Wohnen am Wasser: Berlin entdeckt alte Kanäle neu
Paradigmenwechsel an der Spree: Auch die Hauptstadt erkennt das Potenzial der Uferzonen als attraktive Baustandorte und Erholungszonen
Vielleicht fehlt dem Berliner dazu die poetische Ader, jedenfalls sind die Ufer der Spree nie besungen worden wie jene der Seine in Paris. Vielleicht liegt das prosaische Verhältnis der Berliner zu ihrem Fluss aber auch daran, dass es keine Freude war, an seinen Ufern zu lustwandeln. Und „Wohnen am Wasser“, gar repräsentatives Residieren wie an der Hamburger Alster oder am Mainufer in Frankfurt, kam niemandem in den Sinn. Berlin hat dem Fluss immer den Rücken zugekehrt, um es noch vornehm auszudrücken.
Von Anbeginn war die Spree für Berlin wenig mehr als ein Nutzwasserreservoir – für Fischer, Schiffer, Wäscher und Gerber. Und eine Kloake, wie Reisende in früheren Jahrhunderten unisono berichteten. In der Gründerzeit waren die Spree und die Seitenkanäle zudem durch die „Ziegelzillen“ hoffnungslos überlastet, als die Partikuliere, die selbstständigen Binnenschiffer, jährlich über hundert Millionen Tonnen Ziegel herbeischaffen mussten. Liegeplätze, Holzlager, Hafenanlagen säumten die Ufer nahtlos.
Erst in den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich auch in Berlin eine Entwicklung vollzogen, die in anderen Hafenstädten schon früher einsetzte. Der Frachtverkehr hat andere Dimensionen erlangt und kann innerstädtisch nicht mehr abgewickelt werden. Aufgegebene Hafenareale sind als neue citynahe Entwicklungsgebiete hochwillkommen. Und man hat das enorme Potenzial der Uferzonen erkannt, als Flaniermeilen, als Aufwertung für attraktive Bürostandorte, als Erholungszonen für Wohngebiete.
Wenn am Osthafen historische Speicher zu angesagten Bürostandorten umgebaut werden und daneben neue Büro- und Hotelbauten entstehen, so spielt die Spreelage mit Promenade und Uferterrassen eine entscheidende Rolle. Wenn weiter flussaufwärts die Halbinsel Stralau, früher ein Standort von Industrie, Speditionen und Lagerplätzen, heute als privilegiertes Wohnquartier vermarktet werden kann, so liegt das an der attraktiven Wasserlage zumindest der ufernahen Wohnungen.
Baugrupe lässt Zugang zum Ufer
Wo immer es die Grundstücksverhältnisse ermöglichen, werden die Ufer der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, etwa entlang der Oberspree am Paula-Thiede-Ufer. Beim vielfach preisgekrönten Baugruppenprojekt „Spreefeld“ an der Köpenicker Straße haben die Bewohner den Zugang für andere Bürger zum Ufer zum Programm gemacht. Für sie gehört die Vernetzung mit dem öffentlichen Leben im Quartier zur Wohnphilosophie.
„Mediaspree versenken“ nannte sich die Bürgerbewegung, die sich zum Ziel gesetzt hatte, das Senatsprojekt „Mediaspree“ an der Oberspree mit Bürohochhäusern, Lofts und Hotels zu verhindern und die Spreeufer für die Öffentlichkeit auf breiter Front frei zu halten. Gebaut wird trotzdem, denn die Investoren besaßen bereits Baurecht, doch immerhin sieht man sich beim Senat und den Bezirken veranlasst, den Interessen der Bürger am Lebensraum entlang der Wasserwege nachzukommen.
Zum Beispiel nahe den Treptowers, wo nach den Plänen von Justus Pysall zwei Wohntürme und ein Hotelturm entstehen. Der Architekt konnte den Wettbewerb für das Projekt an der Fanny-Zobel-Straße für sich entscheiden, weil er den Uferstreifen nicht zu verbauen versprach, sondern dafür Sorge trägt, dass das Ufer zugänglich bleibt und die bestehenden Häuser in der zweiten Reihe Spreeblick behalten. Gegenüber, am Nordufer der Spree, soll das Projekt "The Wave" entstehen.
Bürgerinitiative gegen Umbau am Fraenkelufer
„Mediaspree versenken“ ist nicht die einzige Bürgerinitiative, die sich um die wohnungsnahen Bereiche an Spree und Kanälen kümmert. Wenn Uferbäume gefällt werden, weil sie alt sind und zur Verkehrsgefährdung werden, müssen besorgte Anwohner beruhigt und überzeugt werden. Wenn, wie in Kreuzberg, die Bezirksverwaltung Umbaupläne veröffentlicht, kommen schon mal 8000 Unterschriften aufgebrachter Bürger zusammen, die andere Wünsche und Vorstellungen haben.
Es geht um das Ufer des Landwehrkanals am Statthaus Böcklerpark, wo einst ein Gaswerk Luft und Boden heftig kontaminierte, und am Fraenkelufer, der einstigen Einmündung des Luisenstädtischen Kanals, die Peter Joseph Lenné angelegt und Hinrich Baller 1984 neu gestaltet hatte.
Wo bisher an dem intensiv genutzten Ufer mit sonniger Südlage geschwungene Wege verlaufen, plant der Bezirk einen an Sicherungs- und Ordnungsmaßnahmen sowie Barrierefreiheit orientierten Umbau mit breiteren Fuß- und Radwegen, Rampenanlagen und weniger Parkplätzen. Das erzeugt Unmut. Der Umbau des strittigen Abschnitts wurde zunächst zurückgestellt.
Eine Badeanstalt am Fluss
Derlei Komplikationen gibt es am Berlin-Spandauer Schifffahrtskanal nördlich des Hauptbahnhofs nicht. Dort wird die Chance genutzt, die Uferzonen für das neu zu entwickelnde Wohngebiet an der Heidestraße mit Promenaden, Parkstreifen und Aufenthaltsflächen aufzuwerten. Mit Landschaftstreppen und einer Terrassierung am Nordhafen kommt man dem Wasser näher.
Hier und da kann man wieder die Füße im Wasser baumeln lassen. In einem Wasser, das klar und sauber ist. Manche denken sogar daran, die Tradition der Flussbadeanstalten wieder aufleben zu lassen.
Mit Strandbars und Clubs und einer florierenden, bunten Subkultur auf Brachgrundstücken haben die Berliner vor Jahren begonnen, die Ufer mit Zwischennutzungen zu besetzen. Brachen gibt es inzwischen kaum noch, doch das Bewusstsein, dass Berlin an der Spree liegt, hat sich in den Köpfen festgesetzt. Fast unbemerkt hat ein enormer städtebaulicher Paradigmenwechsel stattgefunden. Berlin wendet seinen Gewässern nicht mehr den Rücken zu.