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Die Oranienstraße in Kreuzberg gehört zu einer der beliebtesten Wohngegenden Berlins.
© Kitty Kleist-Heinrich

„Mit Fragebögen knallhart ausgesiebt“: Zwei Zimmer in Kreuzberg und 17 Fragen

Eine Berliner Hausverwaltung verlangt detaillierte Angaben von Mietinteressenten. Das ist gängige Praxis – allerdings auch verboten.

Die Miete ist nicht gerade niedrig – 775 Euro warm für zwei Zimmer im Altbau auf 46 Quadratmetern. Doch die Lage überzeugt: Oranienstraße, mitten in Kreuzberg. Also raus mit der Anfrage via Immobilienscout24 an die Wohnungsverwaltung. Doch um die Wohnung besichtigen zu können, müssen zunächst 17 Fragen beantwortet werden. „Warum eine neue Wohnung?“, „Seit wann leben Sie in Berlin bzw. in Deutschland?“, „Wo wohnen Sie jetzt bzw. wo haben Sie gewohnt?“

Die Abfrage der Tevak GmbH zielt indirekt auf die Herkunft der Wohnungssuchenden, fragt nach den Beweggründen des Wohnungswechsels. Auch, ob man von der vorherigen Hausverwaltung gekündigt wurde, wie man sich finanziert oder ob man raucht, möchte die Hausverwaltung wissen. Laut der Berliner Datenschutzbeauftragten Maja Smoltczyk ist das so nicht zulässig. Und damit ist die Tevak bei weitem nicht die einzige Hausverwaltung, bei der diese Praxis gängig ist.

Abgefragt werden dürfen lediglich Daten, die zum jeweiligen Zeitpunkt für Vermieter tatsächlich erforderlich sind. Der Zeitpunkt in diesem Fall: die erste Interessensbekundung. Bevor noch nicht klar ist, ob sich der Interessent überhaupt auf die Wohnung bewerben möchte, sind in der Regel nur Angaben zur Identifikation, Erreichbarkeit, den Wohnungswünschen und eventuell den Daten aus dem Wohnberechtigungsschein erlaubt. Erst nach der Besichtigung darf der Vermieter nach der finanziellen Lage fragen. Zwar können Interessenten eine „freiwillige Selbstauskunft“ geben, um ihre Chancen auf eine Wohnung zu erhöhen – verlangt werden kann sie aber nicht.

Mit dem Vorwurf konfrontiert, erklärt die Hausverwaltung schriftlich: „Da Ihre Beschreibung unserer Arbeitsabläufe ebenfalls nicht zutreffen, nehmen wir an, dass hier ein Missverständnis vorliegt.“ Vorab im Telefonat gegenüber dem Tagesspiegel getätigte Aussagen, dass die Fragebögen zum Schutz der bestehenden Mietgemeinschaft verschickt werden, will die Firma später schriftlich nicht bestätigen. Sie entsprechen nicht „unserer Haltung oder Arbeitsweise. Wir können uns nicht vorstellen, dass die von Ihnen zitierten Aussagen so getroffen wurden.“

„Durch diese Fragebögen wird knallhart ausgesiebt“

Nachdem die Tevak bestritten hat, den dem Tagesspiegel vorliegenden Fragebogen zu versenden, haben wir eine Wohnungsanfrage über das Immobiliensuchportal Immobilienscout24 – unter Pseudonym – verschickt. Einen Tag nach der Anfrage erhielt der Tagesspiegel erneut den 17-teiligen Fragebogen, Absender: Tevak GmbH. Auf mehrfache Nachfrage verwies die Hausverwaltung lediglich auf die bereits übersendeten Antworten. Das Inserat zur Wohnung in der Oranienstraße wurde daraufhin deaktiviert.

Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, sieht darin einen eindeutigen Trend. Derartige Fragebögen, die auf persönliche Informationen und Details aus dem Privatleben von Wohnungsinteressenten abzielen, werden zunehmend von Maklerfirmen und Hausverwaltungen entwickelt. „Da wird nach den absurdesten Sachen gefragt. Hobbys, sexuelle Orientierung, Vorlieben bei Wohnungseinrichtung …“ Zu erklären ist diese Praxis mit dem angespannten Wohnungsmarkt.

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„Wenn sich achtzig Personen auf eine Wohnung bewerben, muss die Hausverwaltung die Auswahl der Mieter begründen und sich vor dem Vermieter rechtfertigen“, erklärt Wild. „Durch diese Fragebögen wird knallhart ausgesiebt.“ Denn wer die Fragen nicht beantwortet, habe realistisch gesehen keine Chance auf die Wohnung. Doch was tut man, wenn man auf die Wohnung angewiesen ist und Angst hat, wegen der Angaben zur Herkunft, finanziellen Lage oder dem Familienstand gar nicht erst zur Besichtigung eingeladen zu werden?

Wer die Macht hat, bestimmt die Regeln. Wer dringend eine Wohnung sucht, wird auch einen solchen Bogen ausfüllen.

schreibt NutzerIn rosalia

Falsche Angaben können zur fristlosen Kündigung führen

Eine Möglichkeit ist: Schlicht zu lügen. Das ist rechtlich aber nur bei unzulässigen Fragen, etwa nach Herkunft, sexueller Orientierung oder dem Familienstand, bedenkenfrei möglich. Diese Option hat demnach ihre Tücken: Wohnungsinteressenten dürfen zwar unzulässige Fragen nicht wahrheitsgemäß beantworten – sie müssen aber genau wissen, welche Fragen das sind. „Da ist das Risiko, sich zu irren, groß“, warnt Sebastian Bartels, stellvertretender Geschäftsführer des Berliner Mietervereins.

Welche Angaben zur Bonität eines Wohnungsbewerbers erlaubt sind, können je nach Einzelfall variieren. Falsche Angaben können später zur fristlosen Kündigung führen. Und auch falsche Angaben zur Nationalität kommen spätestens beim Abschluss eines Mietverhältnisses heraus – wenn man sich ausweisen muss. „Das belastet das Mietverhältnis im Vorhinein. Ich wäre bei falschen Angaben generell vorsichtig“, sagt Bartels.

Eine Beratung aufzusuchen sei hilfreich. Haben Interessenten danach eindeutig unzulässige Fragen ausgemacht, könnten sie rechtlich gegen den Vermieter vorgehen. „Die Behörden sind für Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt mittlerweile gut sensibilisiert. Die Landesstelle gegen Diskriminierung leistet hierbei gute Arbeit und kann Betroffenen helfen.“ Vorbei ist die Wohnungssuche damit allerdings nicht.

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