Nach der Privatisierung: Was aus den landeseigenen Wohnungen wurde
Tausende Sozialwohnungen verkaufte das Land Berlin in den 90er und 2000er Jahren. Was ist mit ihnen heute? Vier Beispiele aus einer umkämpften Stadt.
Ende der 80er gingen tausende Sozialwohnungen verloren, in den 90er und 2000er Jahren verkaufte der Senat aus Geldnot hunderttausende landeseigene Wohnungen. Heute ist der Wohnungsmarkt so umkämpft, dass sogar offen über Enteignungen diskutiert wird. Doch was wurde aus den Häusern, die der Senat aus der Hand gegeben hat?
Abriss - Rückkauf - Eigentumswohnungen - und die letzte Geschichte geht gut aus. Vier Beispiele.
Lützowplatz – Teurer wohnen nach dem Abriss. Geförderte Wohnungen mussten für den freien Markt weichen.
Über den ästhetischen Wert der Häuserzeilen mit den Satteldächern, die an Eigenheime erinnern, und mit ihrem orangefarbenem Backsteinsockel, gab es geteilte Meinungen. Oswald Matthias Ungers hatte sie entworfen, der Altmeister der Berliner Neomoderne. Er war der städtebauliche Souffleur des langjährigen Berliner Senatsbaudirektors Hans Stimmann. Die zwei bestimmten mit einigen Weggefährten das Bild der Stadt nach der Wende.
Die Ungers-Bauten am westlichen Rand des Lützowplatzes entstanden während der Internationalen Bauausstellung 1984–87 und lieferten erste Beispiele des städtebaulichen Leitbildes der „kritischen Rekonstruktion“. Das Dogma verfolgte nicht nur ästhetische (Sandstein und Lochfenster) und städtebauliche (Blockrandbebauung), sondern auch soziale Ziele: die Versorgung der Menschen mit bezahlbarem Wohnraum, der auch damals knapp war. Deshalb legte das Land Berlin eine Wohnungsbauförderung auf und erkaufte sich damit billige Mieten und das Vergaberecht für die so finanzierten Wohnungen. Der abrupte Förderstopp dieser Häuser in den 2000er Jahren war der Treibsatz für die Wohnungsnot heute.
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Schon vor der Privatisierungswelle warnte ein Experte der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vor den verheerenden Folgen. Hier erklärt er im Interview, warum
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Denn die Ungers-Wohnhäuser wurden abgerissen. Kein Einzelfall und ein Menetekel für die Spekulation mit Wohnraum insgesamt. Reihenweise verschwanden in den vergangenen Jahren Altbauten der Nachkriegszeit zugunsten von höheren Neubauten, die größere Teile der Grundstücke dichter zustellten, mit mehr Wohnfläche. Experten erklärten, 45.000 Gebäude mit rund 175.000 Wohnungen seien in Berlin so marode, dass sie abgerissen gehörten – aus den 50er, 60er und 70er Jahren. Erst im vergangenen Jahr stoppte der Senat die Abrisswelle, die eine Verfügung im Jahr 2005 möglich gemacht hatte. Durch die Wiedereinführung von Abrissgenehmigungen, die Bezirke meist nur erteilen, wenn „Ersatzwohnraum“ für vergleichbare Mieten entsteht, was Bau- und Bodenpreise verhindern.
86 Wohnungen standen am Lützowplatz, ein Teil davon Sozialwohnungen. Gegen den Abriss kämpften die Bewohner sogar vor dem Landgericht. Der Hauseigentümer argumentierte aber mit den Baumängeln. Ohne Abriss bestehe eine „Hinderung angemessener wirtschaftlicher Verwertung“ seines Eigentums, eine Sanierung sei zu teuer.
Nach dem Abriss investierte die Münchener Dibag Industriebau rund 100 Millionen Euro und schuf mit dem Geld eine Geschossfläche von 24.600 Quadratmetern. 128 Mietwohnungen entstanden, bezahlbarer geförderter Wohnungsbau war nicht dabei. Die Hälfte der neuen Wohnungen hat zwei Zimmer, die andere Hälfte drei bis fünf Zimmer. Die Grundfläche der Wohnungen ist eher bescheiden: 42 bis 125 Quadratmeter. Die Branche bevorzugt kleine Wohnungen, weil dann die Gesamtmiete auch bei hohen Quadratmeterpreisen für Besserverdienende noch bezahlbar ist.
Karl-Marx-Allee - Rückkauf auf Umwegen
Karl-Marx-Allee - Rolle rückwärts. Das Land will privatisierte Wohnungen zurückhaben. Mit einem Trick.
Endlich werden sie nun wirklich Eigentum des Volkes: die betonierten Zeugnisse des Arbeiter-und-Bauern-Staates in der Karl-Marx-Allee. Wieder, um genau zu sein. Zu DDR-Zeiten errichteten Baubrigaden die staatlichen Wohnungen. Nach der Wende waren sie im Eigentum der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain. Die musste sie verkaufen, weil das Altschuldenhilfegesetz sie zur Privatisierung zwang. Über die Bank Depfa gingen die Wohnungen in „Immobilienfonds“ für private Anleger ein, mit deren Geld saniert wurde. Die Immobilienfirma Predac verwaltete diese und wollte die Häuser nun an die Aktiengesellschaft Deutsche Wohnen verkaufen. Doch das Volk begehrte auf – und die Politik schritt ein.
Die Strategie: Weil die Mieter ohnehin ein Vorkaufsrecht haben, werden sie unterstützt. 26 Mieter von 700 wollen selbst kaufen. Hunderte werden ihre Wohnung als Zwischenerwerber im Auftrag einer kommunalen Firma kaufen.
Bei Norbert Bogedein liegt solch ein Kaufvertrag schon auf dem Tisch. Ihm hat die Predac die eigene Wohnung angeboten. Nicht ganz freiwillig, die Firma musste es, weil das bei der Privatisierung im Jahr 1993 so festgeschrieben wurde. Allen Mietern wurde ein „Vorkaufsrecht“ eingeräumt. Über diesen Umweg sollen die Wohnungen nun wieder in Landeseigentum kommen.
Der Deal: Die Gewobag wird Bogedeins Kaufvertrag anschließend übernehmen. Dafür bekommt Bogedein seinen alten Mietvertrag „eins zu eins“ auf die Gewobag überschrieben. 474 Mieter könnten somit zum Zuge kommen und ihre Wohnungen an die Gewobag weiterreichen. Für Berlin dürfte das erschwinglich sein. Bei 1500 Euro pro Quadratmeter für Einraumwohnungen und bis zu 4000 Euro pro Quadratmeter bei luxuriöseren Wohnungen in den oberen Etagen sollen die Preise liegen. Weil die Kapitalmarktzinsen gering sind, sollte das durch Mieteinnahmen finanzierbar sein.
Zwischenkäufern wie Bogedein ist das ganz recht. „Eigentum verpflichtet“, sagt er. Er wohne lieber zur Miete, sorglos. Besser hätte es für ihn auch kaum laufen können. Denn die staatliche Firma darf nur halb so schnell die Mieten erhöhen wie private Firmen und ist auch sonst politisch auf Sozialkurs getrimmt.
Bogedein ist Sprecher des „Mieterbeirats Karl-Marx-Allee“. Als die ersten Schreiben der Deutschen Wohnen bei den Mietern eingingen, organisierte er den Widerstand. Die Politik reagierte. Der Bezirk stellte sich gegen den Deal, fuchste den Plan mit den „gestreckten Verkäufen“ aus. Und das Landgericht muss nun klären, ob die rechtlichen Nachfolger der früheren Landesfirma nicht ohnehin ein Vorkaufsrecht auf die Häuser „c-nord“, „c-süd“, „d-nord“ und eventuell „f-nord“ in der Karl-Marx-Allee haben. So sieht es nämlich die Senatsverwaltung für Finanzen. Dann käme das Land Berlin auch ohne Umweg über die Mieter zum Zug.
Hufeisensiedlung - Von Mietern zu Eigentümern
Hufeisensiedlung - Von Mietern zu Eigentümern. Die einstige Arbeitersiedlung ist längst nicht mehr für Geringverdiener erschwinglich.
Einmal Britz, immer Britz. Marie Louise Jenschke ist in der Hufeisensiedlung aufgewachsen, hatte ihr Zimmer unterm Dachgiebel des Reihenhauses, zog als Neunjährige mit ihrer Bande durch die Straßen und feierte als Jugendliche in der Disco „Rock it“ mit ihren Freunden. Ihr Umzug nach Kreuzberg blieb eine Episode. Seit 2003 lebt sie wieder hier, in der Nachbarschaft ihrer Eltern.
Die im Jahre 1924 gegründete „Gemeinnützige Heimstätten-, Bau- und Spar-AG“ – später die Gemeinnützige Heimstätten-Aktiengesellschaft (GEHAG) GmbH – hat die Hufeisensiedlung zwischen 1925 und 1933 gebaut. Architekt Bruno Taut und der spätere Stadtbaurat Martin Wagner wollten in Neukölln Wohnungen für Arbeiter schaffen nach den Grundsätzen der Moderne mit Licht, Luft und viel freiem Raum. So entstanden um die 2000 Wohnungen in mehrgeschossigen, zu einem großen Hufeisen rund um einen grünen Innenhof gruppierten Wohnhäusern. Sie standen im Eigentum der GEHAG, bis der Senat die landeseigene Firma verkaufte. Die Deutsche Wohnen bot die Reihenhäuser schließlich zum Verkauf an.
„Wenn die Siedlung in städtischem Eigentum geblieben wäre, wären die Häuser wohl leistbarer“, sagt Marie Louise Jenschke. Sie hatte noch Glück, kaufte vor dem ganz großen Preisanstieg. Sie hatte damals von einer Dame aus der Nachbarschaft gehört, die ausziehen wolle. Die beiden sprachen sich ab, boten der vom Konzern beauftragten Maklerin den Kauf an. Aus heutiger Sicht ein Glücksfall. Denn die Preise seien explodiert: „An die 600 000 Euro“ hätten neue Nachbarn zuletzt bezahlt. Ein stolzer Preis für die neun Meter tiefen, 120 Quadratmeter kleinen Häuser in nicht gerade zentraler Lage.
Wo steigen die Mieten am schnellsten? Wo werden besonders viele Wohnungen in Eigentum umgewandelt? Machen Sie mit bei unserer Umfrage!
Als Jenschke mit den Eltern 1979 herzog, verbrachten sie die Sommerferien mit der Renovierung des Hauses. Die Familie zahlte damals eine bescheidene Miete – „und die änderte sich so gut wie nicht, jahrzehntelang“.
Den Denkmalschutz habe die landeseigene Firma immer sehr ernst genommen: Umbauten seien nicht erlaubt gewesen. Die Hufeisensiedlung ist Weltkulturerbe. Seit die Privaten das Quartier übernommen haben, sei das eine oder andere Holzfenster durch moderne aus Thermopen ausgetauscht worden. Doch die meisten seien wegen der Ästhetik der klassischen Moderne hergezogen und gingen mit ihrem Denkmal pfleglich um.
Seit der Privatisierung sind auch die Mieten stetig gestiegen. Das habe wohl auch ältere Mieter veranlasst, auszuziehen. Zumal die engen Häuser ohne Aufzug und mit einem einzigen Bad im ersten Stock nicht wirklich altersgerecht sind. In eine dieser Wohnungen ist Jenschkes Bruder gezogen. „Dörflich“ geht es in der Siedlung zu, sagt Marie Louise Jenschke, man kennt sich.
Dass sich die meisten Arbeiter die Hufeisensiedlung nicht mehr leisten können, hängt sicher auch mit der Privatisierung zusammen. Allerdings waren schon bei der Fertigstellung Anfang der 1930er Jahre die Kosten der Mustersiedlung höher als geplant. Vor allem Vorarbeiter, Angestellte und Beamte konnten sich die kleinen, aber feinen Eigenheime leisten. Die Arbeiter zogen in die Mehrfamilienhäuser nebenan.
Sredzkistraße - Privat, aber günstig
Sredzkistraße - privatisiert an die Mieter, aber günstig. Die letzte Geschichte geht gut aus. Eine Genossenschaft hält die Mieten niedrig. Allerdings mit Hilfe vom Bund.
Sanierter Altbau nahe Kollwitzplatz, behindertengerecht, Aufzug, Parkett: 5,50 Euro Nettokaltmiete pro Quadratmeter. Gibt’s nicht? Bei der Selbstbau Genossenschaft schon. Früher gehörte das Mietshaus in der Sredzkistraße 44 der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Gewobag. Elf Wohnungen sind es. Die Genossenschaft übernahm 2014 und begann das Haus ab Mitte 2015 zu sanieren.
Ursprünglich hatte die Gewobag geplant, das mit Außenklos und Kohleheizung völlig veraltete Miethaus selbst zu modernisieren. Die alteingesessenen Bewohner beantworteten diese Pläne mit Anwaltsschreiben. Die Gewobag scheute die Auseinandersetzung und gab das Haus lieber an die Genossenschaft ab.
„Die Altmieter aus den 1990er Jahren hatten unschlagbar günstige Verträge“, sagt der Vorstand der "Mietergenossenschaft SelbstBau", Peter Weber. In den Wohnungen lebten zwar längst Untermieter. Doch keiner wollte seine Privilegien aufgeben.
Für Weber und seine Leute begann ein zäher Verhandlungsmarathon, während dessen echte und vermeintliche Mieter von der Sanierung überzeugt werden mussten. „Wir haben ein Drittel der Kosten vom Bundesministerium für Familie als Zuschuss bekommen“, sagt Weber. 3000 Euro je Quadratmeter insgesamt investierte die Genossenschaft. „Ohne die Förderung hätte keiner der Altmieter sich die Wohnungen nach der Sanierung mehr leisten können.“ Die 90-Jährige zum Beispiel, die im zweiten Geschoss wohnt, wo der Aufzug sie nun direkt vor der Wohnungstür absetzt, nicht. Auch nicht der Rollstuhlfahrer, der in seiner früheren Erdgeschosswohnung nicht mehr ohne Hilfe auf Toilette gehen konnte – es jetzt endlich wieder kann.
Die Sredzkistraße ist ein Modellprojekt mit Musterwohnung im Erdgeschoss, die zeigt, wie altersgerechtes Wohnen im Altbau geht. Die Selbstbau Genossenschaft ist aber auch beispielhaft im Umgang mit den Menschen aus ihren Häusern: Als sie im Jahr 1993 den Start neuer Projekte diskutierten, einigten sich die Genossen auf eine Bedingung: nur wenn es nicht zulasten der Altprojekte geht. Erstbewohner, viele in Prenzlauer Berg und anderen innerstädtischen Vierteln, zahlen deshalb bis heute teils vier Euro je Quadratmeter Nettokaltmiete. Nur wenn eine Wohnung frei wird, wird sie zum ortsüblichen Tarif nach Mietspiegel (6,47 Euro) neu vermietet.
25 Wohnprojekte in Berlin, teils auch in früheren Schulen, Kitas oder Werkstätten haben die Selbstbauer seit der Übernahme ihrer zwei ersten Häuser in der Rykestraße kurz nach der Wende betreut. Ihre ersten Genossen haben sie gewissermaßen aus Geldnot kennengelernt. Die Kneipe „Entweder-Oder“ in der Oderbergerstraße nämlich gehörte dem Verein, aus dem sich später die Genossenschafter rekrutierten. Weil sie sich den Umbau ihres Tresens nicht allein leisten konnten, wandten sie sich hilfesuchend an die „Kiezkantine“ gegenüber. So begann das Netzwerken.
Lang ist’s her. Jetzt ziehen die Genossen aufs Land. „Boden in Berlin ist selten und teuer, die Baukosten ebenso“, sagt Weber. Deshalb wollen sie als Nächstes lieber die Dorfschule in Prädikow umbauen.
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