Neue Fragen im Wirecard-Skandal: Hatte der BND wirklich keine Informationen über Marsalek?
Ein Untersuchungsausschuss im Fall Wirecard rückt näher. Zu viele Fragen sind offen. Jetzt rückt ein ehemaliger Spitzenfunktionär des Kanzleramts in den Fokus.
Die Fragen bleiben. Auch nach der ersten von zwei Sondersitzungen des Finanzausschusses steigt die Wahrscheinlichkeit, dass der Fall Wirecard in einem Untersuchungsausschuss des Bundestages münden. FDP und Linke sind bereits dafür, die Grünen deuteten am Montag an, diesen voraussichtlich auch für nötig zu halten. Damit wäre das erforderliche Quorum erreicht.
„Es gibt noch so viele ungeklärte Fragen etwa rund um Jan Marsalek, dass ein Untersuchungsausschuss dringend geboten wäre", sagte Stephan Thomae, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der FDP dem Tagesspiegel. Die finanzpolitische Sprecherin der Grünen, Lisa Paus, sagte zudem: „Bisher hat sich die Bundesregierung immer wieder um die entscheidenden Fragen gewunden.“
Beim Fall Wirecard geht es um die Vorwürfe des Betrugs, der Bilanzfälschung, der Manipulation des Börsenkurses und der Veruntreuung von Konzernvermögen. Doch auch die Verbindungen zu Geheimdiensten des Ex-Vorstandsmitglieds Jan Marsalek wecken das Interesse der Abgeordneten.
Ein deutscher Ex-Geheimdienstkoordinator in Wien
In diesem Zusammenhang rückt nun ein ehemaliger Spitzenfunktionär des Bundeskanzleramtes in den Fokus des Interesses: Klaus-Dieter Fritsche. Er war bis Anfang 2018 Staatssekretär im Bundeskanzleramt und Beauftragter für die Nachrichtendienste des Bundes. Doch der Ruhestand war für den 67-Jährigen wohl nichts. Verschiedenen Quellen zufolge arbeitete er anschließend für Wirecard und wurde dann vom österreichischen Innenministerium als Berater angeheuert.
Allein dieser Seitenwechsel von Berlin nach Wien weckt bei vielen Abgeordneten Misstrauen. Schließlich verfügt er als ehemaliger Geheimdienstkoordinator über sensible Informationen. Hinter vorgehaltener Hand wird gerätselt, ob er als eine Art Doppelagent auch dem Bundesnachrichtendienst (BND) noch Informationen zukommen lässt. In Wien wiederum fragen sich viele Parlamentarier, wofür Fritsche überhaupt geholt wurde, denn konkrete Ergebnisse seiner Arbeit gäbe es kaum.
Was allerdings klar ist: Er lobbyierte weiterhin für Wirecard. Nach Unterlagen der Bundesregierung wandte sich Fritsche im August 2019 an das Kanzleramt und bat für den inzwischen insolventen Zahlungsdienstleister aus Aschheim um einen Gesprächstermin mit Lars-Hendrik Röller, dem Wirtschaftsberater von Kanzlerin Angela Merkel.
Das Gespräch fand am 11. September statt. Neben Röller und Fritsche nahmen Alexander von Knoop, Finanzchef von Wirecard, und Burkhard Ley, Berater des Konzerns, teil. Es habe „in erster Linie dem gegenseitigen Kennenlernen“ gedient, heißt es in einer Chronologie des Kanzleramtes, die dem Tagesspiegel vorliegt. Zudem habe Wirecard „in allgemeiner Form über ihre Geschäftsaktivitäten in Fernost“ informiert.
Hatte Marsalek auch zum BND Verbindungen?
Das Engagement von Fritsche für Wirecard schließt sich der Frage an, inwieweit auch Marsalek Verbindungen zum BND hatte. Linken-Politiker Fabio De Masi hält sogar eine Zusammenarbeit zwischen Wirecard und BND für wahrscheinlich: „Es würde mich sehr überraschen, wenn Dienste in Wien, München und Berlin einen Geheimdienst-Fan wie Marsalek und die Finanzdaten von Wirecard nicht gerne genutzt hätten.“
Auch Stephan Thomae sieht hier noch Aufklärungsbedarf. „Es wäre eigentümlich, wenn das Bundeskanzleramt und der BND nicht schon über die Geheimdienstkontakte Jan Marsaleks informiert gewesen wären, als Klaus-Dieter Fritsche noch Geheimdienstkoordinator war.“ Angeblich habe es schließlich spätestens seit 2017 Hinweise gegeben, dass sich Marsalek mit derlei Verbindungen brüstet. „Aus meiner Sicht hätten Marsaleks Behauptungen unbedingt geprüft werden“, so Thomae. „Sollte das nicht geschehen sein, muss geklärt werden, warum nicht.“
Staatsanwaltschaft greift auf Vermögen vom Ex-Chef zu
In München zieht der Wirecard-Skandal derweil weitere Kreise. Die Staatsanwaltschaft hat sich Zugriff auf Teile des Vermögens von Ex-Wirecard-Chef Markus Braun gesichert. Mit sogenannten Arrestbeschlüssen will die Staatsanwaltschaft München rund 200 Millionen von ihm, weiteren ehemaligen Managern des Unternehmens sowie drei Firmen einziehen, wie die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet.Das Geld soll den Aktionären und Gläubigern des insolventen Zahlungsdienstleisters zugutekommen.
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Braun verfügt über Immobilien in Österreich und hat laut dem Bericht außerdem vor zwei bis drei Monaten mehr als 100 Millionen Euro durch den Verkauf von Wirecard-Aktien eingenommen, womit er allerdings zu größten Teilen einen privaten Kredit zurückzahlen wollte. Der Ex-Chef sitzt nach wie vor in Untersuchungshaft. Mit Arrestbeschlüssen kann Beschuldigten den Zugriff auf ihr Vermögen entzogen werden.
Wie am Montag bekannt wurde, prüft die Anti-Geldwäsche-Einheit des Bundes FIU mittlerweile 144 Vorgänge, die als relevant für die Vorwürfe gegen Wirecard eingestuft werden. Sie teilten sich in 102 Verdachtsmeldungen und 42 sonstige Informationen auf, teilte ein Zoll-Sprecher mit. Die Mehrzahl der Verdachtsmeldungen sei der FIU erst nach dem 22. Juni 2020 zugeleitet worden. An diesem Tag hatte Wirecard Luftbuchungen von 1,9 Milliarden Euro eingeräumt.