Weniger Gift, mehr Spritverbrauch, mehr Erosion: Was ein Glyphosat-Verbot für die Landwirtschaft bedeutet
Im Streit um Glyphosat bietet die EU bietet einen Kompromiss an. Auch nationale Verbote sind möglich. Welche Folgen hätten diese für die Landwirtschaft?
Für die einen ist es ein nützlicher Helfer, um Unkraut klein zu halten, für die anderen ist es ein übles Gift, das verboten werden sollte. Wie es mit dem umstrittenen Herbizid Glyphosat weitergehen soll, darüber wollen Vertreter der EU am kommenden Montag erneut beraten. Die Zeit drängt, Ende Juni läuft die Zulassung aus.
Ein Kompromissvorschlag der Kommission ist nun, die Zulassung zunächst für zwölf bis achtzehn Monate zu verlängern. Das sagte EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis am Mittwoch in Brüssel. Das Ziel sei, zunächst die Ergebnisse der Europäischen Chemikalienagentur abzuwarten. Zudem empfahl Andriukaitis den Mitgliedsländern, den Einsatz des Mittels in Parks, Spielplätzen und Gärten zu minimieren. Auch das Aussprühen auf Nutzpflanzen direkt vor der Ernte sollte eingeschränkt werden. Ähnliches hatte das EU-Parlament im April gefordert.
In Deutschland werden jährlich 5000 Tonnen Glyphosat versprüht
Die Zulassung des Herbizids in Europa gilt nur noch bis Monatsende. Können sich die EU-Staaten bis dahin nicht auf eine Position einigen, muss die Brüsseler Behörde selbst entscheiden. Nach Angaben von Andriukaitis können jene EU-Staaten, die den Gebrauch von Glyphosat auf ihrem Territorium nicht wünschen, das Herbizid trotzdem verbieten. Landwirte dürften dort nur noch bis Jahresende Restmengen einsetzen. Dann wäre Schluss. Welche Folgen hätte diese Entscheidung für die Landwirtschaft?
Dieser Frage ist im Jahr 2015 ein Autorenteam um Hella Kehlenbeck vom Julius-Kühn-Institut (JKI) nachgegangen, das dem Bundeslandwirtschaftsministerium zugeordnet ist. Der Untersuchung zufolge (hier geht's zum PDF) werden jährlich auf rund 40 Prozent der Ackerfläche in Deutschland glyphosathaltige Herbizide ausgebracht. Dazu kommt die Unkrautbekämpfung in Weinbergen und Apfelplantagen sowie – untergeordnet – in Kleingärten. Insgesamt werden jedes Jahr rund 5000 Tonnen des Wirkstoffs Glyphosat versprüht.
Kaum "chemische Alternativen"
Auf dem Acker gibt es drei wesentliche Einsatzzeiten: kurz vor der Aussaat, damit die jungen Kulturpflanzen nicht gegen höher stehendes Unkraut ankämpfen müssen; kurz vor der Ernte, um Verunreinigungen gering zu halten, sowie drittens bei der „Stoppelbehandlung“ nach der Ernte, um ein erneutes Aufwachsen unerwünschter Pflanzen zu vermeiden.
Prinzipiell haben Landwirte zwei Alternativen zum Glyphosateinsatz. Sie können entweder andere Herbizide verwenden oder sie bearbeiten den Boden durch zusätzliche Fahrten mit dem Pflug oder Grubber, um Unkraut zurückzudrängen. „Chemische Alternativen“ sind laut Kehlenbeck und ihren Kollegen nicht wirklich vorhanden. Sowohl vor der Aussaat als auch nach der Ernte sind die zugelassenen Mittel nicht mit Glyphosat vergleichbar. Ihre Wirkung ist zu schwach.
„Glyphosat wird in der Pflanze verteilt und wirkt auf alle Teile, sie stirbt ab“, erläutert Sylvia Knopke vom Brandenburger Pflanzenschutzdienst in Frankfurt (Oder). Das sei vor allem bei Unkräutern wichtig, die ein starkes Wurzelgeflecht haben wie etwa Quecke. „Andere Herbizide wirken oft nur auf oberflächliche Pflanzenteile – nach einiger Zeit treiben die Wurzeln erneut aus.“
Ersatzstoff Deiquat ist für Säugetiere hochtoxisch
Ähnlich verhält es sich mit dem Einsatz, wenn die Feldfrüchte reif sind. Bei dieser „Sikkation“ genannten Behandlung geht es darum, alle grünen Pflanzenteile und Unkräuter auf dem Acker zu töten. Das erleichtert die Ernte von Getreide, Raps oder auch Kartoffeln. Zudem ist weniger feuchtes Pflanzenmaterial im Erntegut. Das erspart aufwendiges Trocknen.
Lediglich für Raps haben die Forscher um Kehlenbeck mit Deiquat (Reglone) einen Wirkstoff identifiziert, der ihrer Einschätzung nach sinnvoll zur Sikkation eingesetzt werden kann. Die Wirkung sei ähnlich, doch die Umweltwirkungen seien stärker. Die Forscher zitieren Studien, denen zufolge Deiquat für Vögel und Säugetiere hochtoxisch ist.
Für einen direkten Vergleich mit Glyphosat nutzten die Experten den Risikoindikator „Synops“. Dabei wird einerseits die Konzentration eines bestimmten Stoffs in der Umwelt herangezogen: im Boden, angrenzenden Biotopen und Gewässern – abhängig davon, wie gut oder schlecht die Substanz transportiert wird. Diese Zahlen werden mit der Toxizität verglichen, etwa der Wirkung auf Fische, Algen, Regenwürmer und Bienen. In mehreren Risikoberechnungen schnitt Glyphosat deutlich besser ab als Deiquat.
Zusätzliche Fahrten mit Grubber oder Pflug
Die zweite Möglichkeit, um ohne das bekannte Herbizid störendes Unkraut zurückzudrängen, sind zusätzliche Bodenarbeiten wie Grubbern oder Pflügen. Hier kommt es maßgeblich auf die Örtlichkeit an, machen die Forscher deutlich. Prinzipiell hat es in den letzten Jahren ein Umdenken in der Landwirtschaft gegeben: Um Erosion fruchtbarer Ackerkrume durch Wind und Wasser zu vermeiden, soll die Oberfläche möglichst nicht frei liegen. Grubbern und Pflügen bewirken aber genau das. Vor allem an geneigten Hängen oder dort, wo der Wind gut angreifen kann, steigt die Erosionsgefahr, wenn Landwirte häufiger den Boden auf- oder umbrechen.
„Darüber hinaus trocknet der unbedeckte Boden schneller aus“, gibt Sylvia Knopke zu bedenken. Die lehmigen Böden des Oderbruchs werden in der typisch-brandenburgischen Trockenheit mitunter so hart, dass es unmöglich sei, einen Pflug zu ziehen, sagt sie.
Je nach Standort sind ein bis drei zusätzliche mechanische Bearbeitungsgänge im Jahr nötig, um Unkraut in Schach zu halten, berichten die Forscher. Zumindest das Pflügen schädigt die Bodenstruktur, es sind weniger Lebewesen wie etwa Regenwürmer darin zu finden. Hinzu kommen zusätzliche Treibhausgase durch den erhöhten Spritverbrauch und die Kosten für entsprechendes Gerät und Arbeitskräfte. Ist nur ein zusätzlicher Bearbeitungsgang nötig, um die gewohnte Wirkung von Glyphosat zu erzielen, kann das kostenneutral oder sogar billiger sein, schreiben Kehlenbeck und ihr Team. Sind mehrere Arbeitsgänge nötig, wird es teurer. Haben diese zusätzlichen Fahrten nicht den gewünschten Erfolg, sinken trotzdem die Erträge.
Mehr Maschineneinsatz und mehr Bedarf an Arbeitskräften
Das ist einer der Gründe, weshalb im Öko-Landbau pro Fläche weniger eingefahren wird als in der konventionellen Landwirtschaft. Das Forschungsinstitut für biologischen Landbau hat beide Bewirtschaftungsformen in langjährigen Versuchen in der Schweiz miteinander verglichen. Demnach sind die Erträge ohne synthetische Pflanzenschutzmittel und mit halb so viel Dünger um 20 Prozent geringer als in konventionell wirtschaftenden Betrieben.
„Die Mehrkosten, die der Glyphosatverzicht mit sich bringen würde, blieben bei den Bauern hängen“, sagt Horst-Henning Steinmann vom Zentrum für Biodiversität und nachhaltige Landnutzung an der Universität Göttingen. Es würde vor allem jene treffen, die ihren Betrieb stark auf den Einsatz des effektiven und preiswerten Totalherbizids eingestellt haben. Manche verfügten gar nicht über ausreichend Maschinen und Arbeitskräfte, um die zusätzlichen Bodenarbeiten zu bewältigen, sagt der Forscher. „Aber das sind in der Regel größere Betriebe. Die müssen sich entsprechend neu organisieren.“ Man dürfe nicht vergessen, dass es etliche Bauern gebe, die bereits ohne Glyphosat arbeiten. Für diese ändere sich kaum etwas, außer dass alternative Herbizide wohl noch teurer werden.
Verbrauch an Glyphosat ist zuletzt deutlich gestiegen
Diese Mittel sind allerdings gegen manche Unkräuter machtlos – aufgrund von Resistenzen. Glyphosat ist bisher der „Notnagel“, der hilft, wenn nichts anderes mehr hilft. Was aber nicht bedeutet, dass das Land zwangsläufig unter Quecke und Acker-Fuchsschwanzgras ersticken wird. „Bei starkem Befall, besonders durch resistente Unkräuter, muss der Acker unter Umständen auch mal ein Jahr lang aus der Produktion genommen und mehrfach umgebrochen werden“, sagt Steinmann.
Die Landwirte kamen schließlich auch vor 20 Jahren, als Glyphosat noch deutlich weniger eingesetzt wurde, zurecht. „Natürlich ist es ersetzbar“, stellt der Göttinger Forscher klar. „Ich denke aber, dass der Nutzen so weit überwiegt, dass es weiter zugelassen werden sollte.“ Allerdings sei der Verbrauch in den vergangenen Jahren bedenklich gestiegen, woraufhin beispielsweise der Einsatz vor der Ernte strenger reguliert wurde. „Es ist eine gute Gelegenheit, innezuhalten und darüber nachzudenken, wo der Einsatz wirklich sinnvoll ist und wo man darauf verzichten sollte.“ Die massenhafte Anwendung erhöhe den Selektionsdruck auf Unkräuter. Damit werde es wahrscheinlicher, dass es auch hierzulande resistente Pflanzen geben wird.
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