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Der Dreifachtrurm "De Rotterdam" steht auf dem Wilhelminapier, einer Halbinsel des Kop van Zuid in Rotterdam.
© imago/Westend61

Vertikale Stadt in Rotterdam: Wohnen, Arbeiten und Shoppen unter einem Dach

Das Hochhaus „De Rotterdam“ des niederländischen Architekten Rem Koolhaas sollte eine vertikale Stadt werden. Am Ende musste sich alles dem Kalkül der Investoren fügen.

Seit vielen Jahren bemüht sich die niederländische Stadt Rotterdam, die durch die Verlegung des einst stadtbildprägenden Hafens in das Mündungsgebiet von Maas und Schelde frei gewordenen Areale zu bebauen. Kop van Zuid („Kopf von Süd“) heißt eine lang gestreckte Halbinsel, gleich gegenüber dem Stadtzentrum gelegen und mit ihm längst durch die elegante Erasmusbrücke für Autos, Straßenbahn und die allgegenwärtigen Fahrräder verbunden. Erst weiter südlich beginnt der alte, ärmere Süden der Stadt, mit seinen in manchen Straßenzügen gänzlich gleichförmigen Geschosswohnungsbauten für die arbeitende Bevölkerung.

Kop van Zuid ist gewissermaßen das Gelenk zwischen Innen- und Außenstadt. Von hier gingen früher die Linienschiffe nach New York ab, deren stolzestes, die „SS Rotterdam“, am Kopf einer benachbarten Insel als Touristenattraktion besucht wird. Die Bebauung der zuvor mit niedrigen Lagerhäusern bestückten Halbinsel kommt jedoch nur sehr allmählich voran. Die Krise im Bausektor infolge der Finanzkrise 2008 ließ auch das ambitionierte Projekt ins Stocken geraten: den Bau des verschachtelten Hochhauses, das erst 2013, nach einem Jahrdutzend Planungs- und Bauzeit, im Wesentlichen fertiggestellt werden konnte. „De Rotterdam“ heißt der gewaltige Klotz ganz unbescheiden und nimmt den Rang als flächengrößtes Gebäude der Niederlande ein.

"De Rotterdam" gilt als erstes Beispiel einer vertikalen Stadt

Entworfen haben ihn der niederländische Architekt Nummer 1, Rem Koolhaas, und sein Büro „Office for Metropolitan Architecture“ (OMA). Und weil Koolhaas, der die ersten Jahre seiner Berufslaufbahn eher mit dem Abfassen von Manifesten zugebracht hat als mit dem Bauen aus Stahl und Beton, gerne den Begriff der „Vertikalen Stadt“ anstelle des aufs Äußerliche gemünzten „Wolkenkratzers“ benutzt, gilt nun „De Rotterdam“ als erstes Beispiel einer solchen vertikalen Stadt – Anlass genug, sich das in der Praxis nach ein paar Jahren Nutzungsdauer anzusehen.

162 000 Quadratmeter verteilen sich in „De Rotterdam“ auf sechs Gebäudeteile, die in zwei Dreiergruppen aufeinanderstehen, wobei die Einzelbauten leicht gegeneinander versetzt sind. Hinzu kommt ein schmaler, zurückgesetzter, von unten bis nach oben ins 44. Stock durchgehender Gebäudeteil. Vom anderen, dem innerstädtischen Ufer aus und beim Überschreiten der Erasmusbrücke ergibt sich der Anblick eines Stapels hochkant gestellter Bauklötze.

Sie stehen über einem vergleichsweise flachen Sockel, dessen Horizontale durch Fassadenbänder betont wird und der selbst wieder in eine Sockelzone aus vollständig verglasten Foyers und drei darüberliegenden, in hartem Beton beinahe undurchsichtig abgeschlossenen Parkhausetagen gegliedert ist.

Koolhaas' Ideen für die Gestaltung der Fassaden wurden verworfen

Wenn Koolhaas gekonnt hätte, wie er wollte, sähe die äußere Ansicht etwas anders aus. Das zeigt sich in mehreren Details. Reizvoll war der ursprüngliche Gedanke, den sechs „Einzelklötzchen“ unterschiedliche Fassaden zu geben, um so die verschiedenen Funktionen zu betonen. Stattdessen wurde eine durchgehende Gestaltung aus Metallstreifen und raumhohen, schmalen Fenstern gewählt, die das Gesamtbauwerk optisch sehr einheitlich zusammenschließt. Tatsächlich unterscheiden sich die Stockwerksteilungen der drei aus jeweils zwei übereinanderstehenden Teilbauten bestehenden Gebäudesäulen. Sie unterscheiden sich indes nicht sehr: Die Raumhöhen weisen Unterschiede von maximal zwanzig Zentimetern auf und die Gesamtzahlen differieren gerade einmal um vier Stockwerke. Eine stärkere Differenzierung, wie sie Koolhaas anfangs für den Apartmenttrakt vorgeschwebt haben mag, ließ sich aus Gründen der Vermarktbarkeit nicht durchsetzen.

Vertikale Stadt – das soll heißen, dass die Funktionen einer Stadt nicht auf der ebenen Fläche angeordnet sind, sondern sich innerhalb eines Gebäudes in unterschiedlichen Stockwerken finden.

Koolhaas hat dazu in seinem wunderbaren Buch „Delirious New York“ Beispiele aus dem Manhattan der dreißiger Jahre aufgeführt, als der Hochhausboom zu allerlei verrückten Einfällen führte, neben denen sich heute gängige Ideen wie etwa ein Swimmingpool im Oberstübchen recht zahm ausnehmen.

In Berlin will die CG-Gruppe (Berlin und Leipzig) im ehemaligen Postscheckamt am Halleschen Ufer ein „vertikales Dorf in der Metropole“ einquartieren – in einem bereits bestehenden Gebäude.

Das Riesenbauwerk ließ sich nur schwer vermarkten

Seit Mitte der 1990er Jahre wurde das Rotterdamer Hafengebiet in ein Wohn- und Arbeitsgebiet umgewandelt.
Seit Mitte der 1990er Jahre wurde das Rotterdamer Hafengebiet in ein Wohn- und Arbeitsgebiet umgewandelt.
© mauritius images/VIEW Pictures/Inigo Bujedo Aguirre

Doch die Vertikalität ist in Rotterdam auch eher nur Behauptung. Am Ende musste sich alles dem Kalkül des (im Laufe der Jahre mehrfach wechselnden) Bauherren-Investors fügen. Daraus macht der Vertreter von OMA im Gespräch durchaus keinen Hehl. Das Riesenbauwerk ließ sich anfangs nur schwer vermarkten. Und so musste die Stadtverwaltung als „Ankermieter“ den Anfang machen. Sie quartierte sich im durchgehenden Turmteil ein. So hatte man sich im unternehmungslustigen Rotterdam die Sache wohl nicht vorgestellt. Erst danach ging die Rechnung auf, in einem Gebäudeteil ein Hotel unterzubringen, in zwei weiteren Teilen Apartments mit Größen zwischen 80 und 150 Quadratmetern. Auf den restlichen Flächen wurden – natürlich – Büros angeboten.

Das Foyer ist als Gemeinschaftszone konzipiert. Mit einigen Abstrichen. Denn die Wohnungsmieter (70 Prozent) und -eigentümer (30 Prozent) legten Wert auf einen exklusiven und extra gesicherten Zugangsbereich. Auch das Hotel mit seiner Rezeption sollte nicht einfach in eine quasi-öffentliche Zone integriert werden. So blieb lediglich die Mitte des Sockelgeschosses zum Durchwandern von der Straße zum Ufer frei, ein bisschen aufgepeppt durch einen mobilen Kaffeeausschank. Gewiss, es gibt auch Restaurants, doch gediegene Gastronomie findet sich auf Kop van Zuid anderenorts, namentlich im markanten historischen Kopfbau der Schifffahrtsgesellschaft „Holland America Line“, der von der Eröffnung an als instant success allabendlich ein jugendliches Publikum in den weiträumigen, ehedem für Amerika-Auswanderer vorgesehenen Wartesaal lockt.

Das Hotel der Kette „nhow“, das die Etagen 6 bis 22 des Ostturms okkupiert, tut sich durch viel Design der Richtung „jung und hip“ hervor – wie auch in Berlin.

Die Fenster lassen sich nicht öffnen, Lüftungsklappen müssen genügen

Jüngere Firmenbelegschaften kommen in Rotterdam gerne zu Wochenend-Incentive-Seminaren. Abends frequentieren sie gemeinsam mit Rotterdamer Stadtbewohnern die riesige Bar im sechsten Stockwerk, deren Terrasse mit herrlichem Blick auf die Skyline der hoch aufgeschossenen Innenstadt von Rotterdam auf dem Parkhaus-Unterbau aufliegt.

Spektakulär sind die Ausblicke von jenen Zimmern, die auf den Fluss, die Neue Maas, hinausgehen. Da stören denn auch die konstruktionsbedingten, mächtigen Vierkantpfeiler nicht, die durch alle Etagen reichen und das Gebäude mit seinen Vorhangfassaden tragen. Man hat sie gelegentlich vor der Nase. Beim Fensteröffnen hindern sie nicht – denn die raumhohen Fenster lassen sich gar nicht öffnen. Lüftungsklappen müssen genügen, aus Gründen der Sicherheit, wohl aber auch aufgrund der heftigen Winde am Ufer eines breiten, wie eine Schneise vom Meer in die Stadt hineinreichenden Mündungsflusses.

„Wir suchten nach einer zeitlosen Architektur“, sagt der OMA-Vertreter noch: „Mit unterschiedlichen Fassaden hätte es doch sehr nach 90er Jahren ausgesehen.“ Das darf man wohl als Anspielung auf die Experimentierfreude von OMA zu Beginn ihrer längst weltumspannenden Tätigkeit verstehen. Bei einem Gebäudekomplex, der am Ende mit 350 Millionen Euro Baukosten zu Buche schlug, ist die Wahl einer ästhetisch dauerhaften Gestaltung indessen verständlich. Die verbal so gern beschworene „Vertikale Stadt“ jedoch ist auch in Rotterdam nicht Wirklichkeit geworden, und Kop van Zuid ist kein Manhattan en miniature, trotz mittlerweile mehrerer Wohntürme bis hinauf zu dem schlanken Viereckturm von Álvaro Siza Vieira mit seinen 153 Metern. Das tut indessen dem Stolz der Kommune, ein solches Rekordbauwerk wie „De Rotterdam“ als sichtbares Zeichen seiner urbanen Erneuerung zu besitzen, keinen Abbruch.

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