zum Hauptinhalt
Der Finanzbetrug Wirecards bringt die Bundesregierung in Erklärungsnot.
© AFP
Update

Merkel, Scholz, Guttenberg: Was die Bundesregierung über Wirecard wusste

Was war über die kriminellen Machenschaften des Dax-Konzerns bekannt? Viele warben für Wirecard, auch der Ex-Geheimdienstbeauftragte Fritsche. Eine Übersicht.

Der Finanzbetrug des deutschen Dax-Unternehmens Wirecard ist lange nicht mehr nur ein Wirtschaftsskandal. Hochrangige Politiker der Bundesregierung, darunter auch die Bundeskanzlerin Angela Merkel, haben von Ungereimtheiten bei Wirecard und Ermittlungen gegen das FinTech-Unternehmen gewusst.

Am 29. Juli, also in der Sommerpause, will Finanzausschuss eine Sondersitzung zum Bilanzskandal abhalten. Finanzminister Scholz und Wirtschaftsminister Altmaier werden daran teilnehmen. Die Linke fordert nach einer Veröffentlichung des „Spiegels“ auch die Teilnahme von Angela Merkel.

Oppositionspolitiker von den Grünen und der FDP drohen derweil mit einem Untersuchungsausschuss. Der Finanzpolitiker Danyal Bayaz sagte: „Das ist die letzte Chance der Regierung, einen Untersuchungsausschuss noch abzuwenden.“ Die Bundesregierung würde nur „scheibchenweise aufklären“.

Brisant ist besonders ein Deal des FinTech-Unternehmens, in dessen Jahresbilanz 1,9 Milliarden Euro fehlten: Der Kauf des chinesischen Zahlungsabwicklers AllScore Payment Services durch Wirecard. Am 5. November 2019 schloss Wirecard tatsächlich einen Rahmenvertrag ab, mit dem der Konzern schrittweise alle Anteile an AllScore Payment Services übernehmen sollte. Allein 2020 wurde die Wirecard-Tochter wegen illegaler Verflechtungen in die Glücksspielbranche zu Rekordstrafen verurteilt.

Doch wie neueste Recherchen des „Spiegels“ nahelegen, wäre die Übernahme des chinesischen Unternehmens ohne das Zutun der Bundesregierung, konkret der Bundeskanzlerin bei ihrer China-Reise im September 2019, so nicht zustande gekommen.

Es stellt sich die Frage, zu welchem Zeitpunkt wusste die Bundesregierung wie viel? Setzte sich die Kanzlerin für das zwielichtige Unternehmen ein, ohne von den Vorwürfen gegen Wirecard zu wissen?

Wer wusste was?

Bundesfinanzminister Olaf Scholz:

Olaf Scholz erfuhrt im Februar 2019 von den Vorwürfen gegen Wirecard.
Olaf Scholz erfuhrt im Februar 2019 von den Vorwürfen gegen Wirecard.
© dpa

Olaf Scholz ließ sich im Februar 2019 das erste Mal über Vorwürfe gegen Wirecard informieren. Damals ermittelte die Bankenaufsicht BaFin, die dem Bundesfinanzministerium untersteht, bereits gegen das Unternehmen sowie gegen Mitarbeiter. Wirecard stand schon zu dieser Zeit im Verdacht, Bilanzen gefälscht, den Markt manipuliert und Geld gewaschen zu haben.

Die BaFin hatte mehrere Sonderprüfungen des Tech-Konzerns durchgeführt, sich letztendlich aber auf einen Bericht der Wirtschaftsprüfer von EY verlassen. Darin waren in der Buchhaltung Wirecards keine Unregelmäßigkeiten aufgeführt.

Staatssekretär im Finanzministerium Jörg Kukies:

Am 5. November 2019, am Tag des Wirecard-Deals mit dem AllScore Payment Services aus China, traf sich Scholz' Staatssekretär Jörg Kukies mit dem damaligen Chef von Wirecard, Markus Braun, in der Zentrale des Konzerns in München. Acht Monate zuvor, am 8. März 2019, hatte Kukies noch mit dem BaFin-Chef Felix Hufeld telefoniert – unter anderem über das Vorgehen der BaFin gegen Wirecard wegen des Verdachts auf Marktmanipulation.

Bei dem Treffen mit Braun soll Kukies dem „Spiegel“ zufolge auch über die Wirtschaftsprüfungsfirma KPMG, die kurz zuvor eine Sonderprüfung Wirecards begonnen hatte, gesprochen haben. Details darüber sind nicht bekannt und werden auch nicht im geheimen Bericht der Bundesregierung, in den Abgeordnete Einsicht hatten, geführt.

Der Bundesrechnungshof prüft nun den Umgang des Finanzministeriums und die Rolle der Bafin in dem Finanzskandal. Die EU-Wertpapieraufsicht ESMA prüft bereits etwaige Versäumnisse der Finanzaufsicht.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Ehemaliger Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg:

Guttenberg warb bei der Kanzlerin für Wirecard.
Guttenberg warb bei der Kanzlerin für Wirecard.
© dpa

Die Beratungsfirma des ehemaligen CSU-Politikers Karl-Theodor zu Guttenberg, Spitzberg Partners, beriet Wirecard laut eines Berichts der „Bild“-Zeitung in den Jahren 2016 bis 2020. Dabei handelte es sich, wie Guttenberg bestätigte, um die Unterstützung bei der Schließung von „neuen industriellen und technologischen Partnerschaften". Damit ist der Deal Wirecards mit AllScore Payment Services gemeint.

Guttenberg lobbyierte, wie der „Spiegel“ herausfand, bei der Bundesregierung für Wirecard und den Markteintritt des Unternehmens in China. Er bat demnach um die „Flankierung im Rahmen der China-Reise“ der Bundeskanzlerin, die am 8. September 2019 stattfand. Das Gespräch zwischen Merkel und Guttenberg fand am 3. September statt.

Nach der Reise bestätigte Lars-Hendrik Röller, Merkels Abteilungsleiter für Wirtschafts-, Finanz- und Energiepolitik, in einer Mail an Guttenberg: Wirecard ist bei Merkels Besuch in China zur Sprache gekommen, weitere Flankierung wurde zugesagt.

Guttenberg behauptet, zu dem Zeitpunkt nichts vom Finanzbetrug Wirecards gewusst zu haben.

Kanzlerin Angela Merkel und das Bundeskanzleramt:

Angela Merkel sprach bei ihrer China-Reise Wirecard persönlich an.
Angela Merkel sprach bei ihrer China-Reise Wirecard persönlich an.
© REUTERS

Das Bundesfinanzministerium hat einem Medienbericht zufolge erklärt, das Kanzleramt vor einer China-Reise von Kanzlerin Angela Merkel zum Fall Wirecard informiert zu haben. „Am 23. August 2019 hat das Bundesfinanzministerium auf Anfrage des Kanzleramts per E-Mail verschiedene Informationen zum Fall Wirecard weitergegeben“, zitierte der „Spiegel“ am Dienstag einen Sprecher des Ministeriums.

„Das Bundesministerium der Finanzen hat an das Bundeskanzleramt auf Arbeitsebene auf - im Übrigen öffentlich bekannte - Vorwürfe gegen das Unternehmen Wirecard hingewiesen.“ Übermittelt worden seien zusätzlich unter anderem Bundestagsdrucksachen mit Parlamentsanfragen zu den Anschuldigungen gegen Wirecard.

Der „Spiegel" zitierte aus Regierungskreisen, dass auch Unterlagen über laufende Untersuchungen der Aufsichtsbehörde BaFin sowie ein mögliches Fehlverhalten von Verantwortlichen der Wirecard AG weitergeleitet worden seien.

Bundeskanzlerin Angela Merkel thematisierte nach Angaben einer Regierungssprecherin bei ihrer China-Reise im September 2019 das Thema Wirecard. „Sie hat es angesprochen“, sagte die Sprecherin am Montag. Man kann davon ausgehen, dass Angela Merkel auf dem gleichen Stand war, wie das Kanzleramt – welches spätestens seit August von den Vorwürfen gegen Wirecard wusste.

Kontakt zwischen Wirecard und dem Kanzleramt gab es dem Regierungssprecher zufolge auch im November 2018. Damals wandte sich das Unternehmen über das Büro von Staatsministerin Dorothee Bär an das Bundeskanzleramt und bat um einen Termin für Vorstandschef Braun mit der Bundeskanzlerin und dem Chef des Bundeskanzleramtes.

Ein entsprechender Gesprächstermin sei am 22. Januar 2019 verneint worden. Das stattdessen angebotene Gespräch mit Röller, dem Leiter der Abteilung für Wirtschafts-, Finanz- und Energiepolitik des Kanzleramtes, sei von Braun nicht wahrgenommen worden.

Ehemaliger Staatssekretär im Kanzleramt, Klaus-Dieter Fritsche:

Klaus-Dieter Fritsche (CSU), damaliger beamteter Staatssekretär im Bundeskanzleramt und damaliger Beauftragter für die Nachrichtendienste des Bundes.
Klaus-Dieter Fritsche (CSU), damaliger beamteter Staatssekretär im Bundeskanzleramt und damaliger Beauftragter für die Nachrichtendienste des Bundes.
© dpa

Der frühere Staatssekretär und Beauftragte für die Nachrichtendienste des Bundes, Klaus-Dieter Fritsche, bat am 13. August 2019 um einen Termin für Wirecard mit Merkels Abteilungsleiter Röller. Anschließend traf er sich auch mit Röller und Wirecard-Vertretern, wie das Kanzleramt der Nachrichtenagentur Reuters bestätigte.

Nach Angela Merkels China-Reise traf sich Fritsche erneut mit Röller – sowie mit dem Wirecard-Finanzvorstand Alexander von Knoop und dessen Vorgänger Burkhard Ley, zu dieser Zeit strategischer Berater von Wirecard.

Das Gespräch habe in erster Linie dem gegenseitigen Kennenlernen gedient. "Zudem informierte die Wirecard AG in allgemeiner Form über ihre Geschäftsaktivitäten in Fernost", heißt es in einer Übersicht der Bundesregierung zu dem Fall. Eine weitere Flankierung des Kanzleramtes zu der AllScore-Übernahme sei nicht erfolgt.

Welche Rolle Fritsche rund um Wirecard genau spielte, war zunächst unklar. Besonders interessant ist sein Mitmischen aber, weil der untergetauchte Wirecard-Vorstand Jan Marsalek nachweislich ein Faible für Geheimdienste hat und offenbar Kontakte zum russischen Inlandsgeheimdienst FSB sowie zum Militärgeheimdienst GRU pflegt. Marsalek soll sich Recherchen des „Handelsblatts“ zufolge momentan in der Nähe von Moskau unter der Obhut des GRU befinden.

Abteilungsleiter für Wirtschafts-, Finanz- und Energiepolitik im Bundeskanzleramt Lars-Hendrik Röller:

Lars-Hendrik Röller stand in Kontakt mit Wirecard-Chef Braun.
Lars-Hendrik Röller stand in Kontakt mit Wirecard-Chef Braun.
© picture alliance / dpa

Am 13. Mai 2020 habe das Büro von Wirecard-Vorstandschef Markus Braun telefonisch um einen Termin für ein Telefonat mit Merkels Abteilungsleiter Lars-Hendrik Röller gebeten. Röller war vor Merkels Reise nach China im Kontakt mit Guttenberg und Klaus-Dieter Fritsche gestanden. Das Telefonat sei für den 19. Mai 2020 vereinbart und kurzfristig auf den 20. Mai 2020 verschoben worden, wie aus der Übersicht der Bundesregierung hervorgeht.

In dem Telefonat habe Braun den in der Presse zirkulierten Vorwurf der Bilanzfälschung zurückgewiesen und vollständige Aufklärung zugesichert. Röller habe die Ausführungen zur Kenntnis genommen. (mit Reuters, dpa, AFP)

Zur Startseite