EZB-Urteil des Verfassungsgerichts: EU-Kommission prüft Klage gegen Deutschland
Karlsruhe stufte EZB-Anleiheankäufe als verfassungswidrig ein. Das könnte für die Bundesregierung Folgen haben. Der EuGH sieht europäisches Recht in Gefahr.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Staatsanleihekäufen der Europäischen Zentralbank könnte für die Bundesregierung unangenehme Folgen haben. Nach Informationen des „Spiegel“ schließt die EU-Kommission nicht aus, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einzuleiten, sollte die Bundesregierung bei der Umsetzung des Urteils gegen europäisches Recht verstoßen. Ein Sprecher sagte, man prüfe das Urteil derzeit.
Für Unmut bei Rechtsexperten und Brüsseler Politikern sorgt dem Bericht zufolge vor allem die Kritik der Verfassungsrichter am Europäischen Gerichtshof (EuGH). Der CSU-Europaparlamentarier Markus Ferber klagt, dass die Karlsruher Richter „eine Grenze überschritten“ hätten. Wenn sich in der Folge Polens Verfassungsgericht „mit den gleichen Argumenten über den EuGH hinwegsetzen würde, sind wir auf abschüssigem Gelände“.
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Ähnlich argumentiert der ehemalige Bundesfinanzminister und heutige Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU). Er sieht nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Anleihenkäufen der Europäischen Zentralbank (EZB) Gefahren für den Fortbestand des Euro.
„Es kann gut sein, dass in anderen EU-Mitgliedstaaten nun auch der Bestand des Euro in Frage gestellt wird – weil ja jedes nationale Verfassungsgericht für sich urteilen könne“, sagte Schäuble dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „Diese Situation macht niemandem Freude.“
Man müsse nun „politisch umso mehr alles daran setzen, Europa zu stärken“, sagte Schäuble. Er machte deutlich, dass er das Urteil des Gerichts nachvollziehen könne. „Es ist bekannt, dass ich als Finanzminister auch nicht immer einverstanden war mit Entscheidungen der EZB – bei allem Respekt für deren Unabhängigkeit“, sagte er.
„Unabhängige Institutionen, die nicht demokratisch legitimiert und kontrolliert sind, müssen sich streng auf ihr Mandat begrenzen und dürfen es nicht zu weit auslegen. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist also nicht ganz einfach zu widerlegen.“ Dennoch sei es „auch schwierig, wenn das deutsche Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs nicht als verbindlich anerkennen kann“, sagte Schäuble.
Das Bundesverfassungsgericht hatte den billionenschweren Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB als teilweise verfassungswidrig eingestuft. Die Deutsche Bundesbank darf sich nach der Entscheidung künftig nur unter bestimmten Bedingungen an dem Kaufprogramm beteiligen.
Erstmals stellt sich Karlsruhe gegen höchstes EU-Gericht
Das oberste deutsche Gericht stellte sich damit erstmals gegen ein Urteil des höchsten EU-Gerichts. (Az. 2 BvR 859/15 u.a.). Die EU-Kommission hatte daran erinnert, dass Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) für alle Mitgliedsstaaten bindend seien.
Die EZB will sich durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht von ihrem Kurs abbringen lassen. Die EZB sei eine unabhängige Institution, die rechenschaftspflichtig gegenüber dem Europäischen Parlament sei und durch ihr Mandat angetrieben werde, sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde am Donnerstag in einer Online-Konferenz der Nachrichtenagentur Bloomberg. „Wir werden weiterhin tun, was immer nötig ist, um dieses Mandat zu erfüllen“, sagte sie. „Unbeirrt werden wir das weiterhin machen.“
Die EZB will gemäß ihres Mandats für Preisstabilität sorgen. Dazu strebt sie knapp zwei Prozent Inflation als Idealwert für die Wirtschaft an. Sie verfehlt dieses Ziel aber bereits seit Frühjahr 2013.
Europäischer Gerichtshof reagiert auf deutsches Urteil
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts könnte nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs das Justizsystem der EU gefährden. Der EuGH kommentiere Urteile nationaler Gerichte zwar nicht, teilte der Gerichtshof am Freitag mit. „Ganz generell“ könne jedoch auf die ständige Rechtsprechung des EuGH hingewiesen werden, „wonach ein im Vorabentscheidungsverfahren ergangenes EuGH-Urteil für das vorlegende nationale Gericht bindend ist“.
Dass die Handlung eines EU-Organs gegen EU-Recht verstößt, dürfe nur der EuGH feststellen. So werde die einheitliche Anwendung des EU-Rechts gewahrt. „Meinungsverschiedenheiten der mitgliedstaatlichen Gerichte über die Gültigkeit einer solchen Handlung wären nämlich geeignet, die Einheit der Unionsrechtsordnung aufs Spiel zu setzen und die Rechtssicherheit zu beeinträchtigen.“ Nationale Gerichte seien dazu verpflichtet, „die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu garantieren“. (dpa, AFP, Reuters)