Die Kehrseite des billigen Öls: Investitionen für die Tonne
Der eingebrochene Ölpreis ist gut für die Konjunktur. Aber nicht für alle ist der Preissturz ein Segen: Etliche Unternehmen und Branchen geraten in wirtschaftliche Schwierigkeiten.
Es geht bergab – und die Freude ist groß: Die Benzinpreise sinken, die Heizkosten sinken, die Verbraucherpreise sinken. Auch die Risiken für die Konjunktur sind kleiner geworden, weil die Halbierung des Ölpreises seit dem vergangenen Sommer Verbraucher und Unternehmen entlastet. Statt für Sprit, Gas oder Heizöl können sie nun mehr Geld für Konsum und Investitionen ausgeben. Doch nicht überall ist die Freude groß. Je länger der Ölpreis sinkt, desto deutlicher treten die Risiken zutage. Der Preisverfall hat für etliche Unternehmen und Branchen eine Kehrseite.
Am härtesten trifft es jene, die dem Rohstoff am nächsten kommen: Ölfördergesellschaften und ihre Zulieferer, Pipeline-, Transport- oder Lagerfirmen. Der europäische Marktführer Royal Dutch Shell, sein Wettbewerber BP und die österreichische OMV haben in den vergangenen Tagen milliardenschwere Kürzungen angekündigt. Shell will in den kommenden drei Jahren 15 Milliarden Dollar weniger investieren. Die OMV stutzte ihren Ausgabenplan für diesen Zeitraum um bis zu 35 Prozent auf durchschnittlich 2,5 bis drei Milliarden Euro pro Jahr. BP will nach einem Stellenabbau die Gehälter für 2015 einfrieren. Auch der US-Ölkonzern Chevron setzt den Rotstift an. Und der weltgrößte Anbieter von Dienstleistungen zur Ölförderung, der US-Konzern Schlumberger, streicht 9000 Arbeitsplätze – rund sieben Prozent der Belegschaft.
Wo sind die Märkte?
Wenn die Großen der Öl- und Gas- Branche sparen, haben auch die Kleinen weniger zu tun. „Die Nachfrage ist gering im Moment“, sagt die Sprecherin der Schuck Group, ein Familienunternehmen aus dem baden-württembergischen Steinheim, das unter anderem Zubehör für Pipelines produziert. Sitz der Service-Sparte ist Berlin. „Die Energieversorger investieren weniger, das macht uns zu schaffen.“ Der Mittelständler mit rund 400 Beschäftigten ist seit 40 Jahren Zulieferer der Öl- und Gasindustrie, mit fünf internationalen Niederlassungen. Einen solchen Preissturz auf dem Ölmarkt hat man noch nicht erlebt. „Es ist aktuell überall schwierig“, sagt die Sprecherin.
Das bestätigt auch der Verband der Maschinen- und Anlagenbauer. Die Lage der direkten Zulieferer von Rohstoff-Förderunternehmen wie Armaturen- und Pumpenbauer habe sich spürbar eingetrübt. Wie viele lebt auch die Schuck Group aus Steinheim vom Projektgeschäft. Zwar sind die Investitionszyklen der Branche traditionell lang. Aber es kommen immer weniger neue Aufträge herein, wenn Projekte ausgelaufen sind. Eine zentrale Frage, die sich das Schuck-Management jetzt stellt: „Wo sind die Märkte, auf denen noch etwas geht?“
Immer weniger geht zum Beispiel im nordamerikanischen Fracking-Geschäft, das die globale Ölschwemme mit auslöste und die USA quasi unabhängig vom teuren Opec-Öl gemacht hat. So schien es bislang. Doch bei einem Rohölpreis um die 50 Dollar für ein Barrel (159 Liter) US-Öl WTI rentieren sich viele Investitionen in die Förderung von Schiefergas oder -öl nicht mehr. Bei einem Preis von 70 Dollar und tiefer, so schätzen Experten, machen die meisten US-Schieferölproduzenten Verluste. Schon Ende des vergangenen Jahres ging die Zahl der Genehmigungen für neue Bohrlöcher in den USA spürbar zurück. Selbst wenn der Ölpreis 2015 im Schnitt wieder 75 Dollar erreichen sollte, dürften nordamerikanische Förderer ihre Kapitalausgaben um 20 Prozent im Vergleich zu 2014 verringern, schätzt die Ratingagentur Moody’s.
Investitionen von einer Billion Dollar in Gefahr
„Die Schockwellen sind unmittelbar spürbar“, sagt Rainer Wiek vom Hamburger Energie Informationsdienst (EID). Er warnt allerdings davor, die Klagen der Branche zu dramatisieren. Über Jahrzehnte hätten die Konzerne üppige Gewinne eingefahren, der scheinbar unaufhaltsam steigende Ölpreis habe dabei immer mehr Unternehmen in das Geschäft mit der Exploration und Produktion von Erdöl und Erdgas (Upstreamgeschäft) gelockt, weil dort noch mehr Geld als mit Raffinerien und Tankstellen zu verdienen war. Allein zwischen 2000 und 2013 hat die weltweite Ölindustrie ihre jährlichen Ausgaben in das Upstreamgeschäft von 250 auf 700 Milliarden Dollar erhöht. Nun sprudeln die Quellen nicht mehr so reichhaltig. „Das fällt den Konzernen auf die Füße“, sagt Wiek. Langfristig sehen Analysten der Investmentbank Goldman Sachs Investitionen im Wert von bis zu einer Billion Dollar in Gefahr.
Hinzu kommt ein möglicher Dominoeffekt auf den Kapitalmärkten: In der Hoffnung, im Fracking-Boom schnelles Geld zu verdienen, haben sich zahlreiche Förderfirmen verschuldet – mit der Ausgabe von Hochzinsanleihen. In den USA wurden 15 Prozent aller auf dem Anleihemarkt gehandelten Junk-Bonds von Energiefirmen ausgegeben. Eine Zeitbombe für Anleihekäufer, denn etliche Emittenten haben Probleme, sich zu refinanzieren oder ihre Schulden zurückzuzahlen.
Auch Siemens ist betroffen
In solchen Nöten stecken deutsche Großunternehmen, die auf dem Energiemarkt engagiert sind, nicht. Gleichwohl spüren einige die Folgen des Ölpreisverfalls. Beispiel RWE: Der verschuldete Konzern hatte den Verkauf seines Öl- und Gasfördergeschäfts an den russischen Oligarchen Michail Fridman für gut fünf Milliarden Euro schon vereinbart. Doch aus politischen Gründen versucht die britische Regierung, den Deal zu blockieren. RWE will trotzdem verkaufen – musste aber bis zuletzt fürchten, einen niedrigeren Verkaufspreis zu erzielen. Oder Siemens: Im September kaufte der Konzern für fast sieben Milliarden Euro den US-Kompressorenhersteller Dresser-Rand, um vom Öl- und Gasboom durch das Fracking-Geschäft zu profitieren. Inzwischen wird Siemens- Chef Joe Kaeser von seinen Aktionären bedrängt, die ihn – wie kürzlich auf der Hauptversammlung – fragen, ob er nicht viel zu viel für Dresser-Rand bezahlt hat.
Rainer Wiek vom EID weist noch auf eine andere Schockwirkung des billigen Öls hin: Investitionen in mehr Energieeffizienz oder alternative Antriebstechniken werden auf die lange Bank geschoben. Protagonisten der Elektromobilität wie der Tesla-Gründer Elon Musk wehren zwar ab: „Die Notwendigkeit für Elektroautos ist dringend“, sagte er Anfang Januar auf der Automesse in Detroit. Doch Autofahrer sehen das anders – auch Tesla musste Ende 2014 seine Verkaufsprognose reduzieren. Auch die US-Regierung rückte vergangene Woche von ihrem Ziel ab, Ende des Jahres eine Million Elektroautos auf den Straßen zu haben. Eine Marke, die die deutsche Regierung im Jahr 2020 erreichen will. Es werde wohl noch ein paar Jahre länger dauern, musste Energieminister Ernest Moniz einräumen.