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Ein Reinigungswagen wird durch ein Bürogebäude geschoben.
© dpa

Berliner Arbeitsmarkt: Mehr Jobs – unter miesen Bedingungen

Das Berliner Betriebspanel zeigt: Zu viele Befristungen, zu wenig Jobs für Ungelernte, und der Stress in der Start-up-Welt wächst.

Jeden Monat wird jubelnd verkündet, dass die Arbeitslosigkeit in der Hauptstadt erneut gesunken ist. Aktuell beträgt sie 7,9 Prozent. Doch hinter der hübschen Statistik-Fassade verbergen sich etliche soziale Probleme. Dies wird auch im neuesten Betriebspanel deutlich, das Berlins Arbeitssenatorin Elke Breitenbach (Die Linke) am Mittwoch vorgestellt hat. Es basiert auf den Daten von 829 Berliner Betrieben.

Im vergangenen Jahr hatten demnach 1,4 Millionen Menschen in Berlin einen sozialversicherungspflichtigen Job – fast 400 000 mehr als vor zehn Jahren. Gleichzeitig hat aber die atypische Beschäftigung zugenommen: Fast vier von zehn Stadtbewohnern haben mittlerweile einen Minijob, einen Leiharbeitsvertrag, sind befristet angestellt oder in Teilzeit. Was sie eint, sind niedrigere Löhne und weniger Weiterbildung als Normalangestellte. Sie sind kaum abgesichert und haben oft Zukunftsängste.

„Das sind bittere Pillen“, sagte Breitenbach. Geringfügige Jobs kämen zwar seltener vor als im Bundesschnitt, Befristungen dafür öfter. 2017 war die Hälfte aller neuen Arbeitsverträge befristet. Deswegen habe der Senat am Tag zuvor beschlossen: Im öffentlichen Dienst und in den Berliner Landesunternehmen sollen künftig nur noch befristete Arbeitsverträge abgeschlossen werden, wenn ein sachlicher Grund vorliegt – wie etwa eine Elternzeitvertretung. Rund die Hälfte der Befristungen erfolgte im vergangenen Jahr ohne eine derartige Begründung.

Teilzeit? Das wollen Frauen doch freiwillig

Christian Amsinck, Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg, erwiderte: „Viele Frauen wollen bewusst in Teilzeit arbeiten, um Beruf und Familie miteinander vereinbaren zu können. Wer mehr Vollzeit-Arbeit ermöglichen will, muss die Betreuungsangebote für Kinder verbessern. Hier gibt es in Berlin noch viel Spielraum.“ Die hohe Befristungsrate liege daran, dass es weitaus mehr staatlich geförderte Stellen gebe als woanders – und diese üben Arbeitslose nur für einige Monate aus. Das Panel stützt die These: Werden bundesweit fünf Prozent wegen eines geförderten Jobs befristet beschäftigt, sind es in der Hauptstadt 18 Prozent.

Im Gegensatz zu anderen Teilen des Landes gibt es in Berlin weniger einfache Tätigkeiten (20 Prozent) als in Bayern oder Baden-Württemberg, wo mehr Industriekonzerne ihren Sitz haben. Dafür brauchen Menschen in Berlin für fast jede vierte Stelle einen akademischen Abschluss. Im Bundesschnitt ist das nur für jede siebte Stelle erforderlich. Was bedeutet, dass es ein kleineres Angebot für Un- oder Angelernte gibt, die keine Ausbildung gemacht und nicht studiert haben. „Das ist ein Problem, da Helferjobs immer weniger werden“, sagte Breitenbach. Zudem ist nicht einmal die Hälfte der Berliner Beschäftigten in einem tarifgebundenen Betrieb tätig. In ganz Deutschland sind es 54 Prozent. Dies zeige, „dass der Schlüssel für eine gelingende Fachkräftesicherung in den Betrieben selbst liegt. Sie müssen endlich für verlässliche Beschäftigung sorgen“, kommentierte Christian Hoßbach, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes Berlin-Brandenburg. Der Berliner Arbeitsmarkt wird stattdessen immer mehr von der Dienstleistungsbranche dominiert. Bundesweit arbeiten 15 Prozent in dem Sektor. In der Hauptstadt sind es fast doppelt so viele.

Psychische Belastung in Digitalbranche hoch

Einen Extra-Schwerpunkt legte das Panel in diesem Jahr auf die Integration von Geflüchteten und die Auswirkungen der Digitalisierung. Neun von zehn Unternehmen in Berlin hatten noch keinen Kontakt zu Menschen, die seit 2015 aus Syrien oder Afghanistan geflohen sind. Die anderen zehn Prozent waren durchaus bereit, Bewerbern eine Chance zu geben. Die Hälfte gab Flüchtlingen einen Praktikumsplatz, eine Lehrstelle oder einen regulären Job. In den allermeisten Fällen übten sie einfache Tätigkeiten aus. „Das bedeutet nicht, dass kein Flüchtling eine Ausbildung gemacht hat“, sagte Breitenbach. „Oft werden ihre Abschlüsse nicht anerkannt.“

Gemessen am Einsatz digitaler Technologien weist knapp ein Drittel der Berliner Betriebe einen geringen Digitalisierungsgrad auf, die Mehrheit einen mittleren und elf Prozent einen hohen. Die Gruppe der „digitalen Vorreiter“ – wozu auch die vielen Start-ups von Foodora bis Zalando zählen – sei damit höher als in ganz Deutschland (sieben Prozent). Positiv ist: Diese Unternehmen haben Mitarbeiter eingestellt und wollen ihre Belegschaft künftig doppelt so stark vergrößern wie die Gesamtgruppe der Unternehmen. Die Befürchtungen eines massiven Arbeitsplatzabbaus infolge der Digitalisierung sei deswegen „eher unbegründet“. Negativ fällt auf: Von psychischen Belastungen spricht über alle Branchen hinweg jeder fünfte Betrieb. Von den Digitalunternehmen ist es fast die Hälfte. Zwar könnten ihre Angestellten mehr bestimmen, wo und wann sie arbeiten. Dafür müssten sie sich aber auch stärker darum kümmern, mitzukommen.

Marie Rövekamp

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