Ruf nach einer unabhängigen Stiftung: Grüne fordern Reform der Patientenberatung
Die Grünen wollen, dass die unabhängige Patientenberatung künftig über eine Stiftung erfolgt. Die Vergabe auf dem freien Markt sei ein Fehler gewesen.
Nach der wiederholten Kritik an Strukturen und Arbeitsweise der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD) fordern die Grünen im Bundestag nun eine komplette Reform des Beratungssystems. Nötig sei die „Gründung einer von Leistungserbringern, Kostenträgern und privaten Unternehmen unabhängigen Patientenstiftung (…), die Patientenbelangen einen verlässlichen Ort verleiht“, heißt es in einem Antrag, den die Fraktionsgremien vor kurzem beschlossen haben und der dem Tagesspiegel Background Gesundheit & E-Health vorliegt. Dieser Stiftung solle dann auch die Unabhängige Patientenberatung übertragen werden.
„Es braucht endlich eine starke und unabhängige Institution, die an der Seite der Patientinnen und Patienten steht“, sagte die gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion, Maria Klein-Schmeink, dem Tagesspiegel Background. „Eine Stiftungsstruktur genießt hohes Vertrauen, ermöglicht eine unabhängige Trägerstruktur und Planungssicherheit.“
Zudem fordere man „eine unmittelbare Anbindung zurück zur Zivilgesellschaft“, die Stiftung solle deshalb „in die Hände von Patienten- und Verbraucherorganisationen sowie der Selbsthilfe gelegt“ werden. Diese hätten sich für eine gemeinsame Verantwortung und Steuerung der UPD bereits bereiterklärt.
Seit der Vergabe der Unabhängigen Patientenberatung an ein kommerziell interessiertes Unternehmen vor fünf Jahren reiße die Kritik an der UPD nicht ab, sagte Klein-Schmeink zur Begründung ihres Vorstoßes. „Callcenter-Strukturen, Qualitätsmängel, die Nähe zu Pharmaindustrie und Krankenkassen und eine vom Bundesrechnungshof bestätigte unwirtschaftliche Mittelverwendung haben das Vertrauen und die Glaubwürdigkeit in eine eigentlich unabhängige und gemeinnützige Patientenberatung massiv erschüttert.“
„Vertrauen in die Beratung massiv erschüttert“
Der umstrittene, aber von der Großen Koalition gebilligte Trägerwechsel im Jahr 2015 habe „zu einem Verlust an Handlungsfähigkeit und Qualität“ geführt, heißt es in dem Antrag. „Durch die Vergabe an das Unternehmen Sanvartis ist nicht nur das jahrelang aufgebaute Wissen der ehemaligen Beraterinnen und Berater verloren gegangen, der neuen UPD fehlt auch der Bezug zu Selbsthilfe- und Patientenorganisationen und den regionalen Akteuren, die für eine lösungsorientierte Beratung und Unterstützung unerlässlich sind.“ Außerdem sei einer wirklich unabhängigen Beratung von Anfang an im Weg gestanden, dass die gesetzlichen Krankenkassen „zugleich Fördermittelgeber als auch Gegenstand vieler Beratungen“, sprich Patientenbeschwerden, waren.
Tatsächlich war die Entscheidung, die jedem Patienten zustehende kostenfreie Beratung dem Duisburger Unternehmen Sanvartis zu übertragen, vielen Gesundheitsexperten und Patientenschützern von Anfang an nicht geheuer. Schließlich hatte der Auftragnehmer sein Geld bisher mit Callcentern für Krankenversicherer und Pharmaindustrie verdient.
Um den Zuschlag zu erhalten, musste Sanvartis dann immerhin eine Tochterfirma ausgründen, die keinen Profit erwirtschaften darf. Doch die Vorbehalte der Kritiker blieben. Könne ein derart mit dem System verbandeltes Unternehmen quasi im Nebenjob Patienten neutral informieren, sie gar im Konflikt gegen ihre anderweitige Kundschaft unvoreingenommen unterstützen, fragten sie.
Und kamen schon damals zu dem Schluss, dass die Patientenberatung wegen solcher Interessensverquickung besser mit Blick darauf besser bei den bisherigen Betreibern, also bei Verbraucherzentralen, Sozialverband und gemeinnützigen Trägervereinen, aufgehoben wäre.
Auch Kritik vom Bundesrechnungshof
„Schien schon 2016 ein Tiefpunkt erreicht, wurde die UPD 2018 von der Öffentlichkeit nahezu unbemerkt an die Careforce GmbH weiterverkauft – ein Unternehmen, das auch für die pharmazeutische Industrie tätig ist“, referieren die Antragsteller weiter.
Hinzu komme, dass der Bundesrechnungshof in seinem Bericht vom Juni 2020 der UPD unwirtschaftliche Mittelverwendung und Mehrfachstrukturen attestiert habe. Ihm zufolge gingen fast 30 Prozent der Fördersumme – mehr als 20 Millionen Euro – direkt an den Sanvartis-Unternehmensverband, der damit verschiedene Dienstleistungen bezahle.
Die Beratungstätigkeit für Patienten vor Ort indessen sei trotz gestiegener finanzieller Mittel „massiv reduziert“ worden, so die Grünen. Persönliche Beratungen vor Ort, die gerade den Zugang für Arbeitslose, Rentner und Eingewanderte erleichtert hätten, seien trotz gestiegener finanzieller Mittel „auf ein Minimum reduziert“ worden.
Tatsächlich hatte der Rechnungshof in seinem Bericht für die UPD bereits das empfohlen, was die Grünen nun formell fordern: eine Stiftung zur Beratung der Patienten. Daneben nannte er als mögliche Träger noch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen oder die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.
Und wenn es beim bisherigen Ausschreibungsmodell bleibe, müsse die Politik wenigstens sicherstellen, dass die festgestellten Mängel beseitigt würden und die Höhe der finanziellen Mittel in Abhängigkeit zum Umfang und zur Entwicklung des Beratungsaufkommens stünden.
Linke und Verbraucherzentralen für Steuerfinanzierung
Auch die Linksfraktion drängt auf eine Reform. In einem Antrag verlangte sie bereits im Juni einen Trägerwechsel zurück zu Patientenorganisationen, die mit institutioneller Patientenberatung beschäftigt seien. Außerdem sollte die UPD aus ihrer Sicht nicht mit Versichertengeldern der Gesetzlichen Krankenversicherung, sondern aus Steuern finanziert werden. Und der Bundesverband der Verbraucherzentralen veröffentlichte im September ein Rechtsgutachten des Regensburger Staats- und Verwaltungsrechtlers Thorsten Kingreen, der ebenfalls eine Neuorganisation der UPD mit Anbindung „an die Zivilgesellschaft und Sicherstellung ihrer Unabhängigkeit“ forderte.
Auch Kingreen plädierte darin auf eine Finanzierung aus Steuermitteln, um die finanzielle und organisatorische Unabhängigkeit vom GKV-Spitzenverband sicherzustellen. Die UPD hielt dagegen. Die wissenschaftliche Begleitung zeige, dass die Bürger mit der Beratung sehr zufrieden seien und insbesondere die telefonische Erreichbarkeit gut sei, konterte Geschäftsführer Thorben Krumwiede.
Dass es ohne fachlich verlässliche und unabhängige Patientenberatung nicht geht, ist Konsens. Das Gesundheitssystem sei derart komplex, dass Patienten immer wieder in Situationen gerieten, wo sie Rat und Hilfe benötigten, argumentieren die Grünen.
„Sei es, weil eine Krankenkasse den Antrag auf ein Hilfsmittel abgelehnt hat oder sie Schwierigkeiten beim Bezug von Krankengeld macht. Sei es, weil bei den Patientinnen und Patienten die Fragen zur Notwendigkeit einer bestimmten Behandlung auftauchen oder sie Unterstützung bei der Suche nach einer geeigneten Ärztin oder einem geeigneten Arzt benötigen. Oder weil sie im Falle eines Behandlungsfehlers Beratung und Beistand brauchen.“ In all diesen Fällen sollten sich die Betroffenen „darauf verlassen können, dass sie unabhängig und kompetent beraten werden“.
Die persönliche Beratung vor Ort müsse wieder „mehr ausgebaut und die unterschiedlichen Beratungsstrukturen miteinander vernetzt werden“, forderte Klein-Schmeink. Nur so könne man „den Bedürfnissen von Ratsuchenden mit komplexen Problemen gerecht werden“ und den Zugang zur Beratung erleichtern. „Ich erwarte von Jens Spahn und der Patientenbeauftragten eine zügige Lösung, die Ausschreibung endlich zu beenden, die Unabhängigkeit der Patientenberatung wieder zu stärken und dafür zu sorgen, die Patientenbelange endlich in den Mittelpunkt zu stellen“, sagte die Grünen-Politikerin.