150.000 bei TTIP-Demo in Berlin: Ein Massenprotest für fairen Welthandel
Das transatlantische Freihandelsabkommen weckt Ängste vor dem Verlust deutscher Standards und demokratischer Mitbestimmung. Zehntausende gingen deshalb am Samstag in der Hauptstadt gegen TTIP auf die Straße.
„Ich habe in Berlin schon 1982 gegen Reagan demonstriert – und jetzt eben gegen TTIP“, sagt Roman Denis. Der Biolandwirt, der für die Proteste extra aus Saarlouis im Saarland angereist ist, fürchtet vor allem die „Agrarmultis“.
„Die Situation der Bauern ist so schon schlimm genug. Aber mit TTIP machen die uns platt, wenn die großen Konzerne sich die Patente auf Saatgut sichern“, sagt der 60-Jährige. Am Samstagmorgen steht er in der Menge auf dem Washingtonplatz vor dem Berliner Hauptbahnhof. In der Hand hält Denis eine knallgrüne Fahne: „Schluss mit Gift und Gentechnik“ steht darauf.
Der Landwirt aus dem Saarland ist einer von Zehntausenden, die an diesem Morgen gegen die Handelsabkommen TTIP und Ceta demonstrieren. Die Berliner Polizei spricht am Nachmittag von gut 150.000 Teilnehmern, die Organisatoren sogar von 250.000. „Dies ist die größte Demonstration, die dieses Land seit vielen, vielen Jahren gesehen hat“, sagt Christoph Bautz von der Bürgerbewegung Campact.
Nichts als Menschen sind zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule zu sehen, wo die Abschlusskundgebung stattfindet. Ein zentraler Kritikpunkt: die geplanten Schiedsgerichte. „Investoren müssen das Recht beachten und dürfen nicht Sonderrechte beanspruchen“, sagt der Vorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Hubert Weiger.
Auch in den USA gebe es Schutznormen, die durch TTIP gefährdet würden. „Wir müssen beiderseits des Atlantik die höheren Standards verteidigen und dürfen sie nicht dem Wettbewerb opfern.“ Das Handelsrecht müsse den Menschen dienen und nicht „kurzfristigen Kapitalinteressen“, fordert der BUND-Chef. Eine „Blaupause“ für fairen Handel hätten hingegen die Vereinten Nationen kürzlich beschlossen: die 17 Nachhaltigkeitsziele.
Zu den Rednern an der Siegessäule gehört auch der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Reiner Hoffmann. Die Gewerkschaften seien weder gegen den internationalen Handel, noch lehnten sie die Globalisierung ab. „Nur sind die Früchte der Globalisierung immer ungleicher verteilt.“ Fairer Welthandel funktioniere nicht ohne starke Rechte für Arbeiter. „Mit vereinten Kräften müssen wir verhindern, dass Arbeitnehmerrechte zum Spielball einer ungezügelten Globalisierung werden.“
Zu TTIP und CETA habe ich noch keine abschließende Meinung. Ich habe über Art und Umfang der Verträge und deren direkte Auswirkungen einfach zu wenig Informationen.Und genau deshalb war diese Demo gut: Es MUSS Transparenz eingefordert werden, undemokratische Entscheidungswege ohne Information der Bürger darf es nicht geben.
schreibt NutzerIn A.v.Lepsius
Demonstranten reisten aus ganz Deutschland an
Bereits am Vorabend haben sechs Sonderzüge und mehr als 600 Busse Demonstranten aus ganz Deutschland nach Berlin gebracht. Organisiert hat die Veranstaltung ein breites Bündnis aus Gewerkschaften, Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen sowie Globalisierungskritikern.
Auch Grüne und Linke unterstützen den Protest gegen das TTIP-Abkommen zwischen der EU und den USA sowie den Ceta-Vertrag zwischen der EU und Kanada. Die Teilnehmer befürchten, dass durch die Abkommen bisher gültige soziale und ökologische Standards unterlaufen und Verbraucherrechte abgebaut werden – zugunsten weniger Großkonzerne. Ihre Sorgen bringen die Demonstranten auf Transparenten wie „TTIP & Ceta stoppen! Für einen gerechten Welthandel“ zum Ausdruck.
Der Washingtonplatz ist am Morgen voll mit bunten Flaggen, Luftballons und selbstgemalten Plakaten. Die Bühne am hinteren Ende ist vor lauter Menschen kaum zu sehen. Aufgrund der großen Zahl der Teilnehmer hält die S-Bahn zeitweise gar nicht mehr am Hauptbahnhof. Weil es auf dem Vorplatz eng wird, beginnt die Polizei gegen Mittag die Menschenmenge geregelt und durch Absperrungen kontrolliert weiter Richtung Friedrichsstraße zu leiten.
Sigmar Gabriel stellt sich hinter TTIP
Von der Politik sind viele Demonstranten enttäuscht. So sagt Landwirt Denis, er hätte vor allem von der SPD mehr Widerstand erwartet. Doch Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) verteidigt TTIP. „Bangemachen gilt nicht“, erklärt er in einer ganzseitigen Anzeige, die am Sonnabend in mehreren überregionalen Zeitungen erscheint. Man habe durch das Abkommen die Chance, für den Welthandel Standards zu setzen, meint der Wirtschaftsminister. Die Demonstranten sehen das anders.
„TTIP untergräbt die Demokratie“, sagt zum Beispiel die 20-jährige Studentin Natalie. Zusammen mit acht Freunden ist sie zur Protestaktion nach Berlin angereist. Sie wünscht sich eine stärkere Einbindung der Parlamente bei der Entscheidung über TTIP. So würde Demokratie bei uns in Deutschland und Europa nicht funktionieren.
Bedenken hat sie wie viele andere Demonstranten vor allem wegen der vorgesehenen „Regulationsräte“, die zukünftig über gemeinsame Standards in den USA und Europa abstimmen sollen. Die Sorge: Damit entstehe ein undemokratisches Gremium, das ohne parlamentarische Kontrolle Entscheidungen trifft. Wie genau diese Räte gestaltet werden, ist aber noch unklar.
Überhaupt sind den Protestierenden die TTIP-Verhandlungen viel zu intransparent. Die von EU-Kommissarin Cecilia Malmström eingerichtete Internetseite zur Veröffentlichung von Dokumenten und Informationen kennt von ihnen kaum jemand.
Auch die Gewerkschaften laufen mit
„Ich habe Angst um die Zukunft meiner Kinder“, sagt Waldemar Grunwald, der zusammen mit zweien seiner drei Kinder aus Braunschweig angereist ist. „Wir haben uns die Arbeitnehmerrechte hart erkämpft – TTIP beschneidet diese Rechte.“ Grunwald schwenkt dabei eine große IG-Metall-Flagge.
Die Gewerkschaften unterstützen den Protest gegen das Freihandelsabkommen – ganz anders als die Industrie. „Wir Europäer müssen die Globalisierung gestalten wollen. Wer nur blockiert, verliert“, sagt Ulrich Grillo, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). Ein faires und umfassendes Freihandelsabkommen fördere Wachstum und Beschäftigung in Europa. Demonstrant Grunwald ist empört: „Erpressung ist das“, sagt er.
Polizei muss kaum eingreifen
Obwohl die Kundgebung eine der größten seit Jahren ist, verläuft sie friedlich. Es gibt Luftballons, Musik und Tanz – aber zunächst keine Ausschreitungen. Rund 1000 Polizisten begleiten den Demonstrationszug – müssen aber nur selten eingreifen. „13 Leute haben versucht auf die Siegessäule zu klettern, aber das haben wir dann unterbunden“, sagt ein Sprecher der Polizei.
Für die Organisatoren ist die Veranstaltung ein Erfolg. „Heute ist ein großer Tag für die Demokratie“, erklären sie. (mit dpa)
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