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Raus aus den Turnhallen wie dieser an der Königin-Luise-Straße sollen die Flüchtlinge möglichst bald.
© Tagesspiegel/Thilo Rückeis

Unterkünfte für Flüchtlinge: Pionierbauten sollen den Kern von neuen Wohngebieten bilden

Damit schnell gehandelt werden kann, will der Senat einen neuen Ausnahmeparagraphen im Baugesetzbuch nutzen. Er erlaubt, Flüchtlingsunterkünfte ohne Bebauungsplan zu beginnen.

Mit einem neuen Konzept will der Senat schnell neue Unterkünfte für Flüchtlinge errichten. „Pionier-Wohnungsbau“ heißt das Stichwort. Die Idee ist, auf freien Grundstücken zunächst Bauten für Flüchtlinge schnell zu errichten. Um sie herum sollen dann nach und nach ganze Quartiere entstehen.

„Was als Flüchtlingsunterkunft begonnen hat, wird zur Keimzelle für eine langfristige Entwicklung mit normalem Wohnungsbau, so dass am Ende gewachsene Nachbarschaften und lebenswerte Wohnviertel entstehen“, sagte Bausenator Andreas Geisel (SPD) Anfang dieser Woche bei der Vorstellung des Konzepts.

Noch in diesem Jahr sollen so an zehn Standorten insgesamt 3000 Wohnungen gebaut werden, gab der Senat bekannt. „Der Vorwurf ist ja immer, dass Flüchtlingsheime isoliert sind. Genau das soll es eben nicht werden. Sondern es sollen neue Nachbarschaften und sozial gemischte Quartiere entstehen“, sagt Martin Pallgen, Sprecher der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung.

Mit dem Konzept betritt Berlin nach Angaben des Bausenators Neuland. Möglich wird das durch den neuen Absatz 9 in Paragraph 246 des Baugesetzbuches. Er besagt, dass im Außenbereich für eine begrenzte Zeit Unterkünfte für Flüchtlingen errichtet werden dürfen. Außenbereiche liegen – anders als der Name es vermuten lässt – nicht unbedingt weit vom Schuss. Sondern unter den Begriff fallen alle Grundstücke, die nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans liegen. Bis Ende 2019 dürfen Einrichtungen für Flüchtlinge und Asylbewerber in Außenbereichen gebaut werden. Allerdings verlangt das Gesetz einen räumlichen Zusammenhang mit beplanten Flächen.

Genau das hat der Senat vor: Die zukünftigen neuen Wohnquartiere werden anfänglich nach den Vorgaben von Paragraph 246 entwickelt. Parallel dazu sollen die Bebauungspläne entstehen.

Keimzellen für die städtebauliche Entwicklung

Das Konzept ist unabhängig von den 60 neuen modularen Typenbauten für Flüchtlinge, die im Stadtgebiet entstehen. „Aller Voraussicht nach wird dafür der erste Spatenstich gemacht, wenn es frostfrei ist“, sagt Pallgen. Allerdings könnten auch die künftigen Pionierbauten Typenhäuser sein – müssen es aber nicht, sagt der Sprecher.

Auf jeden Fall sollen schnell Keimzellen für die weitere städtebauliche Entwicklung entstehen, damit die Flüchtlinge „aus den Turnhallen rauskommen“, sagt Pallgen. Später, wenn Flüchtlinge zu Bürgern geworden seien, könnten die Gebäude dann als Studentenwohnheime, für altersgerechtes Wohnen oder als Gemeinschaftshäuser sinnvoll weitergenutzt werden.

Flächen für die Pionierhäuser hat der Senat zurzeit noch nicht. „Wir gucken, wo es städtebaulich sinnvoll ist“, sagt Martin Pallgen. Die Standorte sind also nicht deckungsgleich mit den zehn Flächen für die geplanten Großsiedlungen mit 50.000 Wohnungen bis 2026, von denen bei der Vorstellung von Geisels Plänen die Rede war. Fünf Standorte dafür stehen bereits fest. Es sind die Elisabeth-Aue in Pankow, das Kurt-Schumacher-Quartier auf dem Flughafen Tegel, das Projekt Parks Range auf dem ehemaligen Truppenübungsgelände in Lichterfelde-Süd, die Buckower Felder in Neukölln und die Heidestraße am Hauptbahnhof.

Eine Fläche für Pionierbauten könnte allerdings die Elisabeth-Aue werden. Sie sei erst in etwa drei Jahren baureif, sagt Martin Pallgen. „Bauten für Flüchtlinge kriegt man in acht bis zehn Monaten hin. In dieser Zeit schaffen Sie ja nie Baurecht“, sagt er. Fest stehe die Elisabeth- Aue als mögliche Fläche für die Pionierbauten aber nicht. Drumherum werde in jedem Fall ein Bebauungsplan aufgestellt.

Neue Unterkünfte in der Wiesenburg

Kritiker des Pionier-Konzepts befürchten, dass die von Anwohnern zum Teil heftig bekämpften Neubaugebiete in Berlin mit dem Konzept durchgedrückt werden sollen. Für die Fläche in Lichterfelde-Süd sieht Martin Pallgen das nicht, weil sie privat von der Groth-Gruppe entwickelt werde. Pionierbauten würden dort wohl nicht entstehen.

Romantische Ruinen der Wiesenburg.
Romantische Ruinen der Wiesenburg.
© Doris Spiekermann-Klaas

Als Bauherren für die Pionierbauten sollen die sechs städtischen Wohnungsgesellschaften auftreten. Zu Einzelheiten wollen sie sich aber noch nicht äußern: „Da sind wir noch nicht so weit“, sagt etwa Lutz Ackermann von der Degewo.

Weiter fortgeschritten sind die Pläne für die verwunschene Wiesenburg in Wedding. Die Degewo hatte das weitläufige Gelände 2014 erworben und will dort unter anderem neue Flüchtlingsunterkünfte bauen. Passend ist der Standort: Die Wiesenburg wurde von wohlhabenden Berlinern, darunter Rudolf Virchow, August Borsig und dem Mitbegründer der SPD, Paul Singer, als Asyl für Obdachlose gebaut. Arme und gestrandete Menschen fanden dort ein Zuhause, bis die Wiesenburg von den Nationalsozialisten geschlossen wurde.

Heute haben sich viele Künstler und Gewerbetreibende auf dem zwölf Hektar großen Areal niedergelassen. Dort will die Degewo nun nach dem vereinfachten Verfahren des Paragraphen 246 Wohnungen errichten. Philosophie des Unternehmens ist, für alle zu bauen – nicht nur für Flüchtlinge, sagt Ackermann. Zwar seien die neuen Gebäude aktuell für die Erstunterbringung gedacht. „Doch wer in zehn Jahren dort wohnt, weiß man nicht. Es gibt ja auch ganz viele Berliner, die dringend eine Wohnung suchen.“

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