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Mithilfe des Mietendeckels will der Senat den Anstieg der Mieten in Berlin stoppen.
© dpa

Betroffene äußern sich zum Mietendeckel: „Es herrscht blanke Panik bei den Immobilienbesitzern“

Der Senat hat einen Mietendeckel beschlossen. Was sagen Betroffene? Mieter und Vermieter erzählen, was sie erwarten, hoffen und befürchten.

Am 22. Oktober hat der Berliner Senat den geplanten Mietendeckel beschlossen. Es handelt sich dabei um das bundesweit erste Mietendeckel-Gesetz. Weil die Wohnkosten in der Hauptstadt in den vergangenen Jahren stark gestiegen sind, will Rot-Rot-Grün damit die Mieten für 1,5 Millionen vor dem Jahr 2014 gebaute Wohnungen für fünf Jahre einfrieren. Hinzu kommen Mietobergrenzen.

Das Gesetz mit diversen flankierenden Regelungen soll bis Anfang 2020 endgültig vom Abgeordnetenhaus beschlossen sein und rückwirkend ab 18. Juni 2019 gelten. Was sagen Mieter und Vermieter zum Mietendeckel? Wir haben mit fünf Betroffenen gesprochen.

Mietendeckel: „Endlich die Gier der Vermieter bekämpfen“
Evelyn Mohr, 50, Mieterin, Schöneberg

„Auf den Mietendeckel setze ich setze große Hoffnungen. Ich bin im vergangenen Jahr in eine möblierte Wohnung im Schöneberger Kurfürsten-Kiez gezogen. Mir gefällt es dort eigentlich sehr. Baujahr 1958, zwei Zimmer, aber die Wohnung kostet mich 1020 Euro kalt. Das ist eine Unverschämtheit.

Meine Nachbarn zahlen die Hälfte, habe ich neulich erfahren. Mein Mietvertrag ist befristet auf zwölf Monate, die Möblierung besteht vor allem aus billigen Ikea-Möbeln. Als ich die Bettwäsche in den Schrank getan habe, ist die Rückwand herausgesprungen.

Ich habe mich deshalb an den Mieterverein gewandt. Laut dem Mietspiegel dürfte die Wohnung nur etwa 400 Euro kosten, sagen die mir. Durch die Möblierung wird bislang die Mietpreisbremse umgangen. Bei meiner Wohnungssuche habe ich tausende solcher Wohnungen gefunden – mehr als normale.

Es ist gut, dass der Mietendeckel dieses Schlupfloch jetzt schließen soll und auch für die Mieten möblierter Wohnungen gilt. Noch ist das Gesetz aber nicht beschlossen, deshalb hole ich mir jetzt juristische Hilfe. Wenn ich das Gejammere von Investoren höre, habe ich null Verständnis. Der Zug dafür ist abgefahren. Wenn solch eine Gier möglich ist, müssen wir das stoppen. Danach können wir uns wieder um die Investoren kümmern. Ja, deshalb finde ich dieses Mietengesetz sehr gut.“

Deckel für Mieten: „Es herrscht blanke Panik bei den Immobilienbesitzern“
Philipp Travaglia, 33, Mieter, Neukölln

„Meine Familie und ich suchen gerade dringend eine neue Bleibe, binnen vier Monaten müssen wir nämlich aus unserem Haus ausziehen. Meine Frau, unsere zwei Kinder und ich wohnen in der Hufeisensiedlung in Neukölln und bezahlen für das Haus 1.265 Euro Kaltmiete. Laut der Werte aus dem neuen Mietendeckel würde unser 85 Quadratmeter großes Haus rund 532 Euro Miete kosten.

Unsere Vermieterin hat nun Eigenbedarf angemeldet, weil sie sich von ihrem Partner getrennt habe. Ob das stimmt, wissen wir nicht. Jedenfalls sind wir als Mieter machtlos. Wir hatten uns darauf eingestellt, bei einem Umzug rund 500 Euro Miete draufschlagen zu müssen, wenn wir in der Gegend bleiben wollen – die Mieten sowie die Kaufpreise in der Hufeisensiedlung sind in den letzten fünf Jahren irrsinnig gestiegen.

Der Mietendeckel macht unsere Situation aber nicht besser. Eine Familie hatte uns mündlich zugesagt, dass wir in ihr Haus in der Hufeisensiedlung einziehen können. Sie hat ein weiteres Haus geerbt und zieht nun um. Diese Zusage hat sie einen Tag, bevor das Mietendeckelgesetz vom Senat beschlossen wurde, wieder zurückgezogen. „Wir überlegen es uns noch einmal“, hieß es. Natürlich haben wir von der Familie nichts mehr gehört.

Es herrscht blanke Panik bei den Immobilienbesitzern. Das kann dazu führen, dass noch weniger Wohnraum auf dem Markt zur Verfügung steht. Meine Befürchtung ist, dass einige Vermieter ihr Haus lieber leerstehen lassen und eine Anzeige riskieren, als es für ein Drittel des aktuellen Marktwertes zu vermieten. Wir sind konkret Leidtragende des Gesetzes, obwohl es uns eigentlich helfen sollte.“

Zu viel Miete: „Große Hoffnungen auf den Deckel“
Tobias Wirth, 32, Mieter, Tempelhof

Tobias Wirth wohnt in Tempelhof.
Tobias Wirth wohnt in Tempelhof.
© privat

„Ich zahle momentan viel zu viel Miete. Meine Frau war im vergangenen Jahr hochschwanger. Unser befristeter Untermietvertrag lief aus, wir haben eine Wohnung gesucht. Unsere Kriterien: Genug Platz für drei, weniger als tausend Euro Miete und nicht weiter als zehn Kilometer vom Nordbahnhof entfernt , da wir gern mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren. Zwei Wochen, bevor unser Vertrag auslief, haben wir unsere jetzige Wohnung bekommen: 89 Quadratmeter im Fliegerviertel. Mit 988 Euro lag sie noch in unserem Budget.

Bei der Besichtigung hat man uns gesagt, dass sich die Miete wegen einer anstehenden Modernisierung erhöhen werde. Aber es war die einzige Wohnung, die wir so kurz vor der Geburt in Aussicht hatten. Deshalb sagten wir zu.

Nachdem die erste Modernisierung abgeschlossen war, zahlten wir mehr. Ab Dezember wird die Wohnung noch teurer, dann zahlen wir 1215 Euro. Der Grund ist eine zweite Modernisierung. Sollte der Mietendeckel in Kraft treten, würde unsere ,Wuchermiete‘ auf den Mietspiegel plus 20 Prozent gesenkt.

Nach Rechnungen des Mietervereins würde die Wohnung voraussichtlich nur 8,43 Euro pro Quadratmeter kosten, also insgesamt 757,35 Euro nettokalt. Ich finde nicht, dass das unverhältnismäßig wenig wäre. Natürlich setze ich große Hoffnungen in den Mietendeckel. Ich kann mir aber leider gut vorstellen, dass Teile des Gesetzes von Opposition und Gerichten zusammengestrichen werden und unsere Wohnung teuer bleibt.“

Mietendeckel: „Uns ärgert die schlechte Investition“
Simone Busch, 31, und Emily Barlow, 38, Eigentümerinnen, Friedrichshain

Simone Busch und Emily Barlow sind Eigentümerinnen in Friedrichshain
Simone Busch und Emily Barlow sind Eigentümerinnen in Friedrichshain
© privat

„Wir überblicken die Situation noch nicht ganz, aber scheinbar haben wir unser Geld schlecht investiert. Vor einem Jahr haben wir eine Zwei-Zimmer-Wohnung in Friedrichshain gekauft. Sie hat 300.000 Euro gekostet, zusätzlich haben wir 35 000 Euro in die Renovierung gesteckt. Wir hatten entschieden, unser Erspartes in Immobilien zu investieren, weil wir finanzielle Sicherheit wollen. Wir wollen nicht von anderen abhängig sein, wenn wir alt sind.

Da wir in Berlin wohnen, bot es sich an, eine Wohnung zu kaufen. Wir wohnen aktuell selbst darin. In Melbourne, wo wir davor gewohnt haben, könnten wir es uns nie leisten, eine Immobilie zu kaufen. Bei unserer Recherche waren die Prognosen für die Preisentwicklung in Berlin gut. Es hieß, eine Wohnung in Berlin sei eine gute Investition. Vom Mietendeckel war keine Rede.

Wir hatten geplant, noch eine Weile selbst in der Wohnung zu leben. Dann wollten wir sie vermieten, nach Australien zurück und in 15 Jahren weiterverkaufen. Unsere Pläne haben sich geändert: Das Unternehmen, für das wir beide gearbeitet haben, hat Insolvenz angemeldet. Wir wollen jetzt im Februar 2020 zurückziehen.

In australischen Großstädten können sich normale Menschen längst keine Wohnungen mehr leisten, die Städte gehen kaputt. Hätten wir vom Mietendeckel gewusst, hätten wir das Geld einfach woanders investiert. Zurück in Melbourne müssen wir damit rechnen, rund 1850 Euro Miete zu zahlen. Wenn der Mietendeckel kommt, können wir für die 68-Quadratmeter-Wohnung voraussichtlich 506 Euro pro Monat nehmen.

Die Hypothek zahlen wir mit 1200 Euro pro Monat ab. Wir ärgern uns über unsere schlechte Investition. Dabei finden wir es sinnvoll, Mieten zu regulieren. Aber die Regulierung sollte auch Situationen wie unsere berücksichtigen.

Mietendeckel in Berlin – hier eine Übersicht über unsere Artikel:

Das Geld für die Renovierung war verschwendet. Wir können daher zwar voraussichtlich einen Euro mehr pro Quadratmeter nehmen, aber damit kriegen wir die Kosten nie rein. Was wir jetzt machen, haben wir noch nicht entschieden. Kurz haben wir darüber nachgedacht, die Wohnung schon jetzt zu verkaufen, das Geld anders zu investieren. Aber wenn wir vor 2028 verkaufen, bezahlen wir Spekulationssteuer. Dadurch würden wir viel Geld verlieren.“

Mietendeckel-Gesetz: „Rot-Rot-Grün trifft die redlichen Kleinvermieter“
Rainer Schifft, 57 Jahre, Vermieter, Reinickendorf

Ich bin enttäuscht vom Berliner Senat. Ich komme aus Berlin, wohne heute im Harz und vermiete ein Haus in Reinickendorf: Sechs Wohnungen, darin wohnen Rentner, Pensionäre und zwei Familien. Mein Vater und mein Onkel haben das Haus nach dem Krieg selbst gebaut – das ist Familienbesitz. Ich nehme Mieten von 3,35 Euro pro Quadratmeter, aus sozialen Gründen.

Bei einer Neuvermietung an einen Arzt, Ingenieur oder Banker darf ich die Miete lediglich um einen Euro auf 4,35 Euro netto kalt pro Quadratmeter erhöhen. Die Regelung zur Wiedervermietung liegt unter sozialen Erwägungen völlig neben der Sache.

Gutverdiener müssen nicht alimentiert werden. Momentan mache ich einen leichten Gewinn mit dem Haus, habe das Geld zurückgelegt für Renovierungen. Und die Fassade müsste dringend energetisch saniert werden. Die Miete für die Wohnungen darf ich trotzdem nur um einen Euro anheben – das lohnt sich aber nicht. Ich mache dann Verluste. Momentan bin ich resigniert, lustlos.

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Es ist ja richtig, Menschen vor Wuchermieten zu schützen. Mit dem pauschalen Mietenstopp verursacht Rot-Rot-Grün aber erhebliche Begleitschäden bei den redlichen und sozial agierenden Kleinvermietern. Die werden bestraft, weil sie auf dem niedrigen Mietstand zementiert werden. Wer bislang nur 55 Prozent der künftig zulässigen Miete nimmt, wie ich, darf weiter nur so viel nehmen – oder nur sehr geringfügig erhöhen. Wer bislang bis zu 120 Prozent der nun festgesetzten Obergrenze nahm, wird das weiter tun.

Ich habe die Regierungsparteien angeschrieben und auf diese Ungerechtigkeit hingewiesen, da kamen nur pauschale Antworten. Ich hatte das Gefühl, die denken nur schwarz-weiß: Die Vermieter sind schlecht, die Mieter sind die Guten. Statt alle über einen Kamm zu scheren, wäre es besser, verträgliche Obergrenzen für sämtliche Vermieter festzulegen.

Solche, die durch Gutmütigkeit schon seit Jahren Verluste hinnehmen, sollten bis zur Obergrenze erhöhen dürfen. Die Miethaie müsste man im Vergleich stärker zur Vernunft zwingen.“

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