Arbeitszeit im Osten: IG Metall traut sich 35-Stunden-Woche zu
14 Jahre nach dem verlorenen Arbeitskampf um die 35-Stunden-Woche im Osten will die IG Metall einen neuen Anlauf wagen.
Die 35-Stunden-Woche ist tot, es lebe die 35-Stunden-Woche. Für IG Metall-Chef Jörg Hofmann hat die Zahl 35 „einen hohen Stellenwert als Orientierungsmarke“, obwohl sich immer weniger daran halten. Im Westen, wo der Kampf der Gewerkschaft um die Arbeitszeitverkürzung in den 1980er Jahren begann und Mitte der 1990er mit der Einführung der 35-Stunden-Woche endete, arbeiten heute 30 Prozent der Beschäftigten sogar mehr als 40 Wochenstunden – mit Billigung der IG Metall. Und die ostdeutschen Metaller sind genau drei Stunden von der Hofmannschen Orientierungsmarke entfernt, die tarifliche Wochenarbeitszeit beträgt hier 38 Stunden.
680 000 Metaller haben sich zur Arbeitszeit geäußert
Die mit 2,3 Millionen Mitgliedern größte deutsche Gewerkschaft hat in den vergangenen Monaten 680 000 Beschäftigte in rund 7000 Betrieben nach ihren Erfahrungen und Wünschen mit der Arbeitszeit befragt. Alles in allem gebe es den „Wunsch nach selbstbestimmtem Arbeiten“, sagt IG Metall-Chef Hofmann. Unter bestimmten Umständen wollen die Metaller weniger als 35 Stunden arbeiten und dabei ein Rückkehrrecht auf Vollzeit haben. Und wenn die Arbeitszeit verkürzt wird – etwa für Weiterbildung, Erziehungs- oder Pflegezeiten – dann hätte die IG Metall gerne einen Lohnausgleich. Den soll der Arbeitgeber zahlen.
Im Westen sind die meisten Metaller zufrieden
Womöglich wird die Gewerkschaft in der Anfang 2018 anstehenden Tarifrunde einen solchen Ausgleich durchzusetzen versuchen. Sollten sich die Arbeitgeber auf so etwas einlassen, dann wird das jedoch die Entgelterhöhung schmälern. Und ob das wiederum die Beschäftigten wollen, ob sie dafür auch in den Warnstreik zu ziehen bereits sind, ist keinesfalls sicher. Zumal im Westen mehr als 70 Prozent der Metaller, die sich an der aktuellen Umfrage der Gewerkschaft beteiligten, mit der Arbeitszeit ziemlich gut leben können.
Im Osten ist das anders, hier sind mehr als 40 Prozent der Beschäftigten nicht zufrieden. „Das Verlangen der Beschäftigten in den neuen Bundesländern ist eindeutig“, sagt Hofmann dazu. Rund 90 Prozent der Ost-Metaller wünschen sich die Angleichung der tariflichen Arbeitszeit an den Westen. Im Osten kommt also die Forderung nach der 35-Stunden-Woche erneut auf die tarifpolitische Agenda – 14 Jahre nach der historischen Arbeitskampfniederlage. Der Arbeitszeittarif läuft in Sachsen, wo die IG Metall ihre meisten Mitglieder hat, Mitte 2018 aus. Und Hofmann hat die Botschaft verstanden. Er will sich auf den Weg machen Richtung 35. Kein leichter Weg.
Der Sommer 2003 war ein Desaster
Im Sommer 2003 stolperte die IG Metall im Kampf um die 35-Stunden-Woche im Osten in ihre übelste Krise. Der Streit um die Führung der Gewerkschaft – der erste Vorsitzende Klaus Zwickel versuchte den zweiten Vorsitzenden Jürgen Peters als seinen Nachfolger zu verhindern – und der missglückte Arbeitskampf überlagerten sich. Zwickel versuchte, das Scheitern des Streiks Peters in die Schuhe zu schieben, der damals neben dem ostdeutschen IG Metall-Chef Hasso Düvel die Verantwortung für die Tarifauseinandersetzung trug. Doch Peters blieb standhaft, und am Ende musste Zwickel vorzeitig abtreten.
Die IG Metall brauchte ein paar Jahre, um sich von der Schlammschlacht an der Spitze zu erholen. Die ostdeutschen Metaller arbeiten bis heute drei Stunden länger als ihre Kollegen im Westen. Wenn Hofmann jetzt einen Angleichungsprozess vereinbaren will, dann wird das nur über mehrere Stufen und Jahre zu machen sein. Da der Fachkräftemangel im Osten inzwischen in manchen Regionen größer ist als im Westen, haben viele Arbeitgeber zunehmend ein Interesse an attraktiven Arbeitsbedingungen für ihre Belegschaften. Die Kampfkraft der IG Metall ist allerdings im Osten deutlich geringer als im Westen.
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