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Die Wirecard-Insolvenz wegen mutmaßlichen Bilanzbetrugs beschäftigt den Bundestag.
© Peter Kneffel/dpa
Update

Wirecard-Skandal: Fragen an das Kanzleramt - und in Richtung München

Zur Finanzausschuss-Sondersitzung werden neue Details bekannt. Neben Ex-Minister Guttenberg setzte sich ein weiterer Ex-Unions-Politiker für die Firma ein.

Der Untersuchungsausschuss des Bundestags zur Wirecard-Affäre rückt näher. Doch an diesem Montag und am Dienstag wird es nochmals zwei Sondersitzungen des Finanzausschusses geben. Erstmals werden auch Vertreter des Kanzleramtes zugegen sein: Staatsminister Hendrik Hoppenstedt und die Abteilungsleiter Lars-Hendrik Röller (Wirtschaft) und Bernhard Kotsch (Nachrichtendienste).

Was schon zeigt, worum es gehen wird in den nächsten Monaten. Um die Verwicklung nämlich der Bundesregierung, bis hinauf in die oberste Regierungszentrale, in die Geschäftsinteressen des mittlerweile insolventen Unternehmens aus Aschheim in Bayern. Und dem Umgang von Kontrollbehörden des Bundes mit dem Zahlungsdienstleister, dessen Management mutmaßlich Bilanzfälschung in großem Ausmaß betrieben hat.

Finanzminister Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Peter Altmaier hatten schon Auftritte im Finanzausschuss, diese Woche ist zusätzlich noch Justizministerin Christine Lambrecht geladen. Erwartet werden auch Felix Hufeld, der Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin), der Chef der Geldwäschebehörde FIU, Christof Schulte, und ein Vertreter des bayerischen Innenministeriums.

Zeitfenster ist nicht groß

Das Problem der Oppositionsfraktionen: Wegen der Bundestagswahl im September kommenden Jahres ist das Zeitfenster nicht groß. Einige Monate gibt es nur für die Aufklärungssitzungen und das Schreiben eines Berichts. Insbesondere FDP und Linke drängeln, die Grünen wollten aber unbedingt noch die beiden Sondersitzungen – wohl auch, um interne Klärungen voran zu bringen, welches Ziel man mit einem Untersuchungsausschuss verfolgt.

"Zügig beginnen"

Der FDP-Finanzpolitiker Florian Toncar sagte dem Tagesspiegel: „Der Untersuchungsausschuss muss jetzt zügig beginnen, er sollte mehr Mitglieder haben als üblich und sich Zeit nehmen, so lange es geht im Wahljahr.“ Seien Fraktion wolle kein Ende vor Juni. „Ein Bericht lässt sich auch schrittweise erstellen, das muss nicht erst am Ende der Aufklärungsarbeit sein.“

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Das Erkenntnisinteresse der Oppositionsparteien ist unterschiedlich. Die Grünen betonen stark die Sacharbeit, ihren Finanzpolitikern geht es nicht zuletzt um eine bessere Aufstellung der Bundesrepublik im Kampf gegen Geldwäsche. Die Partei hat ein Positionierungsproblem: Die Grünen wollen sich koalitionspolitisch nach allen offen zeigen und haben daher wenig Interesse an einer zu starken Personalisierung eines Ausschusses.

Fragen ans Kanzleramt

Weniger Manschetten hat dagegen der Linken-Politiker Fabio de Masi, der schon jetzt gezielt das Kanzleramt samt Regierungschefin in den Blick nimmt. Er sieht noch viele offene Fragen zu der Peking-Reise von Angela Merkel im vorigen Herbst, bei der sie sich für den Marktzutritt von Wirecard in China einsetzte.

Einige davon hat nun das Kanzleramt (und zwar auf dem Weg über das Finanzministerium) beantwortet. Viel Neues enthält sie nicht. Zu dem persönlichen Gespräch des früheren Bundesministers und CSU-Politikers Karl-Theodor zu Guttenberg mit Kanzlerin Angela Merkel am 3. September 2019 erfährt man immerhin ein bisschen mehr. Guttenberg war als Lobbyist für Wirecard aktiv, um den Marktzugang des Unternehmens in China zu unterstützen.

Was machte Guttenberg?

De Masi fragte, ob die Firma Augustus Intelligence, ein in München gegründetes Digital-Startup, Thema gewesen sei. Zum Zeitpunkt des Gesprächs war Guttenberg Aktionär des Unternehmens. Zudem hatte sich der CDU-Bundestagsabgeordnete Philipp Amthor für Augustus Intelligence bei der Bundesregierung eingesetzt – Amthor war ebenfalls am Unternehmen beteiligt. 

Das Kanzleramt betont nun, dass Gespräche wie das mit Guttenberg nicht protokolliert würden. Doch folgt der Satz: „Herr zu Guttenberg hat vor dem Gespräch nicht angekündigt, dass er über Augustus Intelligence sprechen möchte oder das er als Vertreter eines Unternehmens auftritt.“

"Mangelnde politische Hygiene"

Die SPD-Finanzpolitikerin Cansel Kiziltepe sagte dazu: „Der Wirecard-Lobbyismus im Kanzleramt ist erschreckend. Dass ein ehemaliger Minister und Hochstapler über direkten Zugang in die Regierungszentrale verfügt, zeugt von mangelnder politischer Hygiene.“

Auch Ole von Beust setzte sich ein

Eine weitere neue Erkenntnis aus der Antwort an de Masi ist, dass Wirecard im Frühjahr 2020, als bereits Untersuchungen wegen möglicher Bilanzmanipulationen liefen, auch den früheren Hamburger Bürgermeister und CDU-Politiker Ole von Beust als Kontaktmann zum Kanzleramt einspannte. Beust, der eine Beratungsgesellschaft betreibt, wandte sich am 10. März 2020 an Röller mit der Bitte um Informationen zu einem damals für den Herbst geplanten EU-China-Gipfel in Leipzig.

China als Wachstumstreiber

Offenkundig war Wirecard auch zu dem Zeitpunkt noch sehr daran gelegen, die Unterstützung der Regierung in Peking zu haben. Der Marktzutritt in dem Riesenland bedeutete große Wachstumsperspektiven – und diese konnten wiederum in dem Betrugssystem der Firma genutzt werden, um nicht vorhandene Umsätze und Gewinne zu fingieren. 

Die von Röller dem Wirecard-Management zugesagte Flankierung des China-Projekts bestand nach dem neuen Schreiben darin, sich mit zwei Kontakten beim deutschen Botschafter in China und beim chinesischen Botschafter in Berlin dafür zu verwenden, sich der Anliegen mehrerer Unternehmen – darunter Wirecard – anzunehmen.

Unterschiedliche Akzente

Die Freien Demokraten betonen ebenfalls Sachinteressen. „Unser Hauptanliegen ist es, die Integrität der Finanzmärkte zu stärken und im Ergebnis einen handlungsfähigeren Rechtsstaat zu haben, der die Interessen normaler Anleger schützt“, sagt Toncar. „Uns geht es weniger um neue Gesetze, sondern darum, Vollzugsprobleme im Fall Wirecard aufzuzeigen und dann darauf zu dringen, die geltenden Gesetze besser anzuwenden.“ Das aber dürfte einer der Hauptstreitpunkte eines Ausschussverfahrens werden.

Während sich die FDP hier mit der Union trifft, wollen SPD, Grüne und Linke auch gesetzgeberisch auf die Wirecard-Affäre reagieren. Scholz hat dazu schon ein Ideenpaket vorgelegt, unter anderem mit Änderungen bei der Bilanzaufsicht. 

Im Finanzministerium fürchtet man, dass unter dem frischen Eindruck des Wirecard-Skandals jetzt mögliche Gesetzesverschärfungen scheitern könnten, wenn der Untersuchungsausschuss sich lange hinzieht.

Was geschah in Bayern?

Ein weiterer Aspekt ist das Handeln bayerischer Behörden. Laut Toncar muss sich der Blick eines Ausschusses auch nach München richten, „denn es gibt beim bayerischen Unternehmen Wirecard auch dort einiges zu klären“. Ein Punkt werde in jedem Fall „die Schnittstelle zwischen Bafin und der Staatsanwaltschaft München sein, die ja beide mit Untersuchungen oder Ermittlungen gegen Wirecard zu tun hatten“. Allerdings kommt der Bundestag hier gegebenenfalls nicht allein weiter, weil er keinen Zugriff auf Dokumente einer Landesregierung verlangen kann. „Der Landtag dort sollte uns daher mit eigener Aufklärungsarbeit unterstützen“, fordert Toncar. 

Von Märchengeschichte geblendet?

In Richtung München hat auch die SPD-Abgeordnete Kiziltepe Fragen. „Bis heute ist es mir unbegreiflich, warum sich Bayern bei der Geldwäscheaufsicht für nicht zuständig erklärt“, sagt sie. „Möglicherweise hat man sich hier allzu gerne von der Märchengeschichte über einen bayrischen ‚Global Player‘ im Bereich Fintech blenden lassen. Alles andere würde den Verdacht der Vetternwirtschaft nähren.“ Hinweise auf dubiose Finanzströme habe es bereits vor der Insolvenz von Wirecard gegeben.

SPD geht es auch um Wirtschaftsprüfer

Die Sozialdemokraten haben vor allem ein Interesse daran, Scholz möglichst glimpflich durch einen Untersuchungsausschuss zu bringen. Weshalb Kiziltepe auf die Verantwortung der Wirtschaftsprüfer verweist, die im Fall Wirecard lange „offensichtlich blind“ gewesen seien. Bilanzprüfer bei Wirecard war das Unternehmen EY. Zuständig für die Aufsicht dieser Firmen und damit die Gesetzesvorschriften ist das Bundeswirtschaftsministerium. „Der Fall Wirecard zeigt die deutlichen Qualitätsprobleme im System der Wirtschaftsprüfung. Eine gründliche Reform ist dringend notwendig“, sagt Kiziltepe. Doch der Wirtschaftsminister schweige noch immer, obwohl er in der Verantwortung stehe. „Dies zeugt von einem enormen Desinteresse an einer effektiven Kontrolle.“

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