Umstrittenes Pflanzengift Glyphosat: EU-Kommission entscheidet über Zulassung
Die EU-Mitgliedländer konnten sich auch am Freitag nicht über die Wieder-Zulassung des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat einigen. Jetzt muss die Kommission ein Machtwort sprechen.
Die erneute Zulassung des umstrittenen Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat liegt ab sofort allein in der Hand der EU-Kommission. Nachdem sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union am Freitag auch nicht in einem Berufungssausschuss auf eine Zulassungsverlängerung einigen konnten, sind nun alle Wege der Entscheidungsfindung in dieser Angelegenheit ausgeschöpft. Von den 28 Mitgliedsländern stimmten am Freitag einem Sprecher der Kommission zufolge 19 für eine weitere Zulassung, sieben enthielten sich, Frankreich sowie Malta waren dagegen.
Am 30. Juni läuft die bisherige Zulassung für Glyphosat aus
Da die Stimmen der Länder unterschiedlich gewichtet werden, kam keine qualifizierte Mehrheit für den jüngsten Vorschlag der EU-Kommission zustande. Diese will die bisherige Zulassung für Glyphosat um zwölf bis 18 Monate verlängern. Am 30. Juni, also am kommenden Donnerstag, läuft die derzeitige Zulassung für Glyphosat in der Europäischen Union aus. Deutschland hatte sich in Brüssel der Stimme enthalten, da die Frage im Bundeskabinett umstritten ist. Während Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Agrarminister Christian Schmidt (CSU) für die Zulassungsverlängerung sind, lehnen Umweltministerin Barbara Hendricks sowie die anderen SPD-Minister dies ab.
Die EU-Kommission muss eine Entscheidung treffen
Die Internationale Krebsforschungsagentur (IARC) der Weltgesundheitsorganisation WHO hatte den Wirkstoff im Frühjahr 2015 als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft. Experten rechnen dennoch fest damit, dass das höchste EU-Gremium einen Beschluss zugunsten des weltweit meistverkauften Pestizids treffen wird – aller Voraussicht nach schon am Montag. „Der Kommission bleibt im Grunde gar nichts anderes übrig, als die weitere Zulassung zu beschließen“, sagte die BUND-Umweltexpertin Heike Moldenhauer dem Tagesspiegel. Schließlich hätten diverse im Auftrag der EU tätige Organe wie die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) und Deutschlands Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in den vergangenen Monaten wiederholt die Unbedenklichkeit des Stoffes bestätigt. „Eine Entscheidung gegen Glyphosat würde die beteiligten Behörden schädigen und außerdem das Zulassungsverfahren für Wirkstoffe in Frage stellen“, sagt Moldenhauer.
Bayer will Glyphosat-Marktführer Monsanto übernehmen
Vor allem aber sei die weitere Zulassung von Glyphosat wegen der mächtigen Agrochemie-Konzerne wahrscheinlich, die das Mittel produzieren. „Sie würden sofort auf Zulassung klagen, wenn die Kommission eine Entscheidung zu ihren Ungunsten trifft“, ist sich Moldenhauer sicher. In Europa stellen rund ein Dutzend Firmen das Pflanzengift her, unangefochtener Marktführer ist das US-Unternehmen Monsanto. Der Konzern aus St. Louis produziert überdies gentechnisch verändertes Saatgut, das gegen Glyphosat resistent ist. Das Geschäftsmodell ist offenkundig auch für die Konkurrenz aus Deutschland interessant: Bayer hat Monsanto vor einigen Wochen ein Übernahmeangebot über 55 Milliarden Euro unterbreitet, das von den Amerikanern allerdings als zu niedrig verworfen wurde. Bayer will die Offerte nun nachbessern.
Die Nutzung des Mittels auf öffentlichen Plätzen soll eingeschränkt werden
Beide Konzerne können damit rechnen, dass Glyphosat zumindest auch in den kommenden anderthalb Jahren eingesetzt – und somit verkauft werden darf wie bisher. Zwar hat EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis angesichts des massiven öffentlichen Gegenwinds beim Glyphosat angekündigt, dass er den Verbrauch des Mittels auf öffentlichen Plätzen und beim Einsatz kurz vor der Ernte einschränken möchte. „Dieses Angebot ist aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein, der Großverbrauch wird damit nicht angetastet“, kritisiert Umweltschützerin Moldenhauer.
40 Prozent der Felder in Deutschland werden mit Glyphosat behandelt
Allein in Deutschland werden 40 Prozent aller Felder mit Glyphosat bespritzt. Der Verbrauch hierzulande lag im Durchschnitt der vergangenen Jahre bei rund 5000 Tonnen pro Jahr, wobei der größte Teil in der Landwirtschaft zum Einsatz kommt. Dass sich an dieser Masse in absehbarer Zeit etwas ändert und die Landwirte ihre Äcker bald wieder wie zu alten Zeiten durch Umpflügen von Unkräutern befreien, hält BUND-Expertin Moldenhauer zumindest zum jetzigen Zeitpunkt für utopisch. „Was die EU-Kommission in der kommenden Woche beschließen wird, ist darauf gerichtet, das System so zu erhalten, wie es ist“, sagt sie.
Auf Bundesebene könnte die Auseinandersetzung weiter gehen
Auch wenn der Streit ums Glyphosat bei der EU bald vom Tisch sein sollte: Auf Bundesebene könnte die Auseinandersetzung um das Pestizid weitergehen. Bundesumweltministerin Hendricks zumindest hat sich bereits im Januar einen Vorschlag des Umweltbundesamtes (Uba) zu eigen gemacht, der den künftigen Einsatz des Unkrautvernichtungsmittels tangieren dürfte. Bauern, die Pestizide anwenden, sollten künftig zehn Prozent ihrer Ackerfläche komplett frei von Chemiekalien halten, lautete die Uba-Forderung. „Was daraus wird, hängt vom Druck der öffentlichen Debatte ab“, sagt Moldenhauer.