um mit den Veränderungen durch die Technik Schritt halten zu können. "Wie qualifizieren wir die Leute, die seit 30 Jahren in der Fabrik gearbeitet haben?"

Trotzdem werden Nahles’ Botschaften nicht jedem gefallen. Etwa, wenn sie sagt, dass die Arbeitszeitgesetze nicht immer in die neue Arbeitswelt passen – wie die Vorschrift, dass Beschäftigten eine elfstündige Ruhepause nach der Arbeit zusteht. Für eine Krankenschwester sei das nach wie vor gerechtfertigt, findet Nahles. Wenn aber ein Arbeitnehmer früh das Büro verlasse, um bei den Kindern zu sein und abends spät eine dienstliche Mail erledige, dürfe er nach geltendem Recht nicht am nächsten Morgen pünktlich ins Büro. Ein Hemmnis für flexiblere Arbeitszeiten, kritisiert sie.

Die Arbeitsministerin plant eine Reise ins Silicon Valley

Ihre Digital-Offensive hat Nahles systematisch vorbereiten lassen. Die Federführung hat ihr langjähriger Vertrauter Benjamin Mikfeld, der im Ministerium die Grundsatz-Abteilung leitet. Diesen Sommer will sie erst eine Arbeiten 4.0-Tour durch Deutschland machen und später das Silicon Valley besuchen. Ende 2016 will sie Vorschläge für neue Gesetze machen.

Für die SPD könnte sich das neue Thema auszahlen

Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD)
Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD)
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Die Sozialdemokratin hat ein Zukunftsthema besetzt, das eigentlich drei Kabinettskollegen unter sich aufgeteilt hatten: Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, Verkehrsminister Alexander Dobrindt und Innenminister Thomas de Maizière. Bisher sei die Debatte zu techniklastig geführt worden, es sei zu wenig um den Alltag der Menschen gegangen, kritisiert Nahles. Auch im Kanzleramt werden ihre Aktivitäten aufmerksam registriert. Nachdem Nahles eine erste Ideensammlung vorgelegt hatte, lud die Kanzlerin sie ein, beim jährlichen Sozialpartnertreffen auf Schloss Meseberg mit zu diskutieren.

Nach Ansicht des Politikwissenschaftlers Karl-Rudolf Korte könnte sich Nahles' Offensive für die SPD auszahlen. "Die Partei muss stärker nach Themen suchen, die auch für die Mitte der Gesellschaft entscheidend sind", sagt Korte. Der Wandel in der Arbeitswelt und der Umgang mit der Ressource Zeit gehörten dazu. "Wer es schafft, das in Politik zu übersetzen, kann Mehrheiten begeistern", erwartet er. Bisher habe Nahles vor allem für Verteilungspolitik gestanden. "Wenn die SPD wieder mehr Wähler erreichen will, darf sie nicht nur auf die klassischen Arbeiterthemen wie den Mindestlohn setzen." Ob Nahles diese Wandlung schaffe, müsse sie allerdings erst noch beweisen. "Bisher war sie nicht der Typ, der ausreichend Beinfreiheit für sich reklamieren konnte."

Ein Image zu ändern, könne sehr lange dauern, sagt Klaus Peter Schmidt-Deguelle. Zu rot-grünen Regierungszeiten verhalf er Finanzminister Hans Eichel zum Ruf des "eisernen Hans", heute ist er im Vorstand der Beratungsfirma WMP Eurocom. Wer einen Imagewandel schaffen wolle, müsse sich nicht nur anders kleiden, sondern auch seine Politik glaubwürdig ändern und breit erklären, sagt Schmidt-Deguelle. Er selbst sieht in Nahles heute noch die "Frontfrau", die glaube, linke SPD-Positionen vertreten zu müssen. "Das schreckt die Mitte ab und damit kommt die SPD auch nicht aus den 25 Prozent heraus."

Nahles forderte schon vor Jahren eine Arbeitsversicherung

Weggefährten von Nahles weisen hingegen darauf hin, dass ihre Veränderung nicht erst jetzt begonnen habe. Nachdem 2005 Müntefering und sie übereinander stürzten, zog sie sich in die zweite Reihe zurück und baute ihre politische Laufbahn neu auf. Als arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion arbeitete sie an einem Konzept, Arbeitnehmer neben dem Beruf weiterzubilden, sie wollte dafür die Arbeitslosenversicherung in eine Arbeitsversicherung umwandeln. Nicht viel anders klingt es jetzt, wenn sie aus der Arbeitsverwaltung eine Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung machen will.
Als Ministerin hat Nahles die Gelegenheit, stärker durchzudringen mit einer Seite, die bisher von vielen nicht wahrgenommen wurde. "Bei Andrea Nahles macht sich der Rollenwechsel bemerkbar: Als Ministerin ist sie in der Wahrnehmung der Beobachter zur Respektsperson geworden", analysiert Korte.

Beim Paternoster übrigens zog Nahles umgehend die Notbremse. In Zukunft sollen die Bundesländer selbst entscheiden können, wem sie die Fahrt erlauben und wem nicht. Auf ihrer Facebook-Seite zeigte sie Verständnis für die Empörung: "Der Paternoster ist der VW Käfer unter den Aufzügen. Nicht besonders viele Menschen fahren ihn noch, aber viele lieben ihn", schrieb sie. Sie wird dabei noch genau die Arbeitsstätten-Verordnung im Kopf gehabt haben: Abschließbare Spinde für jeden Mitarbeiter sorgten Anfang des Jahres für wochenlange Aufregung. Auch dieser Vorschlag war nicht von ihr, sondern kam über den Bundesrat. Nahles weiß, wie schnell trotzdem etwas hängen bleiben kann. Sie hat daraus ihre Lehren gezogen.

Dieser Text findet sich in der "Agenda" vom 9. Juni 2015 - einer neuen Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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