Chef des Bundeskartellamts im Interview: „Es wäre gut, wenn Amazon in den Lebensmittelmarkt einsteigt"
Der Chef des Bundeskartellamts über mögliche Schadensersatzforderungen von Kaiser’s Tengelmann und Edeka gegen seine Behörde, den Markteintritt von Amazon und das Expansionsstreben der großen Digitalkonzerne.
Er legt sich gern mit den großen Unternehmen an. Andreas Mundt (56) ist im Umgang rheinisch- locker, in der Sache knallhart. Seit 2009 ist das FDP-Mitglied Präsident des in Bonn ansässigen Bundeskartellamts. Brauern, Wurst-, Kaffee- und Zementherstellern hat er Kartellabsprachen nachgewiesen, Kungeleien zwischen Markenproduzenten und Händlern mit hohen Bußgeldern bestraft. Auch die Übernahme von Kaiser’s Tengelmann durch Edeka hat das Kartellamt untersagt. Derzeit kämpft die Behörde unter anderem gegen die Marktmacht von Facebook.
Herr Mundt, kaufen Sie eigentlich noch bei Kaiser’s Tengelmann ein?
Das habe ich früher getan. Aber die Tengelmann-Läden, die ich kenne, sind jetzt alle umgeflaggt auf Netto-Märkte. Mal sehen, wie das alles weitergeht.
Beobachten Sie, was mit den Lieferanten passiert?
Natürlich machen wir das. Mit der Branche sind wir ja fortlaufend befasst. Kurz nach Kaiser’s Tengelmann kam die Fusion zwischen Rewe und Coop. Dann haben wir unsere Hinweise zu verbotenen Preisbindungen veröffentlicht. Außerdem sind in der jetzt vom Bundestag beschlossenen Novelle des Wettbewerbsrechts auch zwei Vorschriften zum Lebensmittelhandel verschärft worden, nämlich das Verbot des Handels, Waren unter dem Einstandspreis zu verkaufen, und das Anzapfverbot, das Händlern verbietet, ihre Lieferanten über Gebühr zur Kasse zu bitten.
Was bringt das?
Die neuen Vorschriften schränken den Spielraum der großen Handelsunternehmen weiter ein. Wir haben bereits ein wichtiges Verfahren gegen Edeka wegen der Hochzeitsrabatte abgeschlossen. Nach der Übernahme von Plus hatte Edeka die Lieferverträge von Plus durchforstet und von den Zulieferern die jeweils günstigeren Konditionen auch für Edeka gefordert – teilweise ohne nachvollziehbare Gegenleistung, teilweise rückwirkend. Wir sind der Auffassung, dass viele dieser Forderungen auf keiner adäquaten Gegenleistung beruhten. Der Fall liegt jetzt beim Bundesgerichtshof. Ich hoffe, dass wir gewinnen. Das hat eine große Bedeutung für die Verhandlungen zwischen Händlern und Lieferanten. Der Markt ist ja nach dem Wegfall von Kaiser’s Tengelmann noch konzentrierter.
Für Sie ist der Fall Kaiser’s Tengelmann jetzt abgeschlossen?
Von wegen. Edeka und Tengelmann klagen ja nach wie vor gegen unsere Untersagungsentscheidung. Als Grund werden auch mögliche Amtshaftungsforderungen angeführt.
Weil Sie die ursprünglich geplante Übernahme durch Edeka untersagt haben?
Ja. Und das ist kein Einzelfall. Als wir die Fusion der Hörgerätehersteller Phonak – heute Sonova – und Resound verboten haben, sind wir anschließend auf Schadensersatz von einer Milliarde Euro verklagt worden. Die Klage wurde zwar als unbegründet abgewiesen, dennoch unterstreichen solche Forderungen, dass wir sehr strengen rechtsstaatlichen Anforderungen unterliegen. Daraus folgt ein gewisses Dilemma. Einerseits sollen unsere Verfahren nicht zu lange dauern, in der Fusionskontrolle haben wir sogar sehr enge Fristen für eine Entscheidung. Andererseits müssen wir sehr sorgfältig arbeiten und das braucht eben seine Zeit.
Amazon könnte Edeka, Rewe und Co. aufmischen
Es gibt Gerüchte, dass künftig neben Edeka, Rewe, Lidl und Aldi auch Amazon im Lebensmittelhandel mitmischen und einen bundesweiten Lieferdienst für Lebensmittel aufbauen will. Fänden Sie das gut?
Bei einem Markt, den vier große Anbieter unter sich aufteilen, ist jeder neue Wettbewerber willkommen. Ob und vor allem wie ein Bringdienst für frische Lebensmittel funktioniert, muss man abwarten. Das ist ja nicht so einfach. Auch die großen Lebensmitteleinzelhandelsketten arbeiten an Konzepten. Aber manchmal braucht man auch Unternehmen, die von außen in einen Markt einsteigen. Denken Sie an die Musikindustrie, die vor 20 Jahren darüber geklagt hatte, dass sie kein Geld verdient. Dann kam Apple und hatte mit seinem Musikstreaming ein überzeugendes Geschäftsmodell.
Was heißt das für Ihre Arbeit, wenn große Digitalkonzerne in immer mehr Branchen Fuß fassen?
Unsere Arbeit verändert sich sehr stark. Früher gab es in den meisten Märkten mehrere Wettbewerber, die sich gegenseitig in Schach gehalten haben. Fusionskontrolle und die Kartellverfolgung standen im Vordergrund. Heute rückt die Missbrauchsaufsicht immer stärker in den Fokus, also die Kontrolle von marktmächtigen Unternehmen. In der digitalen Welt gelten andere Mechanismen. Durch Netzwerkeffekte werden die Großen immer größer, und einzelne Branchen neigen zur Monopolisierung. Datenbesitz hat eine herausragende Bedeutung. Wir haben es in der Plattformwelt mit einigen wenigen dominierenden Unternehmen zu tun. Deren Hauptsorge ist, dass ein neuer Anbieter kommen könnte, der innovativer ist als sie.
Deshalb hat Facebook ja auch WhatsApp gekauft.
Wahrscheinlich. Dennoch gilt: Größe an sich ist nicht verboten. Wir haben auch kein Interesse daran, die Innovationskraft und die Dynamik abzuwürgen, die wir in der Internetwirtschaft erleben. Wir haben zwei Aufgaben im Fokus. Wir müssen aufpassen, dass die großen Unternehmen ihre Marktmacht nicht missbrauchen, und wir müssen die Märkte offenhalten, so dass Newcomer und kleinere Unternehmen eine Chance haben, den großen Playern entgegenzutreten. Das gilt für viele digitale Plattformen wie Buchungsportale, Amazon, Google oder Facebook. Aber wir meistern das schon. Wir haben Grundsatzpapiere erarbeitet und sehr viele Fälle angepackt.
Was bringt es denn, sich immer nur einzelne Fälle herauszupicken?
Wir können und wollen nur dann gegen große Unternehmen vorgehen, wenn sie ihre Marktmacht missbräuchlich ausnutzen. Größe allein ist nicht das Problem.
Warum die Verfahren oft so lange dauern
Zum Beispiel?
Wir haben kürzlich eine exklusive Kooperation von Apple und der Amazon-Tochter Audible bei Hörbüchern beanstandet. Apple sollte Hörbücher nur von Audible beziehen. Oder nehmen Sie den Amazon Marketplace, wo Amazon den Händlern, die dort Geschäfte gemacht haben, untersagt hat, Waren an anderer Stelle billiger anzubieten als auf dem Marketplace selbst. Das haben wir unterbunden. Dann gab es noch den Fall der App, mit der Verbraucher nach kurzfristig freien günstigen Hotelzimmern suchen konnten. Das Problem war aber, dass sich die Hotels gegenüber HRS und Booking verpflichtet hatten, ihre Zimmer nirgendwo billiger anzubieten als bei ihnen. Wenn wir in solchen Fällen eingreifen, schaffen wir Wettbewerb und die Verbraucher können Geld sparen. Diese Grundsatzverfahren zeigen Wirkung.
Ist es Google und Co. nicht egal, was das Bundeskartellamt so treibt?
Nein. Wir können nämlich jedes missbräuchliche Verhalten aufgreifen, das Unternehmen in Deutschland an den Tag legen – egal, wo die Firma ihren Sitz hat oder aus welchem Land sie kommt. Das unterscheidet uns von vielen anderen Rechtsgebieten. Und wir sind ja auch nicht allein. In Brüssel führt die EU-Kommission ein wichtiges Verfahren gegen Google. Wir haben aktuell einige große Verfahren, etwa gegen Facebook oder gegen CTS Eventim, und da kommt noch mehr. Je mehr Fälle wir haben, desto klarer wird, wie die Leitplanken aussehen. Der Gesetzgeber wird uns mit der kommenden Novelle noch einige wichtige Hilfsstellungen geben.
Warum dauern viele Kartellverfahren so lange?
Wir befassen uns in der Internetwirtschaft mit zahlreichen neuen Fragen. Es gibt gerade bei den Internet-Plattformen viele ungeklärte Rechtsfragen und wenig Rechtsprechung. Bei Unternehmen, die grenzüberschreitend arbeiten, müssen wir uns zudem mit den anderen Behörden abstimmen. Aber wir kommen voran. Viele grundsätzliche Fragen werden geklärt. Beispielsweise entscheidet der Europäische Gerichtshof demnächst, ob die Luxus-Parfümkette Coty kleine Händler vom Onlinehandel über Drittplattformen ausschließen darf. Eine ähnliche Frage behandelt der Bundesgerichtshof für den Rucksackhersteller Deuter.
Warum unternimmt das Kartellamt nichts gegen die Expansion der großen Immobilienkonzerne, wie die Deutsche Wohnen oder Vonovia, die zehntausende Wohnungen kaufen?
Die Marktanteile der großen Wohnungsunternehmen sind vor Ort selbst bei bestimmten Arten von Wohnungen nicht so groß, als dass wir eine Fusion untersagen könnten – auch in Berlin. Es gibt ja auch andere Vermieter, Mieter können ausweichen. Das heißt nicht, dass es keine Probleme gibt. Manche fragen sich, ob es wünschenswert ist, wenn kapitalmarktgetriebene Immobilienkonzerne immer größer werden. Bislang ist dies aber kein kartellrechtliches Problem. Auf dem Wohnungsmarkt haben wir strukturelle Probleme, keine wettbewerbsrechtlichen.