Energiewende: „Die Koalition ist eine Enttäuschung“
Hildegard Müller, Chefin des Lobbyverbandes BDEW, sieht die Energiewende in Gefahr, weil die Politik nichts tut.
Hildegard Müller geht so langsam die Geduld aus. Die frühere Vertraute Angela Merkels führt seit einigen Jahren den Branchenverband BDEW, in dem sich rund 1900 Unternehmen der Energie- und Wasserwirtschaft zusammengeschlossen haben, und ist deshalb eine Mitgestalterin der Energiewende. Besser gesagt: Sie wäre das gerne. Doch da nach ihrer Wahrnehmung die Politik auf der Stelle tritt und längst überfällige Themen nicht anpackt, gibt es auch keinen Dialog mit den Entscheidungsträgern. „Die Performance der großen Koalition ist eine Enttäuschung“, sagte Müller am Dienstag in Berlin. „Handwerklich ist es unverständlich, dass es einer großen Koalition nicht gelingt, einen strukturierten Dialog zu organisieren.“ Das richtet sich vor allem gegen Wirtschafts- und Energieminister Sigmar Gabriel (SPD) und dessen Staatssekretär Rainer Baake (Grüne). Doch die Regierung insgesamt und die 16 Bundesländer agieren aus Müllers Sicht eher problemverstärkend denn -lösend. „Es gibt immer noch 16 Energiewenden an der bundesweiten vorbei.“
An der Debatte um die Klimaabgabe auf Kohlekraftwerke hatte sich Müller in den vergangenen Monaten nicht vernehmbar beteiligt. „Das ganze Land sucht seit einem halben Jahr 22 Millionen Tonnen CO2, als wenn es allein darum ginge“, kritisierte sie den Kohlestreit. Inzwischen scheint die Kohle- oder Klimaabgabe vom Tisch und ein Alternativvorschlag der IG Chemie, Bergbau, Energie (IG BCE), wonach Kohlekraftwerke vom Markt genommen werden und für eine begrenzte Zeit eine Kraftwerksreserve bilden, auch von Gabriel favorisiert zu sein. „Das geht in die richtige Richtung“, meinte Müller. Doch ob das Thema nun endlich im nächsten Koalitionsausschuss am 1. Juli abgehakt wird, ist für die BDEW-Hauptgeschäftsführerin keineswegs ausgemacht. „Das ist schon häufiger verschoben worden.“
Auch deswegen ist das Vertrauen in die Politik der langjährigen Politikerin – unter anderem war Müller Vorsitzende der Jungen Union und Staatsministerin in Merkels Kanzleramt – abhanden gekommen. Nach der Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) im vergangenen Jahr sei nichts mehr passiert, die Probleme stauten sich: Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK), Energieeffizienz, Netzausbau, konventionelle Kraftwerke, Marktdesign und Frackinggesetz – „nichts ist passiert“, meinte Müller. Im Herbst sei die Halbzeit der Legislaturperiode erreicht, im kommenden Jahr stehen sechs Landtagswahlen an, und dann beginnt bald schon der Bundestagswahlkampf. Deshalb müsse die Koalition jetzt endlich in Schwung kommen.
Überfällig sei ein „geordnetes Dialogverfahren“ zwischen Bund und Ländern sowie den Akteuren der Energiewende. Vorrangig dabei und noch vor der Sommerpause zu klären ist für Müller die Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung. Schon jetzt sei absehbar, dass das KWK-Ziel der Regierung bis 2020 nicht erreicht werden könne. Eine Folge des Nichtstuns. Im Vertrauen auf den Koalitionsvertrag hätten viele Stadtwerke ihre KWK-Kapazitäten ausgebaut, doch dann sei „nichts passiert“. Alles in allem sei die Politik der Dimension der Aufgaben offenbar nicht gewachsen – und verspiele zunehmend das Vertrauen von Investoren. „Die notwendige Planungssicherheit für Versorger, Investoren und Verbraucher fehlt“, klagte Müller. Doch nur mit Investitionen der Energiefirmen werde die Energiewende gelingen.
Nach einer aktuellen Studie des Weltenergierats sind bis 2030 rund 280 Milliarden Euro für Investitionen in die Energiewende erforderlich. Da traditionelle Energieversorger mit dem Rücken zur Wand stünden, und zwar kommunale ebenso wie privatwirtschaftliche, müssten neue Investoren gefunden werden: institutionelle Geldgeber wie Fonds oder Versicherungen, strategische Investoren aus der Branche oder risikobereite Private-Equity-Investoren. „Wir brauchen langfristige und stabile politische Rahmenbedingungen, sonst werden Investoren sich anderweitig umschauen“, meinte Uwe Franke, Präsident der deutschen Sektion des Weltenergierats. „Wer soll dann die Energiewende finanzieren?“
Auch auf diese Frage wird Energieminister Gabriel womöglich heute eine Antwort geben, wenn er auf dem Jahreskongress des BDEW in Berlin über die „Herausforderungen der Energiewende“ spricht. Ein weites Feld.