Privatfirma übernimmt Patientenberatung: Streit um Unabhängigkeit
Juristisch war die Auftragsvergabe in Ordnung. Doch die Kritik daran, dass eine mit den Krankenkassen verbandelte Privatfirma nun die Unabhängige Patientenberatung übernehmen darf, will nicht verstummen.
Der Streit tobte monatelang, es ging dabei um nichts Geringeres als die Unabhängigkeit staatlich geförderter Patientenberatung, und am Ende konnte er nur juristisch beendet werden. Schwarz auf weiß bestätigte die Vergabekammer des Bundes dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen, dass bei der Neuvergabe der Unabhängigen Patientenberatung in Deutschland (UPD) alles mit rechten Dingen zugegangen sei. Die Auftragsvergabe war dann bloß noch Formsache: Am vergangenen Freitag erhielt das Duisburger Unternehmen Sanvartis endgültig den Zuschlag für die nächsten sieben Jahre Patientenberatung ab 2016 – mit 62 Millionen Euro aus Mitteln der gesetzlichen und weiteren 630 000 Euro von der privaten Krankenversicherung.
Die Mutterfirma betreibt Callcenter für Krankenkassen
Drei Tage später versuchten alle Beteiligten nochmals zu begründen, warum sie diese sensible Aufgabe ausgerechnet einer Firma übertragen mussten, die ihr Geld bisher mit Callcentern für Krankenversicherer und Pharmaindustrie verdient.
Wie geht man dort dann, zum Beispiel, mit dem Notruf eines Krankenversicherten um, dem notwendige Therapien oder Hilfsmittel vorenthalten wurden? Kann ein mit den Kassen verbandeltes Unternehmen quasi im Nebenjob Patienten auch neutral informieren, sie im Konflikt gar gegen ebendiese Kassen unterstützen? War diese Anlaufstelle mit Blick darauf nicht viel besser bei den bisherigen Betreibern aufgehoben, bei Verbraucherzentralen, Sozialverband VdK und den gemeinnützigen Trägervereinen des Verbunds unabhängiger Patientenberatung?
"Das überzeugendste Konzept"
Die Duisburger Firma habe bei der europaweiten Ausschreibung nun mal „das überzeugendste Konzept“ geboten, betonte Gernot Kiefer vom Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Und der Patientenbeauftragte der Regierung, Karl-Josef Laumann, freute sich, dass das bisherige Angebot nun „massiv ausgeweitet und umfassend modernisiert“ werde.
Bisher, so sagte er, sei die Unabhängige Patientenberatung nur zwei Prozent der Bevölkerung bekannt. Das habe man angesichts der vielen Unsicherheiten von Patienten aufgrund immer stärker werdenden Spezialisierung in der Medizin nicht so weiterlaufen lassen können.
Nebenbeschäftigung untersagt
Gleichzeitig versprachen Kiefer und Laumann, dass die zu gründende Sanvartis GmbH als UPD-Betreiber völlig unabhängig vom bisherigen Konzern agieren werde. So würden alle Mitarbeiter inklusive Geschäftsführer einzig bei der neuen Tochterfirma angestellt, Nebenbeschäftigung sei untersagt.
Auch auf das IT-System der Patientenberater erhalte der Mutterkonzern keinen Zugriff. Überwacht werde die Arbeit von einem „unabhängigen Auditor, den der UPD-Beirat zu berufen habe. Und falls Neutralität und Unabhängigkeit gefährdet erschienen, seien Sanktionen vereinbart. „Das beginnt bei Rückforderungen und reicht bis zur Vertragskündigung.“
Die Zielmarke sind 220 000 Beratungen im Jahr
Entscheidend für die Auftragsvergabe sei aber das Angebot gewesen, sagte Laumann und sprach von einem „Quantensprung“. Bis 2017 will Sanvartis die Zahl der Beratungen von 81 000 auf 220 000 im Jahr gesteigert haben. Telefonisch sei die UPD künftig deutlich länger erreichbar – werktags von acht bis 22, samstags bis 18 Uhr. Acht von zehn Anrufern würden binnen 20 Sekunden weiterverbunden - bisher benötigten sie, um durchzukommen, im Schnitt mehr als drei Anläufe.
Alle Anrufe, auch vom Mobiltelefon, seien fortan kostenfrei. Persönlich werde statt an 21 künftig an 30 Standorten beraten. Hinzu kämen drei mobile Teams für weitere 100 Städte, Hausbesuchsangebote für Pflegebedürftige und Schwerbehinderte, ein türkisch- und russischsprachiger Service, ein besserer Internetauftritt, Apps und Chat-Angebote...
Beiratsmitglieder räumen aus Protest ihre Posten
Die Kritiker überzeugt das alles nicht. Aus Protest gegen die Auftragsvergabe räumten am Montag gleich zwei renommierte Gesundheitswissenschaftler ihre Posten im UPD-Beirat: Marie-Luise Dierks von der Medizinischen Hochschule Hannover und Rolf Rosenbrock, Chef des Paritätischen Gesamtverbands. Durch seine Rolle bei der Ausschreibung sei Laumann „dafür verantwortlich, dass eine wirklich unabhängige Patientenberatung ab 2016 nicht mehr existiert“, schimpfte die Grünen-Politikerin Maria Klein-Schmeink. Und Kathrin Vogler (Linke) ist es schleierhaft, wie Sanvartis, das schon 2016 an den Start gehen will, so schnell an qualifiziertes Personal kommen wolle. „Am Ende werden es vielleicht doch genau dieselben Call Center Service Agents sein, die im Augenblick am Telefon im Auftrag von Krankenkassen Patienten das Krankengeld verweigern.“
Der Text erscheint in der "Agenda" vom 22. September 2015 - einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die komplette Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.