Stararchitekt Rem Koolhaas wird 70: Rastlos in die Zukunft
Streng, durchdacht und rastlos: Rem Koolhaas gilt mit seinen visionären Entwürfen als Architekt der Zukunft. In Berlin will er mit einem Neubau für den Springer-Konzern auch den "Arbeitsplatz der Zukunft" schaffen. Ein Rundumblick zum 70.
Dieser Architekt ist der Gegenwart immer schon meilenweit voraus . Nichts Geringeres als den „Arbeitsplatz der Zukunft“ schaffe er mit seinem Entwurf für den Neubau des Springer-Konzerns, rühmte unlängst dessen Vorstandsvorsitzender in der Kochstraße in Berlin. Dem so Bejubelten muss es gefallen haben, denn das ist der Anspruch, den er an seine Arbeit stellt: der Zeit voraus zu sein, in der seine Entwürfe gebaut werden. Lange waren seine Entwürfe auch dem Bauen voraus, hat man ihn eher als anregenden Visionär wahrgenommen denn als Architekt, gar als einen der weltweit führenden seiner Zunft, der er ohne Zweifel ist. Vor 14 Jahren schon erhielt er den Pritzker-Preis, die höchste Auszeichnung des Metiers. Die Jury verkündete, Koolhaas sei „der strengste Architekt unserer Tage und mit der Zukunft sehr im Einklang“. Erstaunlich, wie die von Koolhaas beständig zwischen Apokalypse und Paradies angesiedelte Zukunftsrhetorik in diese Laudatio einfloss.
Rem Koolhaas wurde in Rotterdam geboren, vier Jahre nach der vollständigen Zerstörung der Stadt durch die deutsche Luftwaffe. Das Unstete, Unbehauste seines späteren Lebens muss die Folge der frühen Erfahrung von Zerstörung und Provisorium sein. Koolhaas arbeitete zunächst als Journalist und Doku-Filmer, ehe er in London – seither einer seiner bevorzugten Aufenthaltsorte – Architektur studierte. Seine Abschlussarbeit von 1972 widmete er der Berliner Mauer, die damals für die Ewigkeit geschaffen schien. Koolhaas verglich sie als Abfolge disparater Sequenzen mit dem Film.
Koolhaas: Zukunft der Architektur oder running gag?
So versteht er Architektur noch heute: als unendliche Reihe von Sinneseindrücken, von Bildern; nicht etwa als die festgefügte Materialität, die sie zu sein vorgibt. Architektur als Tektonik, als Zusammenklang von Stütze und Last, interessiert Koolhaas nicht im Mindesten – es sei denn als deren Aufhebung. Wie bei der Fernsehzentrale in Peking, die sich spiralförmig über die Schwerkraft erhebt.
In Berlin könnte das mit dem Springer-Neubau ein weiteres Mal Wirklichkeit werden. Ob das allerdings die Zukunft der Architektur ist oder lediglich der running gag eines ihrer größten Virtuosen, wird man sehen, wenn die Nutzer eingezogen sein werden. Dann wird Koolhaas längst bei neuen Visionen angekommen sein. Ihm ist es beschieden, niemals ein Alterswerk zu schaffen, sondern immer neue Etappen auf einem unendlichen Weg. Der ist mit spektakulären Bauten gepflastert, wie der – gleichfalls spiralförmig angeordneten – Niederländischen Botschaft in Berlin, dem Konzerthaus in Porto oder zuletzt dem von ihm als „vertikale Stadt“ bezeichneten Drillingshochhaus am Flussufer seiner Heimatstadt.
Koolhaas treibt als Professor in Harvard seine Studenten an
„Geld interessiert mich überhaupt nicht“, betont Koolhaas immer wieder, und man glaubt es ihm sogar, so asketisch, wie der groß gewachsene, schlanke Mann daherkommt. Im Nebenberuf ist er Professor in Harvard und treibt seine Studenten zu umfangreichen Recherchen an, die das theoretische Beiwerk seiner Entwürfe liefern.
Zuletzt hat er die Architektur-Biennale von Venedig geleitet, und selten zuvor war eine Biennale derart durchdacht, so ganz ohne das Feuerwerk an Floskeln, das Koolhaas ansonsten abbrennt, seit er 1978 mit dem Buch „Delirious New York“ über die wahnwitzigen Widersprüche Manhattans Furore machte. Am heutigen Montag wird der rastlose Rotterdamer 70 Jahre alt.