Internationale Tourismus-Börse: Lieber reisen als sparen
Nichts machen wir Deutsche lieber als Reisen. Die niedrigen Zinsen liefern uns jetzt auch noch eine gute Entschuldigung. Doch warum wollen wir immer woanders sein als an dem Ort, an dem wir leben? Ein Kommentar
Grazie, Signor Draghi. Danke, dass Sie als Chef der Europäischen Zentralbank die Zinsen in Euro-Land in den Keller getrieben haben. Danke, dass Sparen keinen Sinn mehr ergibt. Das gibt uns die Entschuldigung, das zu tun, was wir Konsumenten lieben: Geld ausgeben, shoppen – und natürlich reisen. Das tun wir zwar immer, auch in schlechten Zeiten. So ohne Weiteres wird man ja nicht Reiseweltmeister. Doch wenn man vom höchsten europäischen Währungshüter einen ökonomischen Freibrief dazu bekommt, machen die Urlaube doch noch viel mehr Spaß.
Davon profitiert auch die ITB, die an diesem Mittwoch in Berlin beginnt. Wer seinen Sommerurlaub noch nicht gebucht hat oder auf der Suche nach aufregenden, exotischen Reisezielen ist, kann sich in den nächsten Tagen in den Messehallen am Funkturm inspirieren lassen. Sie wollten immer schon mal in die Mongolei und in Jurten schlafen? Nur zu, das diesjährige Partnerland der Messe freut sich auf zahlungskräftige Touristen aus Deutschland.
Der schwache Euro ist eine neue Erfahrung
Zahlungskräftig? Na ja. Der Euro ist schwach. Für deutsche Urlauber ist das eine neue Erfahrung. Wandern in der Schweiz? Zu teuer. Lachse fangen in Norwegen? Sprengt das Urlaubsbudget. Und statt nach London oder Stockholm sollte man vielleicht lieber nach Paris oder Wien fahren. Der schwächelnde Euro ist die Schattenseite der niedrigen Zinsen, die den Konsum so verführerisch machen.
In vielen Ländern aber ist der Euro noch immer gern gesehen. In Tunesien etwa oder in Ägypten, die auf die Ferienflieger aus Deutschland angewiesen sind. Als die Hotelburgen dort leer blieben, weil die Urlauber Angst vor Unruhen hatten, hat das die Volkswirtschaften der Tourismusländer in eine tiefe Krise gestürzt. Pauschalreisende, die mit Neckermann ans Rote Meer fahren oder nach Djerba, bringen wertvolle Devisen. Und deutsche Familien, die ihre Ferien auf Kreta oder Rhodos verbringen, helfen Griechenland, wieder auf die Beine zu kommen. Reisen ist Privatsache, aber wenn Millionen reisen, ist das auch Wirtschafts- und Entwicklungspolitik. Und denkt man an die Emissionen, die die Flieger ausstoßen, ist es auch Umweltpolitik, oder besser gesagt Antiklimapolitik.
Reisen ist keine Absage an die Heimat
Deutsche, das weiß man, reisen oft, aber kurz. Warum eigentlich? Was ist es, das uns dazu treibt, ständig auf Achse zu sein? Ist es die Gier nach Erlebnissen, die Angst, etwas zu verpassen, ist es Langeweile oder Beziehungslosigkeit? Ist das Leben, das wir alltäglich führen, so leer, das wir uns ständig an einen anderen Ort wünschen? Wahrscheinlich ist es ein bisschen von allem. Eines ist es aber nicht: eine Absage an die Heimat. Denn noch immer bleiben die meisten Deutschen im Land. Rund ein Drittel ziehen Sylt, Berchtesgaden oder den Bodensee einem Urlaub in Italien oder der Türkei vor.
Oder sie fahren nach Berlin und treffen hier auf Reisende aus aller Welt. Die Rollkoffer, die morgens früh Kreuzberg aufwecken, oder die Klingeln in Wohnanlagen, die wie bei Ferienwohnungen üblich nur noch Nummern und keine Namen zeigen, nerven. Doch wenn wir nach Istanbul reisen oder nach Amsterdam, sind es unsere Koffer, die über die Bürgersteine holpern. „Jeder ist Ausländer, fast überall“, weiß ein deutsches Sprichwort. „Reisen ist tödlich für Vorurteile“, hat Mark Twain geschrieben. Das ist richtig, und deshalb ist Reisen gut. Danke, dass es jetzt noch leichter ist, Signor Draghi!
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