Neubau in Berlin: Kommunale wollen klotzen
Die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften haben große Pläne. Sie wollen ihren Bestand kräftig aufstocken. Um genug Wohnraum zu schaffen, werden aber auch die privaten Investoren gebraucht.
Die frohe Botschaft ist in eine schicke Broschüre verpackt, ihr Titel „Wir bauen für Berlin“. 60.000 Wohnungen wollen die kommunalen Wohnungsgesellschaften in den nächsten zehn Jahren selbst errichten. Auf 88 Seiten steht, wie gut geplant die Projekte sind: Preiswert und energieeffizient, kompakt und doch qualitätsvoll werden sie sein, lautet das Versprechen.
So ganz erschließt sich nicht, warum die Wohnungsgesellschaften das jetzt in dieser Form publizieren, zumal die bisher noch unbekannten Neubaustandorte erst am 5. April in einer gesonderten Pressekonferenz bekanntgemacht werden sollen. Das kündigte Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) diese Woche bei der Vorstellung der Broschüre zusammen mit Stefanie Frensch von der Howoge und Snezana Michaelis von der Gewobag an. Außerdem sind 34.000 der 60.000 neuen Wohnungen bereits im Bau oder in der konkreten Planung.
Offenbar ist das Büchlein als vertrauensbildende Maßnahme gedacht. Die dahinter stehende Frage: „Können die das?“, sprach Geisel selbst aus. Vielleicht wirft auch die Abgeordnetenhauswahl im September ihre Schatten voraus. Nach dem Motto „Bei uns läuft alles“ sollen sich die Berliner in guten Händen wissen.
Tatsächlich haben die sechs kommunalen Wohnungsbaugesellschaften in den vergangenen Jahren einiges geleistet: 2012 hatten sie sich verpflichtet, ihren Bestand um 30.000 Wohnungen auf 300.000 Wohnungen auszubauen. Zurzeit sind es schon 310.000, informiert Sabine Pentrop, Sprecherin der Howoge.
"Bisher wurden vor allem hochpreisige Mietwohnungen gebaut"
Zu den selbst errichteten Neubauwohnungen sollen in den nächsten zehn Jahren noch 30.000 zugekaufte Wohnungen kommen. Die landeseigenen Gesellschaften würden so im Jahr 2026 einen Bestand von 400.000 Wohnungen erreichen.
Das sind immer noch weniger als kurz nach der Wende. Damals befanden sich 480.000 Wohnungen im Besitz von städtischen Gesellschaften. Damals waren das 28 Prozent aller Wohnungen. Heute decken Degewo, Gesobau, Gewobag, Howoge, Stadt und Land sowie WBM knapp 20 Prozent des Berliner Mietwohnungsmarktes ab.
Bisher seien in Berlin „im Wesentlichen Eigentumswohnungen und hochpreisige Mietwohnungen gebaut worden“, sagte der Senator. Inzwischen aber seien die städtischen Gesellschaften zum „Motor des bezahlbaren Wohnungsbaus“ geworden.
Flächensparend wollen sie vorgehen und statt drei bis vier Geschossen fünf, sechs und sieben Etagen in die Höhe ziehen, sagte Geisel. Das sei angesichts der Spekulation mit Grundstücken in der Stadt geboten: „Die Preise steigen in irrationaler Weise an.“ Das Land Berlin verfüge aber über ausreichend Flächen, sagte Geisel.
Im Stadtentwicklungsplan (STEP) Wohnen stand das 2013 noch anders: „Die weitaus meisten Potenzialflächen befinden sich überwiegend in Privateigentum. Nur ein vergleichsweise geringer Anteil sind landeseigene Flächen, der größte Teil davon in der Äußeren Stadt oder am Innenstadtrand.“ Unter dem Druck immer größeren Zuzugs – nicht nur von Flüchtlingen – wurden seitdem einige Flächennutzungspläne geändert.
Sieben Etagen statt fünf
In der Privatwirtschaft kommt es nicht so gut an, dass der Senat den landeseigenen Gesellschaften Grundstücke zur Bebauung überlässt. „Nicht glücklich“ jedenfalls zeigte sich darüber Michael Stübner von der CD Deutsche Eigenheim bei einer Pressekonferenz am vergangenen Donnerstag.
Um erschwinglichen Wohnraum zu realisieren „bleiben nur die Randlagen“, sagte Stübner. Und Michael Kunze von der NCC ergänzte: „Wir würden gern mehr bauen, wenn wir die Grundstücke bekämen.“ Zumindest sollten in Zukunft mehr Etagen möglich sein, als der NCC zuletzt bei einem Grundstück in Pankow genehmigt wurden. Nur fünf Geschosse durften es dort sein, berichtete Kunze, obwohl die NCC gern siebengeschossig gebaut hätte.
Gebraucht werden die Privaten auf jeden Fall, denn Berlin hat einen Neubaubedarf von 20.000 Wohnungen jährlich in den kommenden zehn Jahren. Wenn die Landeseigenen davon 10.000 schaffen oder beauftragen, bleibt für die Privatwirtschaft immer noch die andere Hälfte übrig.
Spottbillig werden aber auch die neuen Wohnungen der Landeseigenen nicht sein: Von 10 700 Wohnungen, die dieses Jahr im Bau sind oder fertig werden sollen, haben 3700 Wohnungen eine Einstiegsmiete von 6 bis 7,50 Euro, heißt es in der Präsentation „Wachsende Stadt – Wachsende Chancen“ vom Januar dieses Jahres. Der Rest wird darüber liegen.
Als das Tafelsilber verkauft wurde
Fast 200.000 Wohnungen der städtischen Gesellschaften verkaufte der Senat seit der Wende bis in die Mitte der Nuller Jahre. Von 482.000 Wohnungen in Ost- und West-Berlin waren 2005 nur noch 273.000 Wohnungen übrig, hat der Berliner Sozialwissenschaftler Andrej Holm berechnet.
Größter Brocken war 2004 der Verkauf der GSW mit 65.000 Wohnungen an ein Konsortium von internationalen Fondsgesellschaften. Die Vorlage dafür erstellte Finanzsenator Thilo Sarrazin, der Kaufpreis betrug 400 Millionen Euro. Zehn Jahre übernahm die Deutsche Wohnen die GSW mittels eines Aktientauschs. Dessen Umfang entsprach einem Kaufpreis von 1,7 Milliarden Euro.
„Nur wenige Wochen nach der Privatisierung hat die GSW in großen Teilen des freifinanzierten Bestandes Mieterhöhungen bis zu 20 Prozent durchgesetzt“, schrieb der Berliner Mieterverein im Jahr 2006 in seinem „Schwarzbuch Privatisierung“.
Der Verkauf der Wohnungen war "im Rückblick ein Fehler"
Im gleichen Jahr versuchte Sarrazin, mit einem Gutachten seiner eigenen Verwaltung Bedenken gegen den Verkauf der verbliebenen kommunalen Gesellschaften auszuräumen. „Fakten und Legenden zum Zusammenhang zwischen Wohnungsmarkt und Marktanteil öffentlicher Wohnungsunternehmen“ hieß das Papier.
„Hinreichende Argumente gegen die Privatisierung öffentlicher Wohnungsbestände gibt es nicht“, hieß es darin. So liege der Mietanstieg der städtischen Unternehmen deutlich über dem des Marktes. Auch was Modernisierungen angehe, sei kein grundsätzlicher Unterschied zwischen kommunalen und privaten Unternehmen festzustellen.
Entgegen dem Sarrazinschen Gutachten profitieren heute die Mieter von Wohnungen im kommunalen Besitz. So kosteten die im Jahr 2014 neu vermieteten Wohnungen der kommunalen Gesellschaften im Durchschnitt nur 6,11 Euro nettokalt pro Quadratmeter, berichtet die Gewobag. Damit lägen die Mieten fast ein Drittel unter den Berliner Marktmieten.
Nach der Finanzkrise geriet der neoliberale Ansatz unter Druck. Der Verkauf der Wohnungen war „im Rückblick ein Fehler“, sagte 2008 der Staatssekretär in der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Ephraim Gothe (SPD). Auch Sarrazin war da bereits umgeschwenkt.
Konzept der Stadtrendite ergänzt die Bewertung
Als Argument für öffentliche Wohnungsunternehmen wurde von ihren Befürwortern das Konzept der „Stadtrendite“ eingeführt. Darunter werden Leistungen verstanden, die der Stadt neben dem rein betrieblichen Gewinn zugute kommen, schreibt Andrej Holm. Das seien vor allem Maßnahmen, die die soziale Stabilität in den Wohnvierteln erhöhen, also im weitesten Sinn das Quartiersmanagement.
Als Beispiele nennt Holm die Organisation von Jugendtreffs, die Beratung von Arbeitslosen und Obdachlosen oder die Förderung von Kindergärten und Schulen. Diese Leistungen seien so wichtig für die Stadt, dass sie den oftmals geringen betriebswirtschaftlichen Gewinn der öffentlichen Unternehmen deutlich kompensierten. Die Berliner Degewo war Gegenstand der Studie „Stadtrendite der öffentlichen Wohnungswirtschaft“, die vom Institut für Management der Humboldt-Universität unter Leitung von Professor Joachim Schwalbach erarbeitet wurde. Demnach erzielte diese städtische Gesellschaft 2008 eine Stadtrendite von 49 Millionen Euro.
Ein allgemeiner Konsens und eine Akzeptanz zur Berechnung einer Stadtrendite bestehe zwar nicht, heißt es in einer Analyse der TU Darmstadt. Sie öffne aber den Blick für Aspekte, die bei einer rein finanzwirtschaftlichen Betrachtungsweise vernachlässigt würden.
Die aktuellen Projekte der sechs landeseigenen Gesellschaften
In ganz Berlin entstehen zurzeit Wohnungen mit städtischen Gesellschaften als Bauherren:
Degewo
Seit 2014 hat die Degewo über 300 Wohnungen fertiggestellt, die meisten davon in Treptow-Köpenick.
Unter aktuelle Neubauprojekte fallen derzeit weitere 299 Wohnungen, die noch dieses Jahr fertiggestellt werden. Davon befinden sich 91 in Adlershof. Die ersten 57 von insgesamt 430 entstehen in der Gropiusstadt. Lankwitz erhält zum Sommer 47 Wohnungen in der Kaiser-Wilhelm-Straße. 104 barrierearme und 34 Appartementwohnungen entstehen bis September in Mitte im Brunnenviertel.
Bis 2017/2018 sollen weitere 1598 Wohnungen fertiggestellt werden in den Bezirken Neukölln (219), Mitte (127), Tempelhof-Schöneberg (82), Marzahn (425), Steglitz-Zehlendorf (60) und Treptow-Köpenick (685).
Gesobau
2015 stellte die Gesobau 210 Wohnungen fertig, 68 davon in Reinickendorf in Alt-Wittenau, 100 in den Pankower Gärten und 42 in der Streustraße.
Im Bau befinden sich 466 Wohnungen, die meisten davon in Pankow: Am Schloßpark 26, in der Heinersdorfer Straße 6, in der Elisabeth-Christinen-Straße 20, in der Florastraße 18, in der Klothildestraße 22, in der Rolandstraße 52 und in der Thulestraße 107.
Geplant sind weitere 1226 Wohneinheiten, mit 1013 davon wird schon in diesem Jahr begonnen.
Gewobag
Vor einem Jahr stellte die Gewobag einen Neubau mit 98 Wohnungen in der Kiefholzstraße in Treptow fertig.
Derzeit befinden sich 407 weitere im Bau, die meisten davon in Prenzlauer Berg: Schliemannstraße (14 Wohnungen), Jablonskistraße (25 Wohnungen), Bernhard-Lichtenberg-Straße (33), Gubitzstraße (51 Wohnungen), Zehdenicker Straße (17 Wohnungen) und Czarnikauer Straße (25 Wohnungen).
In Reinickendorf werden momentan 120 Wohnungen gebaut, am Mauerpark 122.
Weitere 259 Wohnungen sind geplant, Baubeginn für die ersten 50 ist bereits in den nächsten Wochen, 44 weitere folgen ab Herbst und 165 werden bis Anfang kommenden Jahres in der Amrumer Straße begonnen.
Howoge
Seit vergangenem Jahr hat die Howoge 654 Wohnungen fertiggestellt: In der Hönower Str./Treskowallee in Karlshorst 414 Wohnungen, in der Konrad-Wolf-Straße in Alt-Hohenschönhausen 157 Wohnungen und in der Mellenseestraße in Friedrichsfelde 83 altersgerechte Wohnungen in einem ehemaligen Studentenwohnheim.
Momentan befinden sich 670 Wohnungen im Bau. 357 davon werden dieses Jahr fertiggestellt, die meisten in Lichtenberg sowie 77 in Pankow in der Treskowstraße. 2017 entstehen in Lichtenberg 313 Einheiten als Senioren-Wohngemeinschaften.
Bis 2019 sind weitere 1585 Wohnungen in Planung. 519 werden 2017 fertig, 851 im Jahr 2018 und 215 im Jahr 2019.
Stadt und Land
Seit 2014 hat Stadt und Land 45 Wohnungen im Bezirk Tempelhof-Schöneberg fertiggestellt. In der Kolonnenstraße 14 Wohnungen und am Sterndamm 31 Wohnungen.
Weitere 762 Wohneinheiten befinden sich im Bau. Davon werden bereits dieses Jahr 226 fertig gestellt. Überwiegend im Bezirk Treptow-Köpenick: In der Lohmühlenstraße 12 Wohnungen, im Bruno-Bürgel-Weg 124 Wohnungen und in der Katharina-Boll-Dornberger-Straße 62 Wohnungen. In der Zescher Straße in Tempelhof-Schöneberg entstehen 28 Wohnungen.
In Planung sind weitere 1493 Wohnungen mit deren Bau noch dieses Jahr begonnen wird. Sie entstehen in den Bezirken Treptow-Köpenick (846), Marzahn-Hellersdorf (500) und Lichtenberg (147).
WBM
Seit 2010 hat die WBM 78 Wohnungen fertiggestellt, 41 davon 2015 in der Gärtnerstraße. Seit 2014 wurden außerdem 37 Dachaufbauten fertiggestellt.
Derzeit befinden sich 380 Wohneinheiten im Bau: In der Schmidstraße in Mitte 128 Wohnungen und ebenfalls in Mitte in der Almstadtstraße 24 Wohnungen, in der Colbestraße in Friedrichshain 69 Wohnungen und in der Heidelberger Straße/Elsenstraße in Alt-Treptow 159 Wohnungen. Davon sollen 311 bis 2017 fertiggestellt sein, 69 schon in diesem Jahr.
Für 2018 sind weitere 335 Wohnungen in Planung. 135 davon in Friedrichshain (85 in der Eckertstraße und 50 in der Palisadenstraße/Strausberger Straße). 200 Wohnungen sind auf der Fischerinsel in Mitte geplant.
(Recherche: Lisa Ewersbach)
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