Nach dem Fahrverbots-Urteil: Diesel als Ladenhüter
Die Angst vor Fahrverboten für Dieselwagen drückt die Restwerte älterer Modelle – Händler klagen, der ADAC warnt Verbraucher vor Panikverkäufen.
Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu Diesel-Fahrverboten hat auf Millionen Autobesitzer wie ein Schock gewirkt. Fahrzeuge, die nicht der modernsten Abgasnorm Euro 6 genügen – das sind bundesweit mehr als zehn Millionen –, könnten künftig aus den Innenbezirken großer Städte ausgesperrt werden. In Berlin haben rund 80 Prozent der Dieselfahrzeuge Motoren mit den Abgasnormen Euro 1 bis 5. Selbst der Wert der bundesweit rund sechs Millionen Euro 5- Diesel, die in vielen Fällen kaum älter als zwei oder drei Jahre sind, dürfte seit dem Richterspruch weiter gesunken sein. Von „Enteignung“ der Besitzer ist gar die Rede. Aktuelle Daten gibt es nach dem Urteil zwar nicht, aber der Trend ist bekannt: Gebrauchte Dieselwagen stehen seit Bekanntwerden des VW-Dieselskandals vor zweieinhalb Jahren immer länger bei den Händlern – und die Verkaufspreise sinken rapide. Die Prüforganisation Dekra wird an diesem Donnerstag ihren Report zu Gebrauchtwagen vorlegen.
„Die entsprechenden finanziellen Verluste für die Betroffenen werden in die Milliarden gehen“, glauben die Experten der Beratungsfirma EY. Nach den jüngsten Daten des Marktbeobachters DAT, die vor dem Leipziger Urteil erhoben wurden, sind die Restwerte drei Jahre alter Diesel-Pkw zum jeweiligen Listenpreis im vergangenen Jahr um gut sechs Prozent gesunken.
Ein Rechenbeispiel: Ein vor drei Jahren für 50 000 Euro gekaufter neuer Euro-5- Diesel war laut DAT Ende 2017 nur noch 26 300 Euro wert – noch einmal 1700 Euro weniger als Anfang des vergangenen Jahres. Zwar haben sich die Restwerte im Januar 2018 etwas erholt. Das Fahrverbots-Urteil wird den Gebrauchtwagenmarkt aber wahrscheinlich deutlich negativ beeinflussen. Das werden auch die Händler spüren, bei denen Diesel zuletzt schon im Schnitt 102 Tage auf dem Hof standen, bevor sie verkauft wurden – bei Benzinern waren es 89 Tage.
Eine vor zwei Wochen veröffentlichte Umfrage des Kfz-Verbandes ZDK, der die Werkstätten und Händler vertritt, bei rund 1600 Autohändlern ergab, dass die Bestände an Euro 5-Diesel-Pkw bei 55 Prozent der Befragten im Vergleich zu Mitte 2017 weiter gestiegen ist. Im vergangenen August war ein Bestand an 300 000 Euro-5-Gebrauchten ermittelt worden, die einen Gesamtwert von rund 4,5 Milliarden Euro hatten. Fahrverbote, so fürchtet der ZDK, machen „in den Ballungsgebieten gebrauchte Diesel fast unverkäuflich“. Die modernste Euro-5- Norm gilt für Neuwagen erst seit Januar 2013, seit September 2015 Euro 6.
ADAC empfiehlt Abgasstandard Euro 6d TEMP und Euro 6d
Dennoch warnte der ADAC Dieselbesitzer am Mittwoch vor Panikverkäufen. Bei gewerblichen Dieselnutzern ist dies häufig auch gar nicht möglich, wenn die Fahrzeuge geleast wurden und die Verträge für drei bis fünf Jahre laufen. „Autofahrer sollten nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig Ruhe bewahren und ihr Fahrzeug nicht kurzfristig – möglicherweise unter Wert – verkaufen“, sagte Johannes Boos vom ADAC. Denn noch sei die Lage zu unklar. Kommen Fahrverbote, seien diese auf lokale Strecken beschränkt. Dann sollten Autofahrer, für die keine Ausnahmeregelungen gelten, Alternativen prüfen, etwa den Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel. Neuwagenkäufern empfiehlt der Autofahrerclub Alternativen zum Diesel. „Oder mit dem Kauf eines Diesels noch warten, bis Fahrzeuge mit dem Abgasstandard Euro 6d TEMP beziehungsweise Euro 6d in ausreichender Modellvielfalt verfügbar sind“, rät Boos. Wer im ländlichen Raum unterwegs sei, müsse überhaupt keine Einschränkungen fürchten.
Marktanteil nur noch bei 33 Prozent
Mit einem Anteil von nur noch 33 Prozent an den Neuzulassungen sind Dieselmodelle bei den Verbrauchern immer weniger gefragt. 2011 hatte der Anteil noch bei 51 Prozent gelegen. 2017 sackte der Anteil um mehr als 13 Prozent ab – trotz der Abwrackprämien, die die meisten Hersteller beim Neuwagenkauf zahlen. Statt die Prämien zu erhöhen, wie dies am Mittwoch Politiker forderten, haben sich einige Hersteller zurückgezogen. Anfang des Jahres stiegen sieben Importmarken – Alfa-Romeo, Fiat, Honda, Hyundai, Jeep, Kia und Peugeot – aus den Diesel-Eintausch- und Verschrottungsprämien aus.
Bei vielen Autohändlern dürften die Folgen des Diesel-Preisverfalls erst in ein, zwei Jahren wirken, wenn Leasing- Kunden ihre Fahrzeuge zurückgeben, die dann zu deutlich niedriger als kalkulierten Preisen weiterverkauft werden müssen. Die Kostenbelastung werde dann für viele Unternehmen „zum Teil existenzbedrohend“, fürchtet der Kfz-Verband.
Henrik Mortsiefer