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5,3 Prozent mehr Geld fordert die IG BAU für die Bauarbeiter. Und dazu eine Wegeentschädigung.
© imago images/Jürgen Heinrich

Tarifkonflikt auf dem Bau: 60 Kilometer zur Arbeit

Die IG BAU will eine Entschädigung für lange Wegezeit durchsetzen. Schlichtung beginnt in Berlin. Auch auf dem Bau fehlen Fachkräfte.

Rainer Schlegel ist ein vielbeschäftigter Mann. Als Präsident des Bundessozialgerichts kommt er locker auf eine 40-Stunden-Woche. Zusätzlich hat sich der Jurist einen Job aufgehalst, der ihn seit einem Jahr beschäftigt: Schlegel ist Schlichter im Tarifkonflikt der Bauindustrie. In den kommenden Tagen sucht er die Antwort auf eine vermeintlich schlichte Frage: Wie kann die Wegezeit zur Baustelle vergütet werden? Die langen Fahrten seien für die Beschäftigten das „Job-Problem Nr. 1“, klagt die IG Bauen, Agrar, Umwelt (IG<TH>BAU) und fordert Geld für die Fahrt.

Im Schnitt, so argumentiert die Gewerkschaft, legt ein Arbeitnehmer hierzulande 17 Kilometer bis zum Arbeitsplatz zurück. Bei den Bauleuten sind es aber gut 60 Kilometer. Vom 18. Kilometer an möchte die Gewerkschaft eine Vergütung der Fahrzeit haben, die hin und zurück nicht selten zwei bis drei Stunden beträgt. Die Arbeitgeber lehnen das ab: zu teuer und zu bürokratisch.

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Der letzte Streik war 2002

Zum Beginn der Schlichtung an diesem Mittwoch ruft die IG BAU zu einer Demonstration nach Berlin und droht erstmals seit vielen Jahren mit Streik. Bauarbeiter sind friedliche Leute: der letzte Arbeitskampf war 2002. „Wenn sich die Arbeitgeber auch bei der Schlichtung wieder querstellen, dann wird es im Herbst unweigerlich einen Bau-Streik geben“, kündigte der IG-BAU-Vorsitzende Robert Feiger am Dienstag an. „Hunderte von Baustellen stehen dann zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen, zwischen Aachen und Görlitz still.“

Knapp 900 000 arbeiten auf dem Bau

Nachdem in den vergangenen Monaten fünf Verhandlungsrunden mit den Arbeitgebern ergebnislos geblieben waren, hatte die IG BAU die Schlichtung angerufen. Sie fordert eine Einkommenserhöhung um 5,3 Prozent, die Anhebung der Ost- Entgelte auf Westniveaus – je nach Lohngruppe beträgt der Unterschied fünf bis zehn Prozent – und schließlich die Wegezeitentschädigung für die 890 000 Baubeschäftigten, darunter 28 400 in Berlin.

Vor einem Jahr bereits hatte Schlegel den damaligen Tarifkonflikt geschlichtet – ohne dass Geld für den Arbeitsweg beschlossen wurde. Stattdessen gab es einen Verabredung: Unter der Leitung des Sozialrichters wollten und sollten die Tarifparteien bis Mitte dieses Jahres eine Lösung für eine verbindliche Einführung einer Wegezeit-Entschädigung erarbeiten. Das hat nicht geklappt, sodass der Tarifkonflikt nun zu eskalieren droht.

Für bestimmte Entfernung eine Pauschale

Für alle Beteiligten ist die Lage schwierig: Die IG BAU muss endlich ein Ergebnis liefern, zumal der letztjährige Tarifabschluss pandemiebedingt ziemlich mau ausfiel; trotz des Baubooms. Die Arbeitgeberverbände wiederum haben Angst vor ihren Mitgliedsunternehmen, die Kosten und Aufwand der Wegezeitenberechnung scheuen. Zuletzt torpedierten die Arbeitgeber eine Annäherung, weil sie statt des Fahrwegs, der mit Hilfe digitaler Tools problemlos festzustellen ist, nur noch die Luftlinie zwischen Wohnort und Baustelle gelten lassen wollten.
Die IG BAU möchte mit Unterstützung Schlegels eine Staffelung durchsetzen: Für den Kilometer X bis zum Kilometer Y gibt es eine fixe Summe, für den Kilometer Y bis Kilometer Z auch. Erst von 2023 an sollten die Firmen zahlen, hatte Schlegel vorgeschlagen. Die Arbeitgeber lehnten ab. Bis zum 20. Oktober hat der Sozialrichter jetzt Zeit für eine neue Empfehlung.

Bauleute gesucht

Auf den deutschen Baustellen fehlt immer mehr ausgebildetes Personal. Nach einer Umfrage des Ifo-Instituts hatte im September jeder dritte Hochbau-Betrieb Probleme, Fachkräfte zu finden. Im Tiefbau klagten sogar 38 Prozent über einen Mangel an geeigneten Bewerbern. „Neben Materialengpässen wird auch der Fachkräftemangel immer mehr zum Problem für die Bauwirtschaft. Und das bei vollen Auftragsbüchern“, sagte Ifo-Forscher Felix Leiss am Mittwoch in München. Die Betriebe sorgten sich um die Altersstruktur ihrer Belegschaft und um das zu geringe gesellschaftliche Ansehen des Handwerks. „Trotz wieder steigender Ausbildungszahlen hat der Bau ernste Nachwuchssorgen“, sagte Leiss. mit dpa

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