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Aktivisten der Organisation «Foodwatch» bereiten einen Mottowagen für die Stop-TTIP Demonstration vor.
© dpa

Umstrittene Freihandelsabkommen TTIP und CETA: Zehntausende zu Protest gegen TTIP in Berlin erwartet

Vielen wird's zu bunt: Heute werden in Berlin bis zu 100.000 Menschen gegen die Handelsabkommen TTIP und CETA demonstrieren. Worum geht es? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

An diesem Sonnabend wird die Berliner Innenstadt von einer Demonstration lahmgelegt werden. Der Protest dürfte zu einem der größten in der Hauptstadt in diesem Jahr werden, bis zu 100.000 Teilnehmer werden erwartet. Fünf Sonderzüge aus Deutschland schaffen zusätzliche Demonstranten heran, die gegen die geplanten Freihandelsabkommen der EU mit den USA und Kanada demonstrieren wollen. Das Motto der Veranstaltung lautet: „TTIP & CETA stoppen“.

Wer demonstriert am Samstag in Berlin? 

Hinter der Demonstration steht ein breites Bündnis aus mehr als 30 Trägern, darunter unter anderem der Deutsche Gewerkschaftsbund, Verdi und Brot für die Welt. Zusätzlich unterstützen mehr als 170 Organisationen die Veranstaltung. Offiziell haben die Naturfreunde Deutschland die Anti-TTIP-Demo bei den Behörden angemeldet. Die Kundgebungen am Washingtonplatz beginnen gegen 11 Uhr, der Demonstrationszug startet gegen 12 Uhr, die Abschlusskundgebung ist gegen 14.30 Uhr am Großen Stern geplant. Es ist mit zahlreichen Verkehrsbehinderungen zu rechnen, vor allem beim Busverkehr. Gleichzeitig wird sich mit der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft einer der Befürworter des Abkommens zu Wort melden. Die Initiative plant, ein Boot auf der Spree fahren zu lassen mit einer eigenen Botschaft. „Wir wollen mit dieser Aktion die TTIP- Gegner darauf aufmerksam machen, dass wir dieses Freihandelsabkommen brauchen, wenn Europa die Standards im Welthandel mitbestimmen möchte“, sagte ein Sprecher der Initiative.

Was ist ein Freihandelsabkommen?

Freihandel bedeutet grob erklärt, Handelshemmnisse zwischen Staaten abzuschaffen. Ursprünglich ging es dabei vor allem um Zölle. Seit den 50er Jahren wurden weltweit rund tausend Freihandelsabkommen geschlossen. In modernen Verträgen, wie zum Beispiel der transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) der Europäischen Union mit den USA, dem umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommen (CETA) mit Kanada oder aber dem EU-Singapur-Abkommen, geht es längst nicht mehr nur um Zölle. Es geht um das Angleichen von Standards für Produkte und um die Möglichkeit, auf fremden Märkten Dienstleistungen und Produkte zu denselben Bedingungen anbieten zu können wie heimische Unternehmen. Die bisher größte Freihandelszone der Welt ist die Europäische Union mit ihrem freien Waren-, Personen- und Dienstleistungsverkehr. Die wirtschaftsliberale Idee, weltweit möglichst alle Marktbarrieren abzubauen, hat viele Anhänger – und viele Gegner.

Wer verhandelt das TTIP-Abkommen?

Das TTIP-Abkommen wird zwischen der Europäischen Union und den USA verhandelt. Innerhalb der EU gibt es bereits einen gemeinsamen Binnenmarkt, deshalb hat die EU-Kommission das Mandat erhalten, stellvertretend für alle Mitgliedstaaten zu verhandeln. Auf EU-Seite ist Cecilia Malmström verantwortlich, ihr Chefverhandler ist Ignacio Garcia Bercero. Die US-Seite wird von Michal Froman, Chef der Handelsbehörde, vertreten. Verhandelt wird seit Juli 2013. Bisher gab es zehn Verhandlungsrunden, die nächste findet ab dem 19. Oktober in Washington statt. Noch gibt es kaum konkrete Ergebnisse. Es wird derzeit rechtlich geprüft, ob zum Schluss nur das Europaparlament oder auch die nationalen Parlamente wie der Bundestag über den ausverhandelten Vertrag abstimmen dürfen.

Was soll in TTIP geregelt werden?

Der TTIP-Vertrag soll zum Schluss aus drei Teilen und 24 Kapiteln bestehen. Die drei übergeordneten Begriffe sind Marktzugang, Regulatorische Kooperation und Regeln. In den Bereich Marktzugang fallen Zölle, aber auch die öffentliche Beschaffung. Die Europäer hoffen darauf, künftig an öffentlichen Ausschreibungen in den USA teilnehmen zu können, die immerhin 17 Prozent des US-Bruttoinlandprodukts ausmachen. Bisher blocken die Amerikaner in diesem Punkt allerdings. Im zweiten Teil der „Regulatorischen Kooperation“ sollen Produktstandards angeglichen und zudem bestimmt werden, wie EU und USA sich über Standards künftig bereits vor der Festlegung verständigen können. Unter den letzten Hauptaspekt, der recht allgemein mit „Regeln“ überschrieben ist, fallen zum Beispiel Bestimmungen zum Schutz des geistigen Eigentums oder auch die umstrittenen Schiedsgerichte zur Beilegung von Konflikten zwischen Staaten und ausländischen Investoren.

Was spricht für TTIP?

Befürworter versprechen sich weniger Bürokratie, wirtschaftliche Gewinne und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Die Schätzungen zu des Auswirkungen des Abkommens schwanken stark. Eine Studie der Bertelsmannstiftung geht im günstigsten Fall von bis zu 1,3 Millionen neuer Arbeitsplätze durch TTIP aus. Diese Zahl wird vor allem von CDU-Politikern häufig zitiert, das Bundeswirtschaftsministerium geht von bis zu 110 000 neuen Arbeitsplätzen in Deutschland aus. Es gibt aber Zweifel an diesen optimistischen Schätzungen. Solange die TTIP-Details nicht klar sind, bleiben Prognosen unsicher. Aber die Befürworter besitzen noch ein weiteres Argument und das ist der globale Wettbewerb. Es sei gerade im Bezug auf neue Wirtschaftsmächte wie Indien oder China notwendig, argumentiert beispielsweise Wirtschaftsminister Gabriel, jetzt globale Standards mit den USA zu setzen – bevor es andere täten. Der Europäische Markt alleine sei zu klein, um sich weltweit zu behaupten.

Was spricht gegen das Abkommen?

Auch die Gegner führen Studien ins Feld. Bis zu 600.000 Arbeitsplätze würden durch TTIP in der EU vernichtet, ergab eine Studie der Tufts-Universität in den USA, allein 130.000 davon in Deutschland. Es gibt zudem eine generelle Furcht, dass bei Kompromissen über Standards nur nach unten und nicht nach oben angeglichen werden könnte. Gerade Regeln im Bereich Umwelt-, Daten- oder Verbraucherschutz oder bei der Lebensmittelsicherheit könnten als Handelshemmnisse interpretiert und abgeräumt werden, fürchten viele Kritiker. Die Gewerkschaften sorgen sich um den Arbeitsschutz und die kommunale Daseinsvorsorge. Es gibt Befürchtungen, dass mit den neuen „Regulationsräten“, die zukünftig gemeinsam Standards abstimmen sollen, ein undemokratisches Gremium existieren wird, das ohne parlamentarische Kontrolle Einfluss auf entscheidende Schutzvorschriften nehmen könnte. Noch ist allerdings unklar, wie diese Räte arbeiten und wie sie besetzt werden sollen. Den Verhandlern wird Intransparenz vorgeworfen. EU-Kommissarin Cecilia Malmström versucht diesem Vorwurf mit der Veröffentlichung von Dokumenten und Informationen im Internet entgegenzuwirken – bisher mit mäßigem Erfolg. Der wohl strittigste Punkt ist und bleibt der Investorenschutz und die damit verbundenen Schiedsgerichte.

Warum sind Schiedsgerichte umstritten?

Europäische TTIP-Kritiker argumentieren, die EU-Staaten seien Rechtsstaaten mit unabhängiger Justiz. Schiedsgerichte – die Deutschland im Wirtschaftsverkehr mit vielen Staaten der Zweiten und Dritten Welt durchaus befürwortet – seien hier deshalb überflüssig. Außerdem bestünde die Gefahr, dass solche Schiedsgerichte durch Anwälte aus US-amerikanischen Großkanzleien dominiert würden. Die aber gewönnen ihre Klientel aus jenen Unternehmen, die an Klagen gegen staatliches Handeln in Europa besonderes Interesse hätten. Das Bundeswirtschaftsministerium hingegen sieht keine Gefahr, dass durch Schiedsgerichte eine parallele Gerichtsbarkeit installiert werden könne. Aus der Wirtschaft selbst gibt es warnende Hinweise, dass zum Beispiel in den EU-Staaten Rumänien und Bulgarien eine unabhängige Rechtsprechung nicht garantiert sei. Selbst die EU-Kommission prangert hier Mängel an und sieht Defizite. Aufgrund des großen öffentlichen Drucks hat die EU-Kommission nun vorgeschlagen, das bisherige Schiedsgerichtsystem zu überarbeiten. Richter sollen künftig unabhängiger bestimmt und mögliche Interessenskonflikte stärker geprüft werden. Es soll die Möglichkeit geben, gegen die Entscheidung der Gerichte in Berufung zu gehen. Letztendliches Ziel sei, so wünscht es sich auch Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), einen ständigen internationalen Handelsgerichtshof einzurichten. Mit den USA wurde das Investitionsschutzkapitel bisher offiziell noch nicht verhandelt.

Könnte das Abkommen auch scheitern?

Die Zeit ist momentan wohl tatsächlich der beste Freund der Abkommensgegner. Da die Verhandlungen in vielen Bereichen stocken oder nur schleppend vorangehen, glaubt eigentlich kaum noch jemand an einen Abschluss innerhalb dieses Jahres. Dazu kommt, dass die USA das sogenannte TPP, ein transpazifisches Abkommen, noch vor TTIP abschließen wollen – welches sich aber ebenfalls verzögert. Im kommenden Jahr aber stehen in den USA Präsidentschaftswahlen an, Experten gehen davon aus, dass die Verhandlungen dann frühestens 2017, wenn nicht gar erst 2018 mit neuem Personal auf US-Seite wieder aufgenommen werden.

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