Ölzeitalter geht zu Ende: Entsteht am Energiemarkt eine Kohlenstoffblase?
Investoren steigen aus Kohle, Öl und Gas aus, da fossile Energieerzeugung angesichts der Klimaerwärmung in absehbarer Zeit politisch untersagt werden könnte. Experten warnen bereits vor einer neuen Finanzkrise.
Die Aktion dauert nur eine knappe Stunde. Doch die Bilder gehen um die Welt. An einem Abend Ende April kommt am Berliner Rathaus eine Gruppe junger Menschen zusammen. Sie werfen einen Projektor an. Auf der roten Fassade erscheinen in Leuchtschrift die Worte „Divest Berlin Today“. Mit ihrer Aktion rufen sie den Regierenden Bürgermeister auf, das städtische Vermögen aus Aktien von Kohle-, Öl- und Gaskonzernen abzuziehen. Zehn Millionen Euro soll die Stadt noch an solchen Finanzpapieren halten. „Dabei hat Berlin sich das Ziel gesetzt, klimaneutral zu werden“, sagt Molina Gosch von Fossil Free Berlin.
Eine weltweite Organisation: die Fossil-Free-Bewegung
Mit ihrem Appell stehen sie und ihre Mitstreiter nicht allein da. Weltweit fordern Umweltschützer derzeit Städte, Pensionskassen, Versicherungen und Universitäten dazu auf, den großen Kohle-, Öl- und Gasunternehmen das Kapital zu entziehen. Die „Fossil-Free-Bewegung“ hat Anhänger in den USA und Kanada, in Frankreich, Australien, selbst auf den Philippinen. Und das Erstaunliche ist: Immer mehr Institutionen und Investoren gehen auf ihre Forderung ein.
Gerade erst hat Norwegen entschieden, die Gelder seines Pensionsfonds – einem der weltweit größten Staatsfonds – nicht mehr in Aktien von Kohlefirmen zu investieren. Der internationale Versicherungskonzern Axa trennt sich von seinen Beteiligungen an Kohlekonzernen. Starinvestor Warren Buffet steigt beim Ölkonzern Exxon Mobil aus. Selbst die Rockefeller-Erben haben beschlossen, ihr Vermögen aus der Kohle- und Ölförderung abzuziehen – obwohl es einst das Öl war, das den Amerikaner John D. Rockefeller reich gemacht hat. Divestment nennen Experten das, wenn Investoren aus bestimmten Finanzpapieren gezielt aussteigen.
Eine Spekulationsblase bei fossiler Energie angesichts des Zwei-Grad-Ziels
Überzeugt hat sie in diesem Fall aber vermutlich nicht nur der Protest der Umweltaktivisten – sondern vor allem die Angst vor der nächsten Finanzkrise. Denn glaubt man Ökonomen, könnte die gerade im Energiesektor entstehen. Sie sprechen von der Carbon Bubble, der Kohlenstoffblase. Die großen Energiekonzerne sitzen auf riesigen Reserven an Kohle, Öl und Gas – können sie aber nicht mehr vollständig abschöpfen, wenn sie das Zwei-Grad-Ziel der Erderwärmung nicht gefährden wollen. Gerade zu diesem Ziel haben sich erst diese Woche die G-7-Staaten bekannt.
Dass sich die Erde gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter höchstens um zwei Grad erwärmen darf, hat der US-Ökonom William D. Nordhaus bereits in den 1970er Jahren herausgearbeitet. Wird es auf der Welt deutlich wärmer, so seine These, hätte das unkontrollierbare Folgen fürs Klima. Die Gletscher würden schmelzen, der Meeresspiegel rasant steigen. Zwar gibt es auch Forscher, die das anders sehen – doch in der Politik hat sich das Zwei-Grad-Ziel durchgesetzt.
Nimmt man das als Basis, dürften nach Berechnungen der britischen Organisation Carbon Tracker weltweit nur noch 565 Milliarden Tonnen Kohlendioxid (CO2) ausgestoßen werden. Das hieße jedoch, dass 80 Prozent der weltweiten Vorkommen fossiler Energieträger in der Erde bleiben müssten, nicht mehr gefördert werden dürften. Die großen Energiekonzerne dürften nicht einmal mehr alle Vorkommen ausbeuten, die sie bereits in ihren Bilanzen verbucht haben.
Das Ölzeitalter neigt sich dem Ende
Investor Wermuth: "Schlimmere Folgen als die Finanzkrise 2008"
Manch ein Unternehmen könnte das in die Pleite treiben. Aktionäre und Banken, die ihnen Geld geliehen haben, könnten ebenfalls ins Straucheln geraten. „Die Warnzeichen sind eindeutig“, schrieb der frühere US-Finanzminister Henry Paulson bereits vor einem Jahr. „Wir können es uns nicht erlauben, diese Krise zu ignorieren.“ Nach Schätzungen stehen Finanzanlagen in Höhe von 21 Billionen Dollar auf dem Spiel. „Wenn die Carbon Bubble platzt, kann das schlimmere Folgen haben als die Finanzkrise 2008“, glaubt Investor Jochen Wermuth.
Ökonomen haben eine Liste mit 200 Energiekonzernen veröffentlicht, deren Aktien Anleger besser meiden sollten. Gazprom, Exxon Mobil, BP, Shell oder Coal India stehen darauf – ebenso wie RWE und Eon. Noch versuchen die Konzerne zu beschwichtigen. „Das CO2-Risiko ist bei der Bewertung der RWE-Aktien bereits eingepreist“, sagt eine Konzernsprecherin. Doch schon jetzt beschäftigen sich Bankanalysten seitenlang mit der Frage, wie Anleger sich vor dem Platzen der Carbon Bubble schützen können. Der Internationale Finanzstabilitätsrat hat sich des Themas angenommen ebenso wie die Europäische Zentralbank (EZB). Die Bundesregierung prüft „die Möglichkeit, ein Forschungsgutachten hierzu in Auftrag zu geben“.
Die Bundesbank sieht keine Blasen-Gefahr
Bärbel Höhn, Vorsitzende des Umweltausschusses im Bundestag, fordert, „die Risiken auf die hiesige Kreditwirtschaft“ zu untersuchen. „Gerade die öffentlichrechtlichen Banken wie zum Beispiel Sparkassen sind dem Gemeinwohl verpflichtet und dürften daher konsequenterweise keine fossilen Investments mehr eingehen“, sagt Höhn. Derweil sieht die Bundesbank noch keine Gefahr einer Blase.
Anders als die Großbanken, die am Kohle-, Öl- und Gasgeschäft festhalten, steigen immer mehr Familienverbünde, Universitäten und Städte aus dem Geschäft mit fossilen Energieträgern aus. Neben den Städten wie San Francisco, Seattle, Brisbane oder Oxford hat sich auch die nordrhein-westfälische Kleinstadt Münster zum Divestment bekannt und schichtet ihre Finanzanlagen um.
Einer der Investoren, die diesen Schritt bereits gegangen sind, ist Jochen Wermuth. Zwar gehörte er schon früh zu den Unterstützern von Greenpeace – gleichzeitig hat er sein Geld früher aber unter anderem durch Investitionen am russischen Aktienmarkt und so auch mit Ölfirmen verdient. Heute sagt er: „Geld verdienen und etwas Gutes fürs Klima zu tun, muss kein Widerspruch sein.“ Mittlerweile investiert Wermuth nicht mehr in fossile Energieträger, sondern in junge Firmen, die ressourceneffizient arbeiten – und hohe Gewinne abwerfen.
Das Ölzeitalter geht zu Ende
Aus seinem Büro in Berlin-Mitte blickt Wermuth auf eine Baulücke neben dem Tacheles, die als Parkplatz genutzt wird. „Die meiste Zeit stehen die Autos nutzlos herum“, sagt Wermuth. „Aber das muss nicht sein.“ Er hat unter anderem in die Münchner Firma „The Mobility House“ investiert, die aus Elektroautos Stromspeicher macht: Während sie parken, ziehen sie über Ladeseäulen nicht nur Strom aus dem Netz – sondern geben ihn auch wieder ab, wenn gerade ein Stromengpass in der Stadt herrscht. Auf diese Weise, sagt Wermuth, könnte mit der Batterie so viel Geld verdient werden, dass Elektroautos deutlich günstiger würden. Er glaubt, Deutschland könnte so langfristig Benzin- und Dieseleinfuhren von 70 Milliarden Euro einsparen.
Kommt es tatsächlich so, würde das den Ölpreis weiter unter Druck setzen, die Carbon Bubble erst recht platzen. Wermuth ist deshalb überzeugt: „Das Ölzeitalter geht zu Ende.“
Carla Neuhaus