Stadtentwicklung: Neubau ist machbar
Berlin hat noch große Potenziale für den Wohnungsbau, sagt Stadtplaner Jörn Walter. Es kommt auf die Zusammenarbeit der Beteiligten an.
In allen deutschen Großstädten ist es schwer, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Nirgendwo aber ist die Situation so angespannt wie in Berlin - eine Stadt hofft auf Neubau. Die Hauptstadt wuchs in den Vorjahren rasant, die Mieten steigen, die Kaufpreise explodieren. Immobilienexperten sind sich einig: Um mehr Wohnungen zu bauen, müssen Politik und Wirtschaft besser zusammenarbeiten. Kann Berlin dabei von Hamburg lernen? Der Senat der Hansestadt hatte 2011 ein ehrgeiziges und langfristig angelegtes Wohnungsbauprogramm formuliert. Ein Ziel: 10000 neue Wohnungen pro Jahr, 3000 davon geförderte Mietwohnungen für Haushalte mit kleinen und mittleren Einkommen. Die Elb-Metropole setzt bei ihrem "Bündnis für das Wohnen in Hamburg" auf Kooperation mit Wohnungsverbänden, Bewohnern, Architekten, Bauherren und Stadtplanern. Obwohl die Zielmarken nicht ganz bwt, bzw. nur knapp erreicht wurden, können die Erfolge sich sehen lassen: 2018 wurden 11243 neue Wohnungen genehmigt. 2017 waren es knapp 8000. Beim geförderten Wohnungsbau meldet der Senat für 2018 exakt 2466 neue Einheiten. Die Anfangsmiete: 6,50 Euro pro Quadratmeter. Nach Angaben des Statistischen Amtes für Hamburg und Schleswig-Holstein sind in Hamburg im Jahr 2019 insgesamt 9805 neue Wohnungen mit einer Wohnfläche von 818670 Quadratmetern fertig gestellt worden. Auch bei den Baugenehmigungen lag Hamburg im Jahr 2019 weiter auf hohem Niveau. Mit insgesamt 11 632 genehmigten Wohnungen stieg die Zahl der Baugenehmigungen gegenüber 2018 um 4,9 Prozent.
Der Tagesspiegel hat Jörn Walter gefragt, wie das geht. Er war von 1999 bis 2017 Oberbaudirektor von Hamburg und prägte die Stadtplanung entscheidend mit. Was hat Hamburg in den vergangenen Jahren richtig gemacht?
Herr Walter, Deutschlands Metropolen scheinen infolge des Zuzugs aus ländlichen Regionen und durch Zuwanderung aus anderen Ländern aus allen Nähten zu platzen. Welche „Essentials“ würden Sie in einen Masterplan schreiben, um die Entwicklungen städteplanerisch aufzufangen?
Walter: Im Kern geht es natürlich darum, dass wir mehr Wohnungen, vor allem mehr bezahlbare Wohnungen in den Städten brauchen. Das wird nicht zum Nachteil der Städte sein, wenn wir dabei gleichzeitig gestalterischer Defizite heilen und eine bessere soziale und funktionale Durchmischung erzielen. Bei genauerem Hinsehen gibt es in fast allen Großstädten noch erhebliche Wachstumspotenziale, denken Sie nur an die mindergenutzten Flächen entlang unserer Hauptverkehrsstraßen, die brachfallenden Flächen durch den Strukturwandel in der Wirtschaft und an die zum Teil extrem dünn besiedelten Flächen aus der Wiederaufbauzeit nach dem Krieg. Schönere, vielfältigere und lebendigere Städte werden die Lebensqualität nicht verschlechtern, sondern verbessern.
Von allen deutschen „A“-Städten scheint Hamburg es in den vergangenen Jahren die beste Wohnungsbaupolitik „gefahren“ zu haben. Es wird hier weniger über Enteignung debattiert als andernorts, offenbar stehen Investoren in Hamburg auch nicht generell als „Halsabschneider“ unter Generalverdacht. Geht man in der Hansestadt einfach nur feiner miteinander um oder verwendet die Hansestadt andere Instrumente als andere Metropolen? Welche sind das?
Hamburg hat für die große und vielschichtige Aufgabe von vorneherein auf ein breites Bündnis zwischen der Wohnungswirtschaft, dem Senat und den Bezirken gesetzt. Der Zusage der Wohnungswirtschaft, in jedem Jahr für mindestens 10000 Wohneinheiten im Drittelmix aus sozialem Wohnungsbau, frei finanziertem Mietwohnungsbau und Eigentumswohnungsbau sowie für vordringlich Wohnungssuchende zu beantragen, stehen die Zusagen der Stadt gegenüber. Sie beinhalten zum Beispiel beschleunigte Genehmigungsverfahren, die Bereitstellung von Bauland aus eigenen Beständen für mindestens 2000 Wohneinheiten pro Jahr, die Verpflichtung zu Konzeptausschreibungen, bei denen nicht der Grundstückspreis (Gewichtung: 30 Prozent), sondern die soziale, ökologische oder städtebauliche Qualität entscheidend ist (Gewichtung 70 Prozent) und die Förderung von Baugruppen zu einem Anteil von 20 Prozent. Trotzdem ist das in der Praxis nicht konfliktfrei. Entscheidend für eine erfolgreiche Umsetzung ist deshalb ein monatliches Controlling aller relevanten Daten und Fakten. Außerdem gehört eine Konfliktliste dazu. Sie wird vom Wohnungsbaubeauftragten geführt. Über die Problemfälle entscheidet achtmal im Jahr eine Senatskommission unter Leitung des Ersten Bürgermeisters und der Beteiligung aller Bezirksamtsleiter und relevanten Senatsbehörden.
Wie müssen Partizipationsprozesse strukturiert werden, damit sie erfolgreich zu einem Ende kommen. Oder anders gefragt: Wie offen oder wie zielorientiert dürfen/müssen Partizipationsprozesse sein?
Eine starke Zivilgesellschaft ist erstmal eine große Qualität, auch wenn einen das im Falle allzu egoistischer Einzelinteressen nach dem Motto „Not in my backyard“ auch mal richtig ärgern kann. Transparenz und Partizipation in den Verfahren sind deshalb aus meiner Sicht unverzichtbar. Art und Umfang hängen entscheidend von der Dimension des Vorhabens, der konkreten Konfliktlage und den beteiligten Akteuren ab und können nur im Einzelfall richtig festgelegt werden. Sie reichen von einfachen Beteiligungsformen über umfangreiche Mediationsverfahren bis hin zu Sonderformaten, wie wir sie zum Beispiel mit der „Planbude“ im Fall der Esso-Häuser in St. Pauli hatten. Entscheidend für den Erfolg ist ein angemessener Ausgleich zwischen den Wünschen der Bauherren, denen der betroffenen Nachbarschaft und denen der Allgemeinheit. Das verlangt Offenheit und Verlässlichkeit auf allen Seiten, also nicht nur der Verwaltung, sondern gerade auch der Bauherren, was leider noch nicht immer der Fall ist, vor allem, wenn es um die finanziellen Seiten eines Projektes geht. Trotz dieser Mängel sind die meisten Verfahren am Ende doch erfolgreich und erzielen bessere Ergebnisse. Dennoch wird es immer wieder Fälle geben, in denen die Standpunkte nicht angenähert werden können. In diesen erwarten die Bürger, dass nicht nur geredet, sondern auch mal durch die Politik entschieden wird.
Welche Qualitäten einer Stadt können geplant werden, welche nicht?
Städtebauliche Planung kann im Kern nur die räumlich-physische Struktur unserer Städte beeinflussen. Kaum Einfluss hat sie darauf, was die Menschen, Nachbarschaften und Unternehmen daraus in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht machen. Insoweit kann ich dem Weltverbesserungsversprechen der Planer und Architekten der ersten Moderne nicht folgen. Ich meine aber, dass Städtebau und Architektur sozial ausgewogene Nachbarschaften, innovationsfreudige Quartiere und nachhaltige Lebensweisen befördern, aber auch behindern können.
Leuchtet Ihnen das vielerorts zu hörende Lamento über den Mangel an Bauland in den Metropolen ein und wie wäre dem am ehesten und schnellsten zu begegnen: Durch Verdichtung in der Mitte oder durch die Einbeziehung des Umlandes?
Die Lage ist nicht in allen deutschen Städten gleich, aber die meisten – wie auch Hamburg oder Berlin – haben noch erhebliche Nachverdichtungspotenziale. Vielleicht nicht in ihren Zentren und gründerzeitlichen Quartieren, aber in den großen Zonen, die zwischen ihnen und den Stadträndern liegen und treffend als „Innere Peripherien“ bezeichnet werden. Ich bin überzeugt, dass wir das im internationalen Vergleich immer noch sehr moderate Wachstum unserer Städte aus ökologischen Gründen und zur besseren Nutzung unserer vorhandenen Infrastruktur weitgehend innerhalb der bestehenden Siedlungskulissen bewältigen können und müssen. Das mag in Einzelfällen – wie etwa in München – nicht mehr möglich sein, weshalb hier ist eine bessere Mitwirkung des Umlandes zwingend notwendig ist. Machen wir uns aber auch ansonsten nichts vor: Der dramatische Miet- und Kaufpreisanstieg in den Metropolen wird eine neue Welle der Stadt-Umland-Wanderung auslösen. Es ist dringlich, diesem durch Neubau in den Städten entgegenzutreten.
Von welchen Städten – weltweit gesehen – lässt sich mit Blick auf Gentrifizierung und Schaffung moderner Quartiere etwas lernen? Machen diese richtig, was in Deutschland gelegentlich misslingt?
Von Stockholm können wir lernen, welche positiven Wirkungen ein über lange Zeit konsequent eingesetztes Erbbaurecht hat, von Wien und Singapur die Bedeutung starker kommunaler Gesellschaften für einen kontinuierlich geförderten sozialen Wohnungsbau. Zürich hat vorbildlich facettenreiche Kooperativen und Baugruppen unterstützt, Rotterdam künstlerische Initiativen und Startups zur besseren Durchmischung der Quartiere mit Arbeitsplätzen gefördert.
Sie kennen sich mit Stadtplanung in Deutschland aus wie kein Zweiter. Wie lassen sich Planungsprozesse wirksam verkürzen?
Es ist schon viel gewonnen, wenn die vorgeschriebenen Verfahren stringent, effizient und intelligent eingesetzt werden. Das bedeutet, eine zügige und gut koordinierte Bearbeitung der Stellungnahmen der Träger öffentlicher Belange, die parallele Durchführung von Planungs- und Baugenehmigungsverfahren und die Nutzung von Vorweggenehmigungsmöglichkeiten. Dazu muss natürlich das nötige Personal in den Verwaltungen vorgehalten werde, woran es durch die vielen Sparwellen in den vergangenen beiden Dekaden vielerorts mangelt. Und wir dürfen nicht übersehen, dass wir mittlerweile ein extrem ausgefeiltes Verfahrensrecht haben, das nicht der Lösung von inhaltlichen Konflikten dient, sondern nur der Einhaltung von ritualisierten Formalitäten. Es verbraucht extrem viel Zeit und Arbeitsaufwand an den falschen Stellen. Und es überträgt die sachliche Verantwortung von der Gesellschaft und Politik auf die Gerichte. Dieser Missstand bedarf dringend einer grundlegenden Reform.
Das aktualisierte Interview wurde zuerst in Tagesspiegel-Beilage "Neubauten 2019" veröffentlicht.
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