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Von 2023 bekommen die Bauarbeiter den Weg zur Baustelle bezahlt: je nach Streckenlänge gibt es sechs bis elf Euro am Tag.
© dpa

Tarifabschlüsse in der Pandemie: Genügsame Gewerkschaften

Einkommenserhöhungen auf dem Bau und im öffentlichen Dienst bleiben unter der Inflationsrate. Drei Prozent mehr Geld im Handel.

Den Gewerkschaften gelingt es nur mit Mühe die Kaufkraft ihrer Mitglieder zu sichern. Wenn überhaupt. Aktuelle Tarifabschlüsse für die Bauwirtschaft und den öffentliche Dienst in Hessen bleiben unterhalb der Inflationsrate, die sich Richtung fünf Prozent bewegt. Das wiederum freut neben den Arbeitgebern auch die Ökonomen, die in stark steigenden Löhnen eine Gefahr für die Preissteigerung sehen. In diesen Monaten sind die Energiekosten und der so genannte Basiseffekt aufgrund der im zweiten Halbjahr 2020 reduzierten Mehrwertsteuer die Haupttreiber der Inflation. Im kommenden Jahr jedoch, so die Befürchtung, könnten hohe Tarifabschlüsse diese Rolle übernehmen. Mit Blick auf neue Tarifverträge ist das jedoch unwahrscheinlich.

Geringe Erhöhung trotz Bauboom

Für die knapp 900 00 Beschäftigten in der Bauwirtschaft einigten sich die Tarifparteien jetzt auf folgende Entgelterhöhungen: Zum 1. November steigen die Einkommen im Westen um zwei Prozent und im Osten um drei Prozent. Am 1. April 2022 gibt es eine weitere Erhöhung um 2,2 Prozent (Ost: 2,8 Prozent) und im April 2023 um weitere zwei Prozent (Ost: 2,7 Prozent). Mit den unterschiedlichen Prozentzahlen erreichen die Baulöhne im Osten 2024 rund 95 Prozent des Westniveaus. Bis 2026 wollen die Tarifparteien dann die Angleichung vollzogen haben. 36 Jahre nach der Einheit.

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Angleichung Ost bis 2026

Gewissermaßen als Ausgleich für die geringere Erhöhung der Monatsentgelte bekommen die Bauarbeiter im Westen in diesem Jahr eine Coronaprämie von 500 Euro, im Osten nur 220 Euro. Ferner gibt es für das Tarifgebiet West 2022 eine Einmalzahlung in Höhe von 400 Euro, ein Jahr später sind es noch einmal 450 Euro.

Prämie für den öffentlichen Dienst

Für den öffentlichen Dienst in Hessen vereinbarten Verdi, Beamtenbund und die Gewerkschaften der Polizisten und Lehrer am Freitag eine Erhöhung um zwei Prozent - aber erst im August nächsten Jahres. Ein Jahr später folgen weitere 1,8 Prozent. Sowohl für 2021 und 2022 erhalten die Landesbediensteten jeweils eine Einmalzahlung von 500 Euro. Diese Coronaprämie ist steuer- und sozialabgabenfrei. „Mit dem Abschluss tragen wir der schwierigen Corona-Situation Rechnung“, meinte die stellvertretende Verdi- Vorsitzende Christine Behle und kam mit Hilfe der Coronaprämie zu einer erstaunlichen Bewertung des über 24 Monate laufenden Tarifvertrags: „Wichtig ist, dass der Reallohnverlust vermieden werden konnte.“ Die Sonderzahlung von insgesamt 1000 Euro komme direkt bei den Beschäftigen an. „Damit stellt sie eine starke soziale Komponente dar.“

Beschäftigte des öffentlichen Dienstes demonstrierten in Wiesbaden für mehr Geld. In diesem und im nächsten Jahr gibt es jeweils eine Coronaprämie von 500 Euro.
Beschäftigte des öffentlichen Dienstes demonstrierten in Wiesbaden für mehr Geld. In diesem und im nächsten Jahr gibt es jeweils eine Coronaprämie von 500 Euro.
© picture alliance/dpa

Der Abschluss in Hessen ist bemerkenswert, weil Hessen seit vielen Jahren als einziges Bundesland nicht mehr zur Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) gehört und eigentlich die mit der TdL vereinbarten Tarifverträge mehr oder weniger deckungsgleich übernimmt. In diesem Jahr ist die Reihenfolge umgekehrt, und Verdi möchte mit dem Pilotabschluss in Hessen Druck machen auf die TdL. Fünf Prozent beträgt die Forderung für die gut eine Million Tarifbeschäftigte der Länder; der Abschluss wird in der Regel auch auf zwei Millionen Beamten und Versorgungsempfänger übertragen. Ein Abschluss mit der TdL wird Ende November erwartet.

Bauarbeiter bekommen Geld für den Arbeitsweg

Ein besonders dickes Tarifpaket haben die Tarifparteien in der Bauwirtschaft geschnürt. Die relativ mickrigen Prozente sowie die lange Laufzeit des neuen Vertrags von 33 Monaten sind der Preis, den die IG BAU für die Umsetzung eines seit Jahren strittigen Projekts zahlt: Von 2023 bekommen die Bauarbeiter eine Entschädigung für den überdurchschnittlich lagen Weg zum Arbeitsplatz. Während im Schnitt die abhängig Beschäftigten hierzulande 17 Kilometer bis zum Job zurücklegen, sind es auf dem Bau 60 Kilometer.

Viele Jahre hatten sich die Arbeitgeber gegen eine Vergütung der Wegezeit gewehrt, unter der Vermittlung des Bundessozialrichters Rainer Schlegel ließen sie sich am späten Donnerstagabend auf diese Regelung ein: Bis zu einer Entfernung von 50 Kilometer zahlen die Firmen von 2023 an sechs Euro/Tag, ein Jahr später steigt der Betrag auf sieben Euro. Für eine Distanz zwischen 51 und 75 Kilometer gibt es acht und 2024 dann neun Euro, jenseits der 75 Kilometer sind neun (elf) Euro fällig.

Schwierige Lage im Einzelhandel

Die neue Regelung steht im Bundesrahmentarifvertrag und ist damit allgemeinverbindlich: Alle Bauunternehmen müssen künftig die Wegezeitentschädigung zahlen. Ursprünglich hatten sich die Bauarbeitgeber auch mit dem Hinweis auf den bürokratischen Aufwand verweigert. Am Freitag war davon keine Rede mehr. Auf den Baustellen seien Apps zur Zeiterfassung im Einsatz, die auch für die Wegezeit genutzt werden könnten, hieß es beim Zentralverband des Baugewerbes.

Die Bauwirtschaft gehört zu den Branchen, die relativ unbeschadet durch die Pandemie gekommen sind. Dagegen war die Entwicklung im Handel extrem uneinheitlich: Der Lebensmitteleinzelhandel und das Online-Geschäft profitierte, während vor allem der stationäre Non-Food- Bereich unterm Lockdown litt. Trotzdem einigten sich die Tarifparteien bislang in einigen Bundesländern sowie für den Groß- und Außenhandel auf eine branchenweite Tariferhöhung um drei Prozent rückwirkend zum 1. August jedoch mit einer Obergrenze von 81 Euro/Monat. Je nach Gehaltsgruppe bedeutet das einen Aufschlag zwischen 1,8 und drei Prozent. Im nächsten April folgt ein weiterer Schritt um 1,7 Prozent. Der neue Tarifvertrags ist 24 Monate gültig.

Drei Millionen Verkäuferinnen und Verkäufer

Im Einzelhandel sind hierzulande rund drei Millionen Personen beschäftigt, weitere 1,2 Millionen verdienen ihr Einkommen in Betrieben des Großhandels. Am kommenden Dienstag steht eine weitere Verhandlungsrunde für den Handel in Berlin-Brandenburg an, bei der vermutlich die in anderen Bundesländern vereinbarten Prozente übernommen werden.

Reallohnverlust für Eisenbahner

Wie schwierig es für Gewerkschaften ist, unter Pandemiebedingungen hohe Tarife durchzusetzen, zeigte in diesem Sommer die Auseinandersetzung bei der Bahn. Trotz drei Streiks über neun Tage blieb die Gewerkschaft der Lokführer am Ende mit dem Tarifkompromiss weit unterhalb der Inflationsrate: Zum 1. Dezember bekommen die Eisenbahner eine lineare Erhöhung um 1,5 Prozent und weitere 1,8 Prozent dann erst zum 1. März 2023 bei einer Vertragslaufzeit von 32 Monate bis Oktober 2023.

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