Energiewende: Gabriel will aufräumen
Der Wirtschaftsminister zieht die geplante Kohleabgabe aus Sorge um Arbeitsplätze in der Lausitz und im Rheinland zurück.
Berlin - Angriffslustig und kompromissbereit, etwas schnodderig aber überaus sachkundig: Sigmar Gabriel zog am Mittwochvormittag alle Register. Der Minister für Wirtschaft und Energie erläuterte rund 1500 Vertretern der Energiewirtschaft auf deren Jahrestagung in Berlin seine Arbeit. Gastgeberin Hildegard Müller hatte als Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes BDEW zuletzt mächtig Dampf abgelassen („Die Koalition ist eine Enttäuschung“) und der Politik bescheinigt, den vielfältigen Problemen der Energiewende nicht gewachsen zu sein. Eine schöne Vorlage für Gabriel.
„Wir räumen jetzt den Schutt auf, der vier oder fünf Jahre liegengeblieben ist“, meinte der Minister und Vizekanzler im Rückblick auf die schwarz-gelbe Koalition (2009 bis 2013). Damals habe sich Müller, die ihre Karriere in der CDU begann und die einen guten Draht hat zur Bundeskanzlerin, zurückgehalten. „Mit meinen Vorgängern wollten Sie sich nicht in die Wolle kriegen.“ Und als er im vergangenen November die Energieversorger und den BDEW aufgefordert habe, Vorschläge zur CO2-Einsparung zu machen, lautete die Ansage: „Herr Gabriel, wir wollen darüber nicht reden.“ Dann habe eben sein Haus mit dem Klima- oder Kohlebeitrag einen Vorschlag gemacht. „Die Zeit des sich Drückens ist jetzt vorbei“, rief Gabriel in den Saal. Dann räumte er noch die Forderungen des Verbandes nach einem umfangreichen Ausbau der Förderung für Kraft- Wärme-Kopplung (KWK) und nach einem Kapazitätsmarkt als nicht marktwirtschaftlich und viel zu teuer vom Tisch. Um sie kurz darauf in modifizierter Form wieder hervorzuholen.
Der Minister will mit der Energiewirtschaft kooperieren
Gabriel war alles in allem auf Kooperationskurs. Der Minister erklärte das Aus für die von seinem Staatssekretär Rainer Baake (Grüne) vor drei Monaten vorgelegte Klimaabgabe. Damit sollten bis 2020 22 Millionen Tonnen CO2 zusätzlich vermieden werden. Doch RWE und Vattenfall, die Kohleländer Sachsen, NRW und Brandenburg, die Gewerkschaften und der BDEW hielten dagegen und rechneten vor, das viele Braunkohlekraftwerke und damit auch Tagebaue unwirtschaftlich würden. Gabriel selbst sprach am Mittwoch von „Dominoeffekten“ und der Gefahr von Strukturbrüchen in der Lausitz und dem rheinischen Revier. Dazu wird es nicht kommen, wenn sich der Koalitionsausschuss am 1. Juli auf folgende Alternative zur Kohleabgabe verständigt: Alte Kohlekraftwerke sollen abgestellt werden, das bringt Gabriel zufolge viel Millionen Tonnen CO2.
Durch die schrittweise Stilllegung von Braunkohlekraftwerken mit einer Gesamtleistung von 2,7 Gigawatt werden bis 2020 12,5 Millionen Tonnen CO2 vermieden. Damit greift Gabriel einen Vorschlag der IG Bergbau, Chemie, Energie auf, die Kohlekraftwerke für vier Jahre in eine Kapazitätsreserve stecken will, die dann mobilisiert wird, wenn die Erneuerbaren nicht genügend Strom liefern. Die IG BCE wollte allerdings sechs Gigawatt Kraftwerksleistung in die Reserve packen. Die zum Einsparziel von 22 Millionen Tonnen noch fehlenden 5,5 Millionen Tonnen will Gabriel unter anderem durch den Austausch von Wärmepumpen und alten Heizungsanlagen erreichen. Dazu seien Mittel im Bundeshaushalt erforderlich, und auch die bundeseigenen Bahn „muss einen Beitrag leisten“, sagte Gabriel ohne konkreter zu werden.
Der aus seinem Haus stammenden Klimabeitrag sei zwar „effizient und kostengünstig“, doch die Gefahr für die Arbeitsplätze in den betroffenen Regionen sei zu groß. „Die Energiewende wird nur laufen, wenn wir alle mitnehmen“, meinte Gabriel in diesem Zusammenhang.
Das DIW plädiert für die Kohleabgabe
Zu einer anderen Einschätzung kommt eine Studie des DIW im Auftrag der Böll-Stiftung der Grünen: „Der Klimabeitrag bietet Chancen für den wirtschaftlichen Strukturwandel und Beschäftigung.“ In der ursprüngliche Form würde die Kohleabgabe dazu führen, dass 2020 die CO2-Emissionen hierzulande um 26 Millionen Tonnen niedriger ausfielen, hat das DIW ausgerechnet. Das von den Gegnern der Abgabe angeführte Preisargument sei vernachlässigbar: Für die privaten Verbraucher würde die Kilowattstunde nur um knapp 0,2 Cent teurer. Dagegen sei die nun favorisierte Kraftwerksreserve teuer. „Eine Reserve wäre von den Endkunden zu bezahlen und würde alten CO2-Schleudern noch ein goldenes Ende bereiten“, meinte die Energieexpertin des DIW, Claudia Kemfert.
So oder so kommen auf Verbraucher und Steuerzahler zusätzliche Lasten zu. Etwa auch durch den vorgesehenen Ausbau der KWK-Förderung; die höhere KWK-Umlage will Gabriel indes „nicht einfach auf den Mittelstand abwälzen“. Natürlich werde man sich auch wieder mit dem Energieverband zusammensetzen bei der Umgestaltung der Energiewirtschaft, die für Gabriel neben Demografie und Digitalisierung die große Herausforderung in den nächsten Jahren ist. Und zwar europaweit. Mit dem Zusammenkratzen der 22 Millionen Tonnen sei es bei weitem nicht getan, sagte der Minister und erinnerte den BDEW daran dem Ziel zugestimmt zu haben, die CO2-Emissionen bis 2030 um weitere 200 Millionen Tonnen zu reduzieren. Gewaltige Dimensionen. „Ich würde mich auch mal gerne mit sechs Kumpels treffen, und eine Zahl für 2100 erfinden“, meinte der Vizekanzler mit Blick auf den G7-Gipfel von Elmau und die dort proklamierte Dekarbonisierung. Doch er steckt in den Mühen der Ebene.
Alfons Frese