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Alle Proteste vergebens: Auf absehbarer Zeit wird im Osten drei Stunden länger gearbeitet als im Westen.
© dpa

Der Osten arbeitet drei Stunden länger: In der Metallbranche bleibt die Einheit unvollendet

Metaller im Osten arbeiten länger als ihre Kollegen im Westen. Verhandlungen über eine 35-Stunden-Woche sind erneut gescheitert. Jetzt droht ein Häuserkampf.

Kaum ist die Beziehung kaputt, geht es los mit den wechselseitigen Vorwürfen. „Die IG Metall hat längst besprochene Punkte wieder zurückgezogen“ und wollte ein Lösung „diktieren“, klagte der Berliner Siemens-Manager Stefan Moschko, der auf Seiten der Arbeitgeber die Tarifverhandlungen führte. „Die Arbeitgeber haben mündliche Zusagen gemacht und sich dann schriftlich nicht daran gehalten“, schimpfte Olivier Höbel, Verhandlungsführer der Gewerkschaft. Nach einem anderthalbjährigen Gesprächsmarathon „zerstören die Arbeitgeber mutwillig den Flächentarifvertrag in Ostdeutschland und blockieren die soziale Einheit“.

Bei den Arbeitgebern klingt das anders: „Wir hatten die Chance, den Flächentarifvertrag in Ostdeutschland zu stärken.“ Doch dann habe die IG Metall die Verhandlungen „überraschend abgebrochen“.

Die Tarifpartnerschaft ist zerrüttet. Und die ostdeutschen Metaller arbeiten auf absehbare Zeit länger als die Kollegen im Westen. Kurz vor dem 29. Jahrestag der deutschen Vereinigung ist das bitter für die Arbeitnehmer. Im Westen gilt im wichtigsten Industriebereich seit Mitte der 1990er Jahre die 35-Stunden-Woche, nachdem die IG Metall mit Hilfe eines mehrwöchigen Arbeitskampfes den Weg dorthin freigemacht hatte.

Im Osten scheiterte ein entsprechender Versuch 2003 – die IG Metall verlor den Arbeitskampf, weil es zu wenige streikbereite Belegschaften gab. Die Ost-Metaller arbeiten also noch immer drei Stunden länger als die West-Metaller; das macht über das Jahr gerechnet ein Monatsgehalt aus.

Der Verdruss über diese Diskrepanz ist vor allem in den Betrieben groß, die mindestens so produktiv sind wie ähnliche Fabriken im Westen: Das gilt für die Autowerke von VW, BMW und Porsche in Zwickau und Leipzig oder die ostdeutschen Standorte von ZF, Siemens oder Mercedes.

In diesen Betrieben hat die IG Metall viele Mitglieder, die ihrer Gewerkschaft einen klaren Auftrag erteilt haben: Wir wollen nicht ewig länger arbeiten als im Westen. IG Metall-Chef Jörg Hofmann sorgte dann dafür, dass am Rande des letztjährigen Gehaltstarifabschlusses die Arbeitgeber eine Gesprächsverpflichtung zur Angleichung der Arbeitszeit unterschrieben.

Der Plan lautete: In drei Schritten bis 2030 zur 35

Der Prozess kam in Gang. Höbel, IG- Metall-Chef von Berlin, Brandenburg und Sachsen, verständigte sich bis November mit den regionalen Arbeitgebern auf ein Eckpunktepapier mit Schritten Richtung 35 Stunden. Doch die Regionalverbände wurden von Gesamtmetall, dem Dachverband der Arbeitgeber, zurückgepfiffen.

Höbel und Moschko mussten zurück auf Start und kamen in den vergangenen Monaten wieder voran: Sie vereinbarten ein Parallelmodell zwischen dem gültigen Manteltarifvertrag mit der 38-Stunden-Woche und dem Arbeitszeitverkürzungsmodell des so genannten TV Zukunft, wonach bis zum 31. Dezember 2030 die 35-Stunden-Woche in der ostdeutschen Metallindustrie eingeführt wird.

In Schritten: Zum 1. Juli 2020 geht es runter auf 37 Stunden. Die Reduzierung um eine weitere Stunde auf 36 Stunden erfolgt zwischen dem 1. Januar 2023 und dem 31. Dezember 2026; wann genau, entscheiden die Betriebsparteien. Zwischen dem 1. Januar 2027 und dem 31. Dezember 2030 erfolgt der letzte Schritt auf 35. Auch hier entscheiden die Geschäftsführer gemeinsam mit den Betriebsräten über den genauen Zeitpunkt. Über die Kostenkompensation sollten die Betriebsparteien ebenso entscheiden wie über Maßnahmen, mit denen das Arbeitsvolumen im Betrieb insgesamt konstant gehalten wird. In Zeiten des Fachkräftemangels sollten Beschäftigte auch auf Basis des Tarifvertrags länger arbeiten dürfen.

Jetzt wackelt der Flächentarifvertrag

„Wir waren einer Lösung sehr nah, die mehr Spielraum für Betriebe und Beschäftigte gegeben hätte, Arbeitszeiten betriebsindividuell zu gestalten und dadurch den Flächentarif in Ostdeutschland wieder zu stärken“, äußerte Moschko am Dienstag sein Bedauern. Die Arbeitgeber seien weiter an einer Lösung im Flächentarif interessiert.

„Ein Flächentarifvertrag ist ein Zeichen gelebter Sozialpartnerschaft und absolut erstrebenswert“, appellierte Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach an die Tarifpartner. „Ein Angleichen der Arbeitszeiten in Ost und West wäre zudem ein wünschenswertes Signal der Angleichung der Lebensverhältnisse“, sagte der SPD-Minister dem Tagesspiegel. Für den DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann gehört „zur längst überfälligen Angleichung der Lebensverhältnisse auch die Angleichung der Arbeitszeit. Länger arbeiten zu müssen, nur weil man in einem anderen Bundesland wohnt, ist für die Menschen nicht nachvollziehbar und verstärkt den Frust“, sagte Hoffmann dem Tagesspiegel und forderte die Arbeitgeber zur Beweglichkeit auf.

Ohne Druck, das zeigen die vergangenen 18 Monate, wird das nichts. „Jetzt werden wir Betrieb für Betrieb die Arbeitszeitverkürzung angehen“, kündigte Höbel an. Also dort, wo die Gewerkschaft viele Mitglieder hat, wird sie die Arbeitgeber zu Arbeitszeitverkürzungen zu bewegen versuchen. Das ist für die großen Betriebe schlecht, denn die einzelbetriebliche Regel kommt teurer als ein Flächentarif. Deshalb ist nicht ausgeschlossen, dass die Konzerne die Arbeitgeberverbände auffordern, einen weiteren Verhandlungsversuch zu starten. Das hat indes für Höbel keinen Sinn mehr. „Die Arbeitgeber wollen die 35-Stunden-Woche in Ostdeutschland nicht.“

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