Alexanderplatz als Hochhausstandort: Wie geplante Wohntürme das Zentrum der Stadt verändern
Der Alex soll künftig entkommerzialisiert und zugänglicher werden. Auch das Umfeld muss dem Rechnung tragen.
Alexanderplatz. Dieser berühmt-berüchtigte Ort, der 1805 nach Zar Alexander I. benannt und fast 200 Jahre später zum Ort des friedlichen Protests wurde und das Ende des DDR-Regimes erahnen ließ. Verewigt im Roman „Berlin Alexanderplatz“, wo Alfred Döblins Protagonist Franz Biberkopf den Rausch der Großstadt in vollen Zügen erlebt, ist der Alex heute mehr als ein historischer Ort. Er ist vielmehr ein Verkehrsknotenpunkt und kommerzielles Zentrum der Stadt, das Straßenkünstlern eine Bühne bietet und Anziehungspunkt ist für Touristen und Berliner, die sich zum Shoppen treffen.
Über die Aufenthaltsqualität des Platzes selbst lässt sich trefflich streiten. Kaum jemand käme auf die Idee, hier seine Mittagspause am Brunnen der Völkerfreundschaft zu verbringen oder gemütlich mit seinen Kindern über den Platz zu spazieren – vor allem abends, wenn sich Jugendbanden in den Ecken herumdrücken. Die raue Geselligkeit der Vorkriegsjahre wurde vom Kommerz und dessen Folgen verdrängt. An 200 Tagen im Jahr steppt hier der Bär in Form verschiedener Märkte und Feste mit den immergleichen Buden – ganz zu schweigen von den Einkaufstempeln und Imbissen, die den Rand des Platzes säumen. Auch der einst prämierte Masterplan der Architekten Hans Kollhoff und Helga Timmermann, der den Bau von elf Hochhäusern vorsah, hätte die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum kaum verbessert. Und so liegt dieser Plan seit 1993 quasi in der Schublade.
Das Rennen um den ersten Wolkenkratzer
Nun kommt aber mit dem wachsenden Druck auf den Berliner Wohnungsmarkt wieder Bewegung in die Idee, den Alexanderplatz als Hochhausstandort zu entwickeln und zusätzlichen Wohnraum zu schaffen. 2013 stellte der amerikanische Entwickler Hines seine von Stararchitekt Frank Gehry entworfenen Pläne für das „Alexanderplatz Residential“ am nordöstlichen Rand des Platzes vor. Allerdings haben sich die Bauarbeiten für den 150 Meter hohen Wohnturm aufgrund von Bauschäden am darunterliegenden U-Bahntunnel verzögert. Die Fertigstellung ist nun für 2019 geplant.
Im Rennen um den ersten Wolkenkratzer der Stadt gibt es russische Konkurrenz an der Ecke Grunerstraße/Alexanderstraße, wo Monarch plant, einen von Ortner & Ortner entworfenen 150 Meter hohen Turm zu errichten. „Alexander Tower“ soll laut seinem Vermarkter Bewocon in den unteren drei Etagen Einzelhandsflächen bieten – in direkter Konkurrenz zum benachbarten Alexa – sowie ein hauseigenes Privatkino und einen Fitnessclub für die Bewohner der Luxuswohnungen in den 32 Etagen darüber. Die Kaufpreise für die Wohnungen, die vom 30 Quadratmeter Singleapartment bis zum üppigen Penthouse reichen, werden bei rund 5000 Euro pro Quadratmeter beginnen.
Die Stadt Mietwohnungen dringender als Luxusbleiben
Auf der Rückseite des Alexa sind die Bauarbeiten für das „Grandaire“ des niederländischen Investors Reggeborgh Vastgoed bereits im Gang. Am 26. September fand die feierliche Grundsteinlegung für den 65 Meter hohen Turm statt. Bis Ende 2020 sollen hier 269 Wohnungen entstehen: 164 hochwertige Zwei- bis Fünfzimmer-Eigentumswohnungen sowie 105 Mietwohnungen. Diese, soweit die Monatsmieten bezahlbar sind, braucht die Stadt dringender als Luxusbleiben für den internationalen Jetset. Und als ob es rund um den Alexanderplatz nicht schon genügend Einkaufsmöglichkeiten gäbe, werden auch im „Grandaire“ 650 Quadratmeter Ladenfläche im Erdgeschoss zur Verfügung stehen.
Auf der anderen Seite des Alexanderplatzes möchte der neue französische Eigentümer des Hotels Park Inn neben dem Hotelhochhaus eine bauliche Ergänzung schaffen. Und bei Kaufhof denkt man ebenfalls über Baumaßnahmen nach. Konkrete Pläne gibt es allerdings nach Angaben der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung derzeit noch nicht.
Der Wohnanteil am Alexanderplatz liegt heute bei 50 Prozent
Aber damit bleibt die Frage nach der Aufenthaltsqualität des Alexanderplatzes und seiner ihn umgebenden Straßenräume weiterhin unbeantwortet. Eine Frage, die angesichts der geplanten neuen Wohnungen an Relevanz zunimmt. Denn bereits heute liegt der Wohnanteil am Alexanderplatz und seinen benachbarten Quartieren bei 50 Prozent. Mit der nun angelaufenen Entwicklung zum Hochhausstandort wird dieser Anteil merklich zunehmen – insbesondere im Hochpreissegment. „Ein Schlüsselaspekt wird zweifelsohne sein, wie wir in der Zukunft den Verkehr regeln wollen“, sagte Carola Bluhm, Fraktionsvorsitzende der Linken im Berliner Abgeordnetenhaus, kürzlich bei der Auftaktveranstaltung der Reihe „StadtWertSchätzen 2017“. „Der Alexanderplatz selbst wird vielleicht eines Tages weniger kommerziell werden und mehr Aufenthaltsqualität bieten, aber wir müssen über die mehrspurigen Straßen sprechen.“ Den Platz zugänglicher und begehbarer zu machen ist denn auch eine der zehn Bürgerleitlinien, die aus der Stadtdebatte zur Berliner Mitte hervorgegangen sind.
"Wir brauchen eine neue Städtebaukulisse"
Weitere Leitlinien sehen vor, die Geschichte der Berliner Mitte besser sicht- und erlebbar zu machen, diesen Stadtteil als Ort der Kultur und Kreativität zu schützen und den angrenzenden Platz vor dem Rathaus für demokratische Debatten zu öffnen. „Wir haben hier die einmalige Situation, dass fast alle derzeitigen Wohngebäude um den Alexanderplatz bis runter zum alten Stadtkern im Nikolaiviertel der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte (WBM) gehören“, erklärt Manfred Kühne, Leiter der Abteilung Städtebau und Projekte in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. „Das gibt uns auch die Möglichkeit, mehr kulturellen und sozialen Einrichtungen bezahlbare Flächen anzubieten anstatt hochkommerziellen Mietern, die Höchstpreise bezahlen können.“
Problematisch sei bislang – trotz eines Konsens unter den verschiedenen Akteuren, dass der Alex entkommerzialisiert werden soll – die Koordination der Maßnahmen. So seien in den vergangenen 25 Jahren keine Städtebaufördermittel für die Berliner Mitte genutzt worden. „Wir brauchen eine neue Städtebaukulisse“, bekräftigt Kühne. „Die WBM, der Bezirk, wir und andere haben viele Ideen, aber es mangelt an Koordination“. Die Tatsache, dass mit der neuen Aufteilung der Ressorts auch noch Umwelt und Verkehr, Städtebau und Wohnen, sowie Denkmalschutz getrennt wurden, mache die Sache nicht einfacher. „Aber es gibt eine gemeinsame Agenda. Wir brauchen nur eine sinnvolle Arbeitsteilung, dann können wir relativ viel machen“, so Kühne.
Das Haus der Statistik soll ein Vorzeigebeispiel werden
Eine Schlüsselrolle könnte dabei das Haus der Statistik einnehmen, das mit der geplanten Mischung aus Wohnen, Kultur, Soziales und Verwaltung als Brücke zu den umliegenden Wohngebieten dienen kann. Momentan seien die Verhandlungen zwischen dem Bund als Noch-Eigentümer und der Stadt auf einem guten Weg, wie der Stellvertretende Bezirksbürgermeister und Bezirksstadtrat von Mitte, Ephraim Gothe (SPD), bestätigt. Der Senat habe bereits 80 Millionen Euro für den Kauf bereitgestellt. „Zum Glück sind sich Zivilgesellschaft, Bezirk und Senat darüber einig, wie das Haus der Statistik entwickelt werden soll – und wenn der Kauf noch 2017 abgeschlossen wird, denke ich, werden die Pläne auch zügig umgesetzt“, so Gothe, der für den kommenden Winter eine 40 000 Quadratmeter große Traglufthalle auf dem ehemaligen Parkplatz plant. Hier sollen Obdachlose Schutz vor der winterlichen Kälte finden. „Das Grundstück gehört der Stadt, und es mit einer sozialen Einrichtung, wenn auch nur einer temporären, zu markieren, setzt ein Zeichen.“
„Wir hoffen, mit dem Haus der Statistik ein Vorzeigebeispiel zu schaffen“, ergänzt Manfred Kühne und bezieht sich dabei auf den demokratischen Entwicklungsprozess und dessen Ergebnis. „Unser Ziel ist es, das Haus zum Ausgangspunkt für eine neue Entwicklung in Mitte zu machen und die Qualität des Alexanderplatzes zu erhöhen, weg von seiner derzeitigen radikal-kapitalistischen Nutzung.“ Damit wäre nicht nur den Anwohnern des Alex, sondern allen gedient.