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In Hamburg drückte zuletzt Sturmtief „Elon“ das Wasser der Nordsee in die Stadt.
© Bodo Marks/dpa

Ansteigender Meeresspiegel: Wie gefährdet sind deutsche Küsten und Städte?

In den nächsten Jahrzehnten sind die deutschen Küsten noch sicher. Was danach kommt, hängt vom Klimaschutz heute ab.

Mit einem Klimazuschlag wappnen sich die deutschen Küstenländer seit einigen Jahren gegen den steigenden Meeresspiegel. Das bedeutet: Immer wenn Deiche erneuert werden, kommen 50 Zentimeter Sicherheitspuffer obendrauf. Bis 2008 waren es nur 25 Zentimeter. „In Schleswig-Holstein werden außerdem die Deichprofile so verändert, dass sie später noch weiter erhöht werden können“, sagt Insa Meinke, Leiterin des Norddeutschen Küsten- und Klimabüros am Helmholtz-Zentrum Geesthacht. „Zusammen mit dem Klimazuschlag ermöglicht diese Ausbaureserve eine Deicherhöhung von insgesamt etwa anderthalb Metern.“

In Niedersachsen gehen sie ähnlich vor: Die Fundamente der Sperrwerke – große Tore in den Flüssen, die man bei Sturmflut schließen kann – sind so gegründet, dass man sie noch um einen Meter erhöhen kann, berichtet Achim Stolz, Sprecher des Landesbetriebs für Küstenschutz. „Wir haben insgesamt ein Sicherheitsniveau, das die Generationen vor uns nicht hatten. Aber Küstenschutz ist eine Daueraufgabe.“

Bisher verlief der Anstieg des Meeresspiegels langsam. „Der mittlere Wasserstand an der Ostsee hat sich in den vergangenen 100 Jahren um etwa zehn bis 15 Zentimeter erhöht. An der Nordsee waren es etwa 15 bis 20 Zentimeter“, sagt Meinke. Bei Tiedenhochwasser und Sturmflut seien große Bereiche sicher geschützt. „Da merkt man die 20 Zentimeter noch nicht.“

Wie gut die Deiche sind, kann man im Internet unter kuestenschutzbedarf.de nachlesen. Auf den interaktiven Karten gibt es nach Postleitzahl geordnet Informationen, welche Wohngebiete heute vor Sturmfluten sicher sind – und wo das bis 2100 nicht mehr der Fall sein wird.

Nach den Prognosen des Weltklimarats IPCC wird der Anstieg des Meeresspiegels künftig nicht mehr gleichmäßig verlaufen, sondern sich beschleunigen Die Frage ist, wie stark. „Wir gehen bisher davon aus, dass eine Trendwende zu einem starken Anstieg erst zur Mitte des Jahrhunderts passieren wird“, sagt Thomas Zarncke, Küstenschutzreferent im Umweltministerium von Mecklenburg-Vorpommern.

Wegen des Klimazuschlags von 50 Zentimetern habe man noch ein bisschen Zeit abzuwarten, um begründete Entscheidungen treffen zu können. Die Zeit will sich Mecklenburg-Vorpommern deshalb nehmen, weil es beim Küstenschutz schnell um zig Millionen Euro gehe, sagt Zarncke.

In Bremen wird ein Deich im Stadtgebiet für 30 Millionen Euro erhöht

In Bremen zum Beispiel haben sie gerade 30 Millionen Euro für die Erhöhung eines nur 1,8 Kilometer langen Deichs im Stadtgebiet eingeplant. Immer wieder nachzurüsten, ist in Bremen Pflicht. „Der Dom steht auf einer Düne. Aber 90 Prozent der Stadt würden bei Sturmflut absaufen, wenn wir die Deiche nicht hätten“, sagt der Sprecher des Umweltsenators, Jens Tittmann. Wenn es zu einer Sturmflut auch noch regnet, braucht die Stadt außerdem einen Überlauf. In Bremen haben sie deshalb Überflutungsflächen am Werdersee in der Nähe vom Stadion geschaffen und einen Abfluss zur Kleinen Weser geschaffen. „Das sind ausgeklügelte Mechanismen“, sagt Tittmann und es schwingt etwas Stolz mit, dass die Bremer so klug planen. „Der Bremer tickt ein bisschen holländisch“, sagt er.

In Mecklenburg-Vorpommern geht es beim Anstieg des Meeresspiegels ebenfalls um das Wasser hinter dem Deich. „Wir müssen auch an die Binnenentwässerung denken“, sagt Thomas Zarncke. Denn nach einem Regenguss wird das Wasser in Gebieten hinter dem Deich nicht mehr abfließen, wenn sie einmal unter dem Meeresspiegel liegen. Das ist heute schon der Fall in Gemeinden wie Bugewitz bei Anklam, wo Moorflächen in großem Stil entwässert wurden, trocken fielen und dabei absanken. Will man solche Gebiete weiter landwirtschaftlich nutzen, müssen Schöpfwerke installiert werden. Auch das ist teuer. Es kann auch bedeuten, auf Neubauvorhaben in diesen Gebieten zu verzichten, sagte Zarncke.

Gebiete ganz aufzugeben, ist im deutschen Küstenschutz für die Zeit bis 2100 aber noch kein Thema. Zu Recht, wenn man sich den bisher letzten Bericht des Weltklimarats von 2013 anschaut. Im Szenario mit ungebremst starken Emissionen wird zwar ein Meeresspiegelanstieg von 52 bis 98 Zentimetern angenommen. Im Szenario mit sehr großen Kohlendioxid-Einsparungen sind es dagegen nur 26 bis 55 Zentimeter. Das scheint fast schon beherrschbar. Und im Klimavertrag von Paris haben sich die Länder der Erde schließlich verpflichtet, genau diesem Szenario zu folgen. 2019 wird der nächste Bericht des IPCC herauskommen. Dann hat sich die Datengrundlage wahrscheinlich schon verändert. Denn es gibt Anzeichen, dass die Eisschilde Grönlands und der Antarktis schneller abschmelzen als bisher gedacht.

Ob sich die Küstenländer angesichts dessen für den Klimaschutz einsetzen? „Die Frage kann man eigentlich gar nicht mit Nein beantworten“, findet Zarncke. Außer man sage: „Das ist alles Hokuspokus und wir nehmen das nicht ernst“, so wie US-Präsident Donald Trump es tue. „Die Auffassung vertritt aber niemand mehr. Auch wenn es bei uns durch den Meeresspiegelanstieg noch keine so existenzielle Bedrohung wie zum Beispiel auf den Fidschiinseln gibt“, sagt Zarncke.

„Was die Treibhausgas-Emissionen angeht, sind wir auf dem Weg zum Worst Case Szenario“, warnt Insa Meinke. „Wir können das Zwei-Grad-Ziel noch erreichen, wenn wir es beherzt angehen und die Emissionen drastisch reduzieren. Aber das ist derzeit nicht absehbar.“ Dann werde Küstenschutz immer teurer und immer schwieriger.

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