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Der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold.
© imago/Metodi Popow

Grünen-Politiker Sven Giegold: "Wir brauchen auch in Deutschland ein Lobbyregister"

Für Europaabgeordnete gelten beim Umgang mit Lobbyisten künftig neue Regeln. Der Grünen-Politiker Sven Giegold fordert ähnliche Schritte in Deutschland.

Herr Giegold, führende Europaabgeordnete müssen künftig offenlegen, mit welchen Lobbyisten sie bei der Erarbeitung von Gesetzesvorschlägen Treffen anberaumt haben. Warum war es so schwierig, einen entsprechenden Beschluss im Europaparlament hinzubekommen?

Es hat vier Jahre gedauert, bis es am Donnerstag zum Abstimmung kam. Christdemokraten und Liberale waren strikt gegen verbindliche Lobbytransparenz. Wir haben es letztlich geschafft, weil über Jahre mehrere hunderttausend Bürgerinnen und Bürger in E-Mails und Petitionen dieses Thema vorangebracht haben. Zudem ist die EU-Kommission einen großen Schritt zur Transparenz vorangegangen. Das hat das Europaparlament derart unter Druck gesetzt, dass wir jetzt eine Mehrheit bekommen haben.

Kritiker wenden ein, dass mit dem Beschluss vertrauliche Treffen zwischen Abgeordneten und Informanten erschwert würden.

Das trifft nicht zu. Wenn ein Abgeordneter von sich aus eine Information – auch von einem Unternehmen oder einer Nichtregierungsorganisation – anfordert, muss er das nicht offenlegen. Nur wenn ein Lobbytreffen anberaumt wird, dann ist das künftig öffentlich. Lobbytransparenz ist gute Praxis in den USA, in Kanada, in Irland und künftig auch im Thüringer Landtag. Dahinter steckt ja, dass finanzstarke Organisationen ein offenes Ohr in der Politik finden, andere hingegen nicht. Dieses Ungleichgewicht wird jetzt sichtbar. Das wird sicherlich in Zukunft beispielsweise Verbraucherschützern oder unabhängigen Wissenschaftlern helfen, damit sich Türen besser öffnen.

Allerdings betrifft der Beschluss des Europaparlaments lediglich Parlamentarier, die als Berichterstatter, Schattenberichterstatter oder Ausschussvorsitzende an der Gesetzgebung mitwirken.

Ich hätte mir gewünscht, dass die neuen Regeln für sämtliche Parlamentarier gelten. Ich selbst und andere Grünen-Kollegen legen unsere Treffen ja schon jetzt offen. Aber der Beschluss war das Maximum, was der Rechtsdienst des Europaparlaments für zulässig hielt. Im Übrigen ist das Europaparlament hier wieder einmal Vorreiter. Es wäre an der Zeit, dass auch die EU-Mitgliedsländer mit ihren Regierungen und Parlamenten jetzt nachziehen. Gerade die Bundesregierung und der Bundestag sollte jetzt den fortschrittlichen Regelungen auf EU-Ebene folgen - und ja auch denen in Thüringen.

Wie soll das gehen?

Wir brauchen auch in Deutschland ein Lobbyregister, in dem alle Lobbyverbände mit ihren Budgets und Lobbyzielen öffentlich gemacht werden. Ein Eintrag in ein solches Register muss für Interessensverbände Voraussetzung sein, damit man Zugang zur Regierung und zum Parlament bekommt. Darüber hinaus sollten bei der Regierung und im Parlament Lobbytreffen zwischen Verwaltung, Regierungsmitgliedern und Abgeordneten transparent werden – wie wir es jetzt auch in Europa machen.

Gilt diese Forderung auch für die Vertretung der Bundesregierung in Brüssel?

Absolut. Hier haben wir die gleiche Situation: Wir verhandeln derzeit mit dem Rat der Mitgliedstaaten und der Kommission über eine Reform des Lobbytransparenzregisters, das wir schon länger in Brüssel haben. Dieses Register erfasst die Mitgliedstaaten nicht. Bislang hat Deutschland nur angeboten, dass sich die Spitze der Ständigen Vertretung in Brüssel nur ausnahmsweise ausschließlich mit registrierten Lobbyisten trifft - und zwar während der jeweiligen EU-Präsidentschaften, die alle 14 Jahre anstehen. Das ist ein schlechter Scherz, aber keine Lobbytransparenz.

Brüssel muss mit dem Vorwurf leben, ein Hort des Lobbyismus zu sein. Stimmt der Vorwurf?

Nein. Der Lobbyismus musste in Brüssel nicht erfunden werden. Ich weiß aus vielen EU-Gesetzgebungsverfahren, dass nationale Regierungen die wirksamste Interessenvertretung für finanzstarke Lobbys in der EU-Politik sind. In Brüssel, wo sämtliche 28 Mitgliedstaaten vertreten sind, gibt es insgesamt rund 25.000 Lobbyisten, während es allein in Berlin ungefähr 6000 sind. Aber grundsätzlich gilt: Wir müssen auf allen Ebenen begrenzen, was Geld in der Politik darf, um unsere Demokratie zu verteidigen.

Das Gespräch führte Albrecht Meier.

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