Wohnungsmangel: Kaufen bis es quietscht
Berlins landeseigene Gesellschaften gehen Jahr für Jahr häufiger auf Einkaufstour.
Berlin mischt im Immobilienpoker um große Pakete immer stärker mit – und kaschiert so, dass die selbst gesetzten Neubauziele nicht erreicht werden. Das geht aus der Beantwortung einer schriftlichen Anfrage des Abgeordneten Sebastian Czaja von der FDP an den Senat hervor. Danach haben die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften per Asset Deal seit Januar 2017 bis dato 14 559 Wohnungen erworben. „Wir wollen etwa 5000 Wohnungen pro Jahr erwerben, ohne Zuschüsse“, hatte Berlins Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) im Januar der „Berliner Morgenpost“ gesagt und ergänzt: „Was an der Karl-Marx-Allee passiert ist, war falsch. Deswegen machen wir das nicht noch einmal.“ Im rbb korrigierte Kollatz am 10. Januar zwar die Zahl, die er in dem Gespräch mit der "Berliner Morgenpost" genannt hatte - es seien nur 60.000 Euro statt 125.000 Euro pro Wohnung an Steuergeld geflossen. Allerdings sei auch dies noch zu viel Geld, so der Finanzsenator. Hier wurde nach Einschätzung von Insidern zu viel Geld für Wohnungen mit sehr niedrigen Mieten ausgegeben. Der Kauf war eine politische Entscheidung.
Weil man mit dem Neubau in Berlin nicht vorankommt, setzt die rot-rot-grüne Landesregierung nun verstärkt auf diesen Ankauf von Bestandsimmobilien, die dem Mangel an bezahlbarem Wohnen indes nicht abhelfen: Sie sind bereits vermietet. Anders als eine neu gebaute erhöht eine gekaufte Wohnung nicht den Gesamtbestand. Das Angebot wird damit nicht vergrößert. Einige der landeseigenen Gesellschaften kaschieren so mit den Käufen ihre Schwäche beim Neubau.
Insgesamt wurden die Bestände der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften (WBGs) 2019 um 11856 Wohnungen durch Ankauf erweitert, teilte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung auf ihrer diesjährigen Jahrespressekonferenz mit. Damit habe sich der Gesamtbestand der sechs städtischen Wohnungsbaugesellschaften um rund 16 400 Wohnungen auf nunmehr rund 325 400 erhöht; 4537 Wohnungen wurden 2019 neu gebaut.
„Die Gesamtthematik von Wohnungsankäufen durch das Land Berlin ist auch aus Sicht des Rechnungshofs von Berlin eine Angelegenheit von großer finanzieller Bedeutung“, lässt die Präsidentin des Rechnungshofes auf eine entsprechende Tagesspiegel-Leseranfrage mitteilen und bescheidet: „Seine Prüfungserkenntnisse teilt der Rechnungshof von Berlin gemäß den haushaltsrechtlichen Bestimmungen nur den geprüften Stellen und – wenn sie von besonderer Bedeutung sind – dem Abgeordnetenhaus von Berlin mit. Eine Unterrichtung anderer Institutionen oder einzelner Personen ist jedoch grundsätzlich nicht möglich.“ Nichts Genaues weiß man nicht. Mehrere Tagesspiegel-Anfragen zur Antwort der Senatsverwaltung für Finanzen auf die Czaja-Anfrage ließ der Landesrechnungshof unbeantwortet. Aus der Kollatz-Verwaltung auf Anfrage dazu nur so viel: Wie viele der jetzt angekauften Wohnungen einst aus Landesbeständen veräußert wurden, lasse sich nicht beantworten, da die Verkäufe schon sehr weit zurücklägen, sagte ein Sprecher.
Mit dem Ankauf entstehen keine neuen Wohnungen
„Wirtschaftlich passen die Käufe auch trotz hoher Aufschläge gegenüber den vor Jahren bei der Privatisierung erzielten Erlöse“, sagt Rechtsanwalt Jan Kehrberg von der Kanzlei GSK Stockmann, die den Senat immobilienpolitisch und -wirtschaftlich berät: „Die landeseigenen Gesellschaften finanzieren sich zum Teil in der Nähe von Kommunalkrediten also unter 0,5 Prozent Zinsen pro Jahr.“ Wenn so gut wie keine Zinsen anfallen, spielen die Kaufpreise eine nachgeordnete Rolle, findet Kehrberg. Außerdem lägen die gezahlten Preise überwiegend unter den Neubaukosten, vor allem wenn die Grundstücke mitgerechnet würden.
Die Verschuldung pro qm-Wohnraum steigt zwar und das kann wiederum in Zukunft zu einem schlechteren Rating und damit schlechteren Finanzierungskonditionen führen. „Einige der besonders offensiv kaufenden Gesellschaften haben diese Erfahrung schon gemacht“, gibt Kehrberg zu bedenken: „Aber unter dem Strich werden die kommunalen Bestände eben erhöht.“
Die Berliner CDU sieht die Ankaufspolitik des Senats kritisch. „Der teure Ankauf von Wohnungen steht in keinem Verhältnis zur Anzahl der neu gebauten Wohnungen“, kritisiert der wirtschaftspolitische Sprecher der Berliner CDU, Christian Gräff. Die Antwort des Senats zeige, dass der Senat massiv Geld verschwende und daraus nichts gelernt habe: „Wenn diese Politik weitergehen sollte, entstehen wenige neue Wohnungen und die Berliner Steuerzahler sind um Milliarden Euros ärmer.“
Andere politische Akteure halten die politische Entscheidung des Senats, die Bestände der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften zu erhöhen, für völlig legitim. Schließlich ist es auch im Koalitionsvertrag so vereinbart. Im Ergebnis gibt es damit landeseigene Bestandshalter, die sich mit den privaten Kapitalgesellschaften als Vermieter (Deutsche Wohnen, Vonovia, Adler/Ado) im selben Marktsegment bewegen und dadurch die Qualität privater und kommunaler Vermieter unmittelbar vergleichbar machen.
„Durch rot-rot-grüne Ankäufe werden die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften mit Steuergeldern subventioniert, obwohl die internen Prüfungen zu dem Schluss kommen, dass der Erwerb sich langfristig nicht rentiert“, sagt der FDP-Fraktionsvorsitzende Sebastian Czaja zu seinem Vorstoß. Diese Ankäufe würden sich nur rentieren, wenn das Land Berlin ein solches Geschäft finanziell flankiere und einen Zuschuss aus Steuergeldern gebe. Der Senat beweise an dieser Stelle sein wirtschaftliches Unvermögen zum Wohle der eigenen Klientel und zum finanziellen Schaden der Hauptstadt.
Bündnis 90/Die Grünen: Landeseigene müssen unberechenbar bleiben
Aus Reihen der Koalition wird das Vorgehen des Senats verständlicherweise verteidigt. Man habe sich zum Ziel gesetzt, den Wohnungsmarkt als Koalition langfristig gemeinwohlorientiert neu auszurichten, sagt Katrin Schmidberger, Sprecherin für Wohnen, Mieten und Tourismus der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus auf Anfrage: „Angesichts des Mietendeckels besteht die Hoffnung, dass die Bodenpreise sinken werden. Gerade jetzt sollte das Instrument des Ankaufs doch strategisch genutzt werden. Zumal das Ziel auch der Schutz von möglichst vielen Haushalten durch die sogenannte Abwendungsvereinbarung beim kommunalen Vorkaufsrecht ist. Dazu müssen die landeseigenen Wohnungsunternehmen unberechenbar bleiben.“ Man sei es den Berlinern schuldig, den historischen Fehler der Privatisierung der über 220 000 Wohnungen wiedergutzumachen.
Auch der Berliner Mieterverein begrüßt weiterhin den Ankauf von bestehenden Gebäuden. „Natürlich muss im Einzelfall geprüft werden, ob der Kaufpreis überhöht ist“, sagt der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, Reiner Wild: „Damit wenigstens nicht in planungsrechtlich ausgewiesenen Gebieten mit Vorkaufsrechten überhöhte Preise gezahlt werden müssten, sollte der Bundesgesetzgeber den preisreduzierten Vorkauf erleichtern.“ Die Einschätzung von Finanzsenator Kollatz teile der Berliner Mieterverein nicht. „Sie kam ohnehin zur Unzeit und war ein fatales Signal zugunsten von Verkäufern und Investoren“, sagt Wild. Neubau sei deshalb keine wirkliche Alternative zum Ankauf, da es den städtischen Wohnungsunternehmen an preisgünstigen Baugrundstücken, Bau- und Planungskapazitäten und Baugenehmigungen fehle.
Am Ende geht es aber vor allem um den Anreiz, sich durch Bestandskäufe die Anstrengungen zu ersparen, neu zu bauen. Da gibt es große Unterschiede zwischen den sechs Gesellschaften und insgesamt werden die Ziele auch aus dem Koalitionsvertrag deutlich verfehlt. Da werden mit den Käufen die Löcher beim Neubau gestopft.
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