Immobilienangebot in Berlin: Eigentümer wollen lieber verkaufen als vermieten
Der Mietendeckel führt im Städtevergleich zu einer signifikant hohen Anzahl von Kaufangeboten.
Einer der Hauptgründe für die Einführung des Mietendeckels war und ist, dass insbesondere in den zentralen Berliner Lagen die Angebotsmieten deutlich gestiegen sind. Finanziell schwächer Gestellte können sich zu diesen Angebotsmieten keine Wohnungen in der gewünschten Größe leisten.
Deshalb begrenzt das Mietendeckelgesetz die Mieten für Wohnungen, die bis Baujahr 2013 gebaut wurden, je nach Baualter in der Regel auf 3,92 bis 9,50 Euro pro Quadratmeter (qm). Ein Großteil der Berliner Mietwohnungen in den zentralen Lagen wurde in der Zeit bis 1949 gebaut, und für diese gelten maximal 6,45 Euro/qm – ein Hoffnungswert für viele Berliner, nunmehr aufgrund des Mietendeckels Wohnungen billiger mieten zu können.
Das Mietendeckelgesetz gilt seit dem 23.2.2020, also seit mehr als zwei Wochen. Haben sich die Hoffnungen bewahrheitet? Der folgende Kurz-Check verwendet die allgemein zugänglichen Daten des Internetportals Immoscout in der Zeit vom 6. bis 11. März 2020.
Angebot an Kaufwohnungen wächst
In dieser Zeit wurden täglich durchschnittlich rund 7400 Berliner Wohnungen zum Verkauf angeboten, aber lediglich rund 2400 zur Vermietung (siehe Tabelle auf der übernächsten Seite). Dreimal so viel Kauf- wie Mietangebote – dies verblüfft in einer Stadt, in der es fünfmal so viele Miet- wie Eigentumswohnungen gibt. Dies hängt nicht ausschließlich mit dem Internetportal oder dem unterschiedlichen Verhalten beim Inserieren von Miet- und Eigentumswohnungen zusammen: Die Auswertung der anderen deutschen Millionenstädte Hamburg, München und Köln ergibt, dass es dort durchschnittlich weniger Kauf- als Mietangebote gibt.
Das hohe Angebot an Eigentumswohnungen zeigt sich auch an einer anderen Relation: In der betrachteten Periode wurden täglich rund zwei Eigentumswohnungen pro 1000 Einwohner angeboten. In den anderen Großstädten lag die Quote bei weniger als der Hälfte.
Zunächst bedeutet dies erstaunlicher Weise nicht, dass das Berliner Mietangebot insgesamt gering geworden ist. Es liegt mit rund 0,7 Wohnungen pro 1000 Einwohner kaum niedriger als in den anderen Großstädten (Ausnahme München, aber hier sind die Mieten besonders hoch). Deutlich verringert hat sich aber das Angebot an Berliner Wohnungen aus dem Mietendeckelsegment der Mietwohnungen mit Baujahr bis 2013. Nach den Immoscout-Daten aus dem Erhebungszeitraum vom 6. bis 11. März stammen nur noch 13 Prozent des Berliner Wohnungsangebotes aus dem regulierten Segment. Ist der Mietendeckel also irrelevant, weil er nur noch ein Kleinstsegment betrifft?
Damit es zu keinen falschen Schlüssen kommt: Altbauwohnungen stellen einen Großteil aller Berliner Wohnungen dar. Und bei den Berliner Kaufangeboten liegt der Anteil der Altbauwohnungen bei 74 Prozent. Allerdings: Zum Mieten werden die Altbauwohnungen kaum noch im Netz angeboten. Fliehen die Bestandsbesitzer aus ihren Wohnungen und wollen sie sie nicht mehr vermieten, wenn sie frei werden?
In den zentralen Lagen, die maßgeblich für den Mietendeckel waren, kommt es noch schlimmer: In Kreuzberg liegt der Anteil der Immoscout-Angebote aus dem Mietendeckel-Segment bei nur 7 Prozent – nur noch jede 14.(!) dort angebotene Wohnung ist mietengedeckelt. In Charlottenburg, Kreuzberg, Prenzlauer Berg und Schöneberg sieht es nicht viel besser aus. Einzige zentral gelegene Ausnahme ist Mitte. In Mitte stammen immerhin rund 17 Prozent des Gesamt-Angebotes aus dem Mietendeckel-Segment.
Die durchschnittliche Angebotsmiete liegt bei 21 Euro
Weil der Mietendeckel für Mitte auf den ersten Blick eine überdurchschnittliche Relevanz zu haben scheint, wurde täglich nach den billigsten Mitte-Mietwohnungen mit Baujahr bis 2013 sortiert. Damit das Ergebnis nicht durch Angebote wie Einzelzimmer und Mini-Apartments verzerrt wird, wurden ausschließlich Wohnungen nach steuerrechtlicher Definition mit mindestens 23 qm Fläche berücksichtigt. Das Ergebnis: Es wurde nur einmal eine einzige Wohnung für weniger als 590 Euro nettokalt angeboten. Es war eine Wohnung mit Wohnberechtigungsschein – und sie war nur einen Tag im Netz. Die durchschnittliche Angebotsmiete der täglich 10 billigsten Altbauwohnungen lag bei 21Euro/qm(!) – weit entfernt von den Deckel-Mieten. Der Mietendeckel – nicht nur irrelevant, weil auf ein Kleinstsegment bezogen, sondern auch unwirksam?
Oder wirksam, aber gerade in die nicht vorgesehene Richtung? Führt der Mietendeckel gar zu steigenden Angebotsmieten? Tatsächlich könnten sich solche Zusammenhänge ergeben. Ein Erklärungsmuster ergibt sich aus der juristischen Logik des Mietendeckelgesetzes: Es begrenzt die „geforderten Zahlungen“, macht aber nach zunehmend verbreiteter rechtlicher Interpretation keine Vorschriften zu höheren „vereinbarten Mieten“, die für den Fall der Rechtsunwirksamkeit des Mietendeckels ggf. nachgezahlt werden müssen. Angenommen, ein neu abzuschließender Mietvertrag legt eine „vereinbarte Miete“ von 12 Euro/qm fest, begrenzt aber gleichzeitig für die Dauer der Rechtswirksamkeit des Mietendeckels die „geforderte Zahlung“ auf sechs Euro/qm. Ein Mieter, der fest an die Rechtswirksamkeit des Mietendeckels glaubt, bildet einen Erwartungswert von 6 Euro/qm – die „vereinbarte Miete“ von 12 Euro/qm ist ihm „egal“. Ein Mieter, der die Wahrscheinlichkeit der Rechtswirksamkeit des Mietendeckels auf 50 Prozent einschätzt, wird sich hingegen einen Erwartungswert von neun Euro/qm bilden. Fatale Folge: Je größer der Glaube an den Mietendeckel unter den Mietinteressenten, desto höhere vereinbarte Mieten lassen sich durchsetzen.
Im Segment der Neubau-Mietwohnungen waren steigende Mieten aufgrund des Mietendeckels ohnehin zu erwarten: Abgesehen von Effekten auf die nachgefragten Wohnungen – schon allein aufgrund der zurückgehenden Angebotsmengen im Mietendeckelsegment entsteht eine wachsende Zahl von Wohnungssuchenden, die im Mietendeckelsegment nicht fündig werden. Sie müssen in die nicht gedeckelten Segmente ausweichen: Wohnungen in Brandenburg, Eigentumswohnungen in Berlin, oder eben: Neubauwohnungen in Berlin.
Konsequenzen? Vielleicht ist es dafür zu früh, denn es mag sein, dass die Altbauvermieter in eine Schockstarre und innerliche Blockade verfallen sind, die sie aber auf längere Sicht nicht durchhalten werden. Wenn dem so ist, müssten mittelfristig die angebotenen Mengen an Mietendeckel-Wohnungen wieder steigen. Vielleicht ist die Zeitreihe zu kurz und vielleicht nicht repräsentativ.
Gedeckelte Mietwohnungen bleiben Mangelware
Trotzdem verwundert es, dass es noch zu keinem Protest von Menschen gekommen ist, die in den Portalen vergeblich nach den vom Mietendeckel versprochenen billigen Wohnungen suchen. Vielleicht nehmen sie die Angebotsmieten nicht ernst, weil diese immer deutlich höher waren als die „echten“ Neuvertragsmieten? In Hamburg liegen die Neuvertragsmieten rund 40 Prozent unter den Angebotsmieten in den Portalen, weil viele Vermieter interne Wartelisten bedienen und keine Notwendigkeit sehen, in den Portalen zu inserieren.
Der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) hat gezeigt, dass der Mittelwert der Berliner Neuvertragsmieten in 2018 mit 7,80 Euro/qm ebenfalls deutlich unter den Angebotsmieten der Portale lag. Der Mietenspiegel 2019 bestätigt diese Größenordnung.
Eine mögliche Konsequenz, die sich freilich nicht erst jetzt ergibt: Die Angebotsmieten, die ein treibendes Argument für den Mietendeckel waren, sind nicht nur verzerrend, sondern gar irreführend als Knappheitsindikator, und als Legitimation von staatlichen Eingriffen in den Wohnungsmarkt ungeeignet. Berlin braucht bessere Statistiken zum Wohnungsmarkt, und diese werden wohl erst erlangt werden, wenn das Statistische Landesamt die Aufgabe erhält, die Mietdaten zu sammeln und fachmännisch aufzubereiten.
Vielleicht ist die Wohnungsknappheit in Berlin aber auch kleiner als behauptet? Die angebotenen Mengen an Mietwohnungen sind relativ zur Bevölkerung nicht besonders niedrig, das Gesamtangebot an Wohnungen ist aufgrund der hohen Angebotsmengen an Kaufwohnungen relativ groß. Weil die Eigentümer ihre Wohnungen loswerden wollen.
Die Mieten sind für eine europäische Metropole noch immer gering, die Pro-Kopf-Ausstattung mit Wohnraum ist hingegen hoch. Die Berliner geben von ihrem Einkommen nicht mehr für die Miete aus als andere Städter. Und die wahrgenommene Knappheit hat abgenommen, weil mehr Wohnungen fertiggestellt wurden, der Netto-Zuzug von Internationals nachgelassen hat, und Berlin in der Binnenwanderung unter Fortzügen der mobilen Leistungsträger aus der Mittelschicht nach Brandenburg leidet. Vielleicht waren die Mieter aber auch ohnehin skeptisch, dass der Mietendeckel die Mieten senkt.
Wolfgang Maennig, 1960 geboren in Berlin, ist Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Hamburg (Forschungsschwerpunkt: Stadt- und Immobilienökonomik). Er wurde 1988 in Seoul Olympiasieger im Achter. Frühere Tagesspiegel-Beiträge des Autors zum Mietendeckel: „Spielräume nur mit Abstand. Mietendeckel: Gewinner, Verlierer und Nebenwirkungen“ vom 6. Juli 2019 und „Es gibt viele Alternativen zum Mietendeckel“ vom 14. Dezember 2019.
Wolfgang Maennig