Zoff unter Sozialpartnern: Beziehungskrise in Metall
Die schwache Führung von Gesamtmetall und der Streit um die Arbeitszeitverkürzung im Osten belasten die Sozialpartnerschaft.
Dieser Ton passt nicht zu einer intakten Sozialpartnerschaft. „Die Schwäche der Spitze von Gesamtmetall in Berlin, die in keiner Weise einen adäquaten Gesprächspartner für die IG Metall darstellt, verhindert konstruktive Lösungen.“ Das schreiben der IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann und der Tarifexperte der Gewerkschaft, Stefan Schaumburg, in einer Analyse der Tarifrunde 2018. Und weiter: „Es gibt im Gesamtverband auf Arbeitgeberseite keine Persönlichkeiten, die eigene Perspektiven entwickeln und vertreten.“
Vor einer Woche trafen sich Spitzenvertreter von Gesamtmetall und IG Metall am Frankfurter Flughafen, um über gemeinsame Positionen gegenüber der Politik und überhaupt über den Transformationsprozess zu sprechen, den Hofmann mit den Begriffen Dekarbonisierung und Digitalisierung kennzeichnet. Oliver Zander (54), seit Februar 2013 Hauptgeschäftführer in der Gesamtmetall-Zentrale, beschwerte sich über die verbale Attacke der Gewerkschafter. Doch das interessierte die versammelten Spitzenfunktionäre auf beiden Seiten nicht besonders. Zander gilt als erledigt. Der hauptamtliche Chef des mächtigen und schwerreichen Arbeitgeberverbandes ist in den Augen der Gewerkschafter unseriös, unfähig und unzuverlässig. Das alles sind Attribute, die man Tarifpartnern besser nicht zuschreibt. Sogar von „bösartig“ ist bisweilen die Rede, wenn es zum Zander geht.
500 000 Metaller arbeiten im Osten
Das Theater um die Arbeitszeitverkürzung in der ostdeutschen Metall- und Elektroindustrie mit ihren rund 500 000 Beschäftigten hat Zander womöglich den Rest gegeben. In den mächtigen Regionalverbänden von Gesamtmetall im Süden und Westen der Republik findet sich inzwischen niemand mehr, der dem Berliner Spitzenfunktionär den Rücken stärkt. Zander ist schwach und der ehrenamtliche Präsident des Dachverbandes, Rainer Dulger, nicht stark. Der Unternehmer aus Heidelberg war im September 2012 als Nachfolger von Martin Kannegiesser zum Präsidenten gewählt worden. Und versucht immer noch, in die Schuhe des Vorgängers hineinzuwachsen. Bei der diesjährigen Mitgliederversammlung von Gesamtmetall können sich die 70 haupt- und ehrenamtlichen Führungspersönlichkeiten an diesem Freitag in Stuttgart mit der eigenen Führungsschwäche befassen. Und sich überlegen, wie sie die IG Metaller im Streit um die Arbeitszeit Ost vom Baum holen.
Berliner Verband zurückgepfiffen
In der entscheidenden Verhandlungsnacht der vergangenen Tarifrunde hatte die IG Metall den Arbeitgebern im Februar 2018 noch eine Gesprächsverpflichtung über die Verkürzung der Arbeitszeit im Osten abgerungen. Die Vertreter des Verbandes der Metall- und Elektroindustrie in Berlin-Brandenburg (VME) nahmen das ernst und trafen sich häufiger mit der hiesigen Führung der IG Metall. Zander interessierte das Thema offenbar nicht.
Im Herbst 2018 verständigten sich dann VME und IG Metall auf Eckpunkte einer Arbeitzeitverkürzung in Schritten: Bis 2030 hätten demnach die Metaller eine einheitliche tarifliche Arbeitszeit von 35 Stunden gehabt. Im Westen gilt seit Mitte der 1990er Jahre die 35-Stunden-Woche, im Osten wird 38 Stunden gearbeitet. Doch als das Eckpunktepapier auf dem Tisch lag, wurden die Verbandsfürsten in Bayern und Baden-Württemberg wach, denn deren Mitglieder – BMW und Porsche, Siemens und Mahle, ZF und Daimler – haben große Produktionsstätten im Osten.
Jetzt droht Häuserkampf
Das Papier wurde nach einer Intervention der mächtigen Westverbände zurückgezogen und Zander beauftragt, Verhandlungen aller Ost-Metallverbände mit der IG Metall zu koordinieren. Das ging schief. Vor knapp zwei Wochen platzten die Verhandlungen. Und ein paar Tage später am Frankfurter Flughafen lehnten die IG Metall-Bosse weitere Gespräche unter der Führung Zanders ab. Auf Seiten der Arbeitgeber war übrigens bei dem Treffen kein einziger Vertreter aus dem Osten zugegen.
Jetzt ist eine Zuspitzung da, die niemand wollte. Die IG Metall droht, in den großen Betrieben, in denen sie viele Mitarbeiter hat, die Unternehmen zu raschen Arbeitszeitverkürzungen zu zwingen. Das finden VW, Siemens und Co. nicht schön und sind entsprechend sauer auf Zander. Um dem „Häuserkampf“ in einzelnen Unternehmen zu entgehen, drängen die großen Gesamtmetall-Mitglieder auf eine Branchenlösung. Womöglich erlaubt man doch noch dem Berliner VME und dem sächsischen Verband eine Lösung zu finden. VME-Verhandlungsführer Stefan Moschko – beruflich als Siemens-Personalmanager in Berlin tätig – würde gerne und könnte auch.
IG Metall ist schwach im Osten
Dramatisch ist folgendes Szenario: Die IG Metall kündigt den Manteltarif für den Osten zum 30. September. Das Thema spielt dann auf dem Gewerkschaftstag im Oktober eine Rolle und schwappt rüber in die Tarifrunde 2020. Das will eigentlich kein Gewerkschafter, weil allen die böse Niederlage im Arbeitskampf um die Arbeitszeitverkürzung im Osten 2003 noch in den Knochen steckt.
Damals wie heute gilt: Die Arbeitskampftruppen der IG Metall in Ostdeutschland sind überschaubar. Deshalb führt Olivier Höbel, der Verhandlungsführer der Gewerkschaft beim Thema Arbeitszeit Ost, auch gerne die gesellschaftliche Verantwortung der Arbeitgeber für den Vereinigungsprozess ins Feld. Das aber ist wenig realistisch. Unternehmen folgen keinen sozialmoralischen Appellen, wenn Verteilungskonflikte anstehen. Die IG Metall hat zwar keine Ost-Power. Aber die 2,3 Millionen Mitglieder zählende Gewerkschaft lässt sich auch nicht am Nasenring durch die Landschaft ziehen. Das hätte Zander wissen müssen.
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