Digitalisierung: Im Entscheidungstheater die beste Lösung finden
Was tun gegen Wasserknappheit, Umweltverschmutzung oder illegale Fischerei? Daten können uns helfen, bessere Entscheidungen zu treffen.
Arizona State University im heißen Südwesten der USA: Im digitalen Decision Theater der Hochschule sind Wassermanager zusammengekommen. An den Wänden hängen große Bildschirme wie in einer militärischen Kommandozentrale. Der Staat Arizona leidet schon heute unter Wassermangel, der Klimawandel wird das Problem verschärfen. Wie damit umgehen? Daten, Karten und Simulationen vor Augen können die Fachleute den Stand der Dinge besser einschätzen, Entwicklungen voraussehen und verantwortungsvollere Entscheidungen treffen.
Sieht so die Zukunft der Entscheidungsfindung aus? Carlo Jaeger, Vorsitzender des Global Climate Forum in Berlin, ist davon überzeugt. Es gebe viele Probleme, bei deren Lösung man ohne Computer „blind“ sei, sagt der Experte für nachhaltige Entwicklung. „Wie viele Menschen zum Beispiel wegen des Klimawandels künftig von A nach B wandern werden, können Sie mit gesundem Menschenverstand allein nicht vorhersagen.“
Neu ist die Entwicklung zu datengestützten Entscheidungen – oder auf Englisch Digital Decision Support – freilich nicht. Jaeger erwähnt jenen Sonntag im Oktober 2008, als Bundeskanzlerin Angela Merkel angesichts der globalen Finanzkrise erklärte: „Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind. Auch dafür steht die Bundesregierung ein.“ Das war hoch gepokert, denn die gesamten Sparguthaben der Deutschen hätte die Regierung kaum garantieren können. Aber es verhinderte eine Panik. Grundlage waren Daten über Bargeldauszahlungen an Bankautomaten. Sie zeigten in jenen Tagen einen dramatischen Anstieg.
Daraus lässt sich zweierlei ableiten: Es kommt nicht allein auf die Menge der Daten an, sondern manchmal auch darauf „mit Kaltblütigkeit das meiste zu ignorieren, was der Computer liefert“, formuliert es Jaeger. Nicht wann und wo das Geld abgehoben wurde, war wichtig, sondern wie viel und mit welcher Beschleunigung. Und: Auch in Zukunft wird der Computer dem Menschen Entscheidungen nicht einfach abnehmen. Er dürfe deshalb nicht als „Kristallkugel missverstanden werden, die einem sagt, was man tun soll“, warnt der Ökonom und Sozialwissenschaftler. „Computer konfrontieren uns lediglich damit, wo Unsicherheiten und Risiken liegen.“
"Die Vorteile überwiegen auf jeden Fall"
Trotz solcher Bedenken findet Martin Visbeck vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel: „Die Vorteile digital gestützter Entscheidungen überwiegen auf jeden Fall.“ Für ihn ist wichtig, dass Entscheidungen durch die Digitalisierung demokratisiert werden. „Wissen ist ja immer auch Macht. Durch die Digitalisierung steht der Gesellschaft mehr Expertenwissen zur Verfügung.“ Da könnten Entscheider dann schlecht behaupten: Nur ich weiß, was gut für Euch ist!
Positiv findet der Ozeanforscher auch, dass Bürger Daten jetzt selbst sammeln oder auswerten können. Citizen Science nennt sich der Ansatz. Lebensnah umgesetzt haben ihn Kieler Meeresforscher um Visbeck, indem sie mit Schulklassen Plastikmüll am Meer gesammelt, dokumentiert und mit Daten aus Chile, China und Indonesien verglichen haben. „Die Schüler fanden das toll und können jetzt entscheiden, ob sie weiter Plastikstrohhalme oder Einwegtüten benutzen wollen. In diesem Sinne sind sie ja auch Entscheidungsträger.“
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat sich das Prinzip von Citizen Science zunutze gemacht und Bürger aufgefordert Straßenkreuzungen zu melden, an denen die Grenzwerte für Stickoxid überschritten sein könnten; später maß die DUH nach. Das Ergebnis: An zwölf Prozent der bisher unbekannten Messorte wurde der Wert überschritten. Das liefert Argumente, um in der Auseinandersetzung um Dieselfahrzeuge Druck auf die Entscheidungsträger auszuüben.
Ein weiteres Beispiel: Um illegale Fischerei in Schutzgebieten zu kontrollieren, fehlt kleinen Küstenstaaten oft das Geld. „Da braucht man eine Flotte von Patrouillenbooten, und die ist teuer“, sagt Visbeck. Überwachen könne man die Bewegung vieler Schiffe aber heute per Satellit über „Schiffstracker“: Fahren Boote in gerader Linie aufs Meer hinaus, dann handeln sie, bringen ihre Fracht also an ein Ziel. Kreisen sie aber oder stoppen mitten auf dem Ozean, dann fischen sie. So könne man illegalen Fang aus dem All aufspüren.
Überall auf der Welt gebe es heute leicht Zugang zu solchen Daten. „Das hilft im Sinne von Good Governance“ – also einer guten Unternehmens- und Staatsführung, findet Visbeck. Mit diesen Informationen ausgestattet könnten Bürger die Entscheidungen von Regierungen oder Unternehmen hinterfragen und Ungereimtheiten nachweisen.
Kommunikationsproblem zwischen Mensch und Maschine
Carlo Jaeger vom Global Climate Forum weist allerdings auf eine wichtige Grundvoraussetzung hin: Die Programmierung der Modelle, die solche Daten liefern, müsse „wahrhaftig“ sein. Jaeger, der selbst Computermodelle entwickelt, kennt die Manipulationsmöglichkeiten. Der Extremfall: „Man entscheidet irgendetwas und holt sich die passende Simulation dazu aus dem Rechenzentrum. Das kann’s nicht sein!“
Neben diesen Fallstricken besteht in der Praxis vor allem ein Kommunikationsproblem zwischen Mensch und Maschine. „Wenn Sie zum Beispiel entscheiden müssen, wie hoch ein Deich in Bremerhaven gebaut werden soll, helfen Ihnen Zahlen zum globalen Meeresspiegelanstieg allein nicht weiter. Sie brauchen Fachleute, die Ihnen diese Daten aufbereiten“, erklärt Jaeger. Idealerweise sind das zwei, die der Forscher „Schnittstellenpersonen“ nennt: eine, die die Computerprogramme kennt und sagen kann, welche Ergebnisse wichtig sind. Und eine, die versteht, was der Entscheider oder die Entscheiderin braucht.. „Die beiden müssen die Gesprächsbrücken dann hin und her nutzen, damit ein wirklicher Dialog entsteht.“
Ein digitales Decision Theater wird übrigens auch in Deutschland eröffnet, im November soll es zum ersten Mal genutzt werden können. Carlo Jaeger treibt den Aufbau zusammen mit der Arizona State University und der Leuphana Universität Lüneburg voran. „Innerhalb von zwei bis drei Wochen, bei Bedarf auch schneller, kann man auf diese Weise komplexe Entscheidungsprozesse durchspielen“, freut sich der Experte. „Das ist zukunftsweisend.“