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Weniger im Meer. Silberspitzenhaie leben außerhalb der Lagunen. Sie sind deshalb für illegale Fischer leichte Beute. Die Population is massiv eingebrochen.
© Dan Bayley

Artenschwund: Schutzlos im größten Meeresschutzgebiet der Welt

Das Chagos-Archipel ist fast menschenleer, Fischerei ist verboten. Trotzdem schrumpfen die Populationen mancher Hai-Arten.

So stellt man sich ein Meeresschutzgebiet vor: Das Chagos-Archipel liegt mitten im Indischen Ozean. Indien, Südost-Asien, Australien und Afrika sind jeweils weit mehr als tausend Kilometer entfernt. Selbst zum Mini-Inselstaat Mauritius sind es gut 500 Kilometer. Abgesehen vom US-Militär-Stützpunkt Diego Garcia leben dort in einer Region von der doppelten Fläche Deutschlands keine Menschen. Und von den 15 000 Quadratkilometern Riffgebiet – etwa die Fläche Schleswig-Holsteins – liegen nur 63 Quadratkilometer über dem Wasser.

Nur scheinbar unberührte Natur

Wer mit Sondergenehmigung eine Yacht in Teile des Gebietes steuern darf, dem erscheint es völlig unberührt. Doch dieser Eindruck täuscht, berichten Francesco Ferretti und Barbara Block von der Stanford University im kalifornischen Pacific Grove mit ihren Kollegen in der Zeitschrift „Science Advances“: Selbst die großen Meeresräuber wie der Graue Riffhai und der Silberspitzenhai wurden und werden im Chagos-Archipel von Menschen erheblich dezimiert.

Mehr als zwei Millionen Haie sollten laut Modellrechnungen eigentlich dort leben. Tatsächlich waren es 2012 aber weniger als 600 000 Graue Riffhaie und nur etwa 30 000 Silberspitzenhaie. Dazu kommen einige Ammenhaie und ein paar Schwarz- und Weißspitzen-Riffhaie.

Für den Präsidenten der Meeresschutzorganisation „Sharkproject International“, Alexander Smolinsky, gibt es verschiedene global, aber auch regional bedingte Ursachen: „Jedes Jahr werden rund 100 Millionen Haie aus den Weltmeeren geholt, die Hälfte davon als Beifang, die andere Hälfte gezielt.“ Ein Teil davon landet in Haifischflossen-Suppen und ähnlichen Spezialitäten. Sehr viel Fleisch dieser Meeresräuber kommt auch unter anderen Namen auf den Tisch von mehr als einer Milliarde Menschen, die auf der Erde regelmäßig Fisch essen. Die „Schillerlocken“ im deutschsprachigen Raum sind Bauchlappen von Dornhaien. Für die großen Fangschiffe lohne sich bei dieser hohen Nachfrage auch die weite Fahrt zu abgelegenen Regionen wie dem Chagos-Archipel. Tatsächlich fangen in dessen Umgebung Schiffe aus 22 Nationen Thun- und Schwertfische, aber eben auch Haie, so Block und ihre Kollegen.

Historie der Überfischung

Die Ursachen dafür, dass die Populationen so klein sind, liegen zum Teil aber noch weiter zurück. Haie werden dort wahrscheinlich schon lange gefischt. Als Franzosen am Ende des 18. Jahrhunderts anfingen, Kokosnüsse auf den Inseln des Archipels anzubauen, lebten die Einheimischen zu großen Teilen vom Meer. Das blieb weiterhin so, und die Kolonisten bedienten sich ebenfalls an den reichen Ressourcen. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts waren Robben und Seekühe ausgerottet. Auch Suppen- und Echte Karettschildkröten wurden stark dezimiert, Haie wahrscheinlich ebenfalls.

Ab 1949 besuchten Fischer von den 500 Kilometer entfernten Mauritius-Inseln häufig das Archipel. Sie holten mit halbindustriellen Methoden wohl vor allem Graue Riffhaie aus dem Wasser, die in den Lagunen im Inneren der Atolle leben. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kamen dann die modernen Hochseeflotten. Mit ihren großen Schiffen dezimierten sie außerhalb der Lagunen vor allem die an der Außenseite der Riffe schwimmenden Silberspitzenhaie.

Mauritius und Großbritannien streiten um die Legalität des Schutzgebiets

Zwischen 1967 und 1973 wurden die Plantagen geschlossen. Die gesamte Bevölkerung, knapp 1300 Personen, wurde zwangsweise umgesiedelt. Sie leben heute vor allem auf Mauritius, den Seychellen und in Großbritannien. Danach begannen sich die auf 13 Prozent ihrer ursprünglichen Größe geschrumpften Bestände der Grauen Riffhaie zu erholen. Ihre hohe Geburtenrate hilft ihnen dabei offenbar. Die Silberspitzenhaie außerhalb der Lagunen aber wurden weiterhin weniger.

Ab 1991 erließ Großbritannien, das seit 1814 das Archipel als Kolonie und später als Überseegebiet verwaltet, Schutzmaßnahmen. Seit die Briten dort 2010 das größte Meeresschutzgebiet der Welt eingerichtet haben, darf mit wenigen Ausnahmen gar nicht mehr gefischt werden. Die Silberspitzenhaie stehen aber weiter unter Druck – aufgrund illegaler Fischerei. Beispielsweise kommen jährlich zwischen 20 und 120 kaum zehn Meter lange Boote aus Sri Lanka, die dann 4000 bis 25 000 Haie fangen.

Dass der „Ständige Schiedshof“ in Den Haag das Chagos-Schutzgebiet 2016 für illegal erklärte und Mauritius zugestand, dort Fischereirechte zu besitzen, macht die Situation nicht einfacher. Derzeit verhandelt der Staat im Indischen Ozean mit Großbritannien über die Zukunft des Areals.

Roland Knauer

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